Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Oktober 2009
Verbockt
von Elsa Rieger

Auf einer Bank im Wiener Stadtpark im Jahr 2015 zur Mittagspause

- Heut Nacht sind noch mehr vom Himmel gefallen, Professor.
- Tatsächlich, Fräulein Doktor?
- Bald weiĂź keiner mehr, wohin mit ihnen.
- Das geht jetzt schon zwei Monate so. Eine Pest ist das!
- Aber die ärztlichen Untersuchungen haben ergeben, dass sie keinerlei Krankheiten in sich tragen.
- Krank ist das Ganze allemal, liebes Fräulein!
- Wie man’s nimmt ... und hören Sie bitte auf, mich Fräulein zu titulieren! Das ist doch ganz und gar aus der Mode. Auch in unserem Land.
- Verzeihen Sie, ich bin halt ein alter Kerl, hab’ es nicht besser gelernt. Was meinen Sie mit: Wie man’s nimmt?
- Erst vorgestern – ich hatte nur eine kleine Auseinandersetzung mit meinem Mann – schon stand einer im Wohnzimmer und mischte sich ein.
- Was sagte er denn?
- Das Ăśbliche: Freedom, peace all over the world. Auf Englisch natĂĽrlich.
- Angeblich nur dort, wo man Ausländisch versteht. Ich habe gehört, in Buxtehude zum Beispiel sprechen sie den passenden Dialekt. Die sind doch schon überall. Nirgendwo kann man hin, ohne ihnen zu begegnen. Hat schon was von Seuche, geben Sie’s zu.
- Seuchen machen krank. Das tun die nicht. Ganz im Gegenteil, nicht wahr?
- Ja. Katastrophal! Als hätten wir nicht auch ohne die schon eine Bevölkerungsexplosion! Wir sind schließlich drauf angewiesen, dass ein gewisser Teil der Menschheit verhungert oder an Kriegen und Krankheiten zugrunde geht, oder? Und was machen die?
- Sättigen. Heilen.
- Ein Wahnsinn! Wie soll das enden?
- Sie predigen, dass fĂĽr alle reichlich vorhanden ist auf unserem Planeten. Sie sagen, wenn die Reichen teilen, wenn Nahrungsmittel nicht aus Profit vernichtet werden, ist fĂĽr alle gesorgt.
- Blödsinn. Hat man eigentlich mittlerweile herausgefunden, warum sie herunterfallen?


3 Monate später ebenda

- Statt Segen für die Menschheit, wie versprochen, potenziert sich das Elend. Wusste ich gleich. Erinnern Sie sich an unser letztes Gespräch auf der Parkbank hier?
- Ich bin noch immer voller Zuversicht.
- Tagträumerischer Mumpitz.
- Schwarzmaler!
- Schauen Sie sich die Geschichte an. Vom Messias angefangen. Wir sind Zerstörer. Teufelsgeburten.
- Lieber Professor, die Zeit ist zu kurz, seit sie auf die Erde gefallen sind. Lassen Sie uns hoffen.
- Humanmediziner wie Sie, Frau Doktor – sehen Sie, ich habe dazugelernt –, müssen wohl ans Gute glauben. Ich bin Physiker und Mathematiker, Hoffnung lässt sich nicht in Formeln packen, nicht berechnen. Wie soll es denn auch funktionieren? Die Klimaveränderung, Schmelze des Permafrostes, Ansteigen der Meeresspiegel, Vergiftung der Meere durch die Plastikabfälle und ach so vieles! Das lässt sich nicht durch Hoffnung aufheben. Auch nicht dadurch verbessern, dass die Armen genährt werden. Wo sollen sie denn leben? Die Industriegesellschaft wird sie nicht aufnehmen, wenn ihr Lebensraum abgesoffen ist oder verdorrt.

Ein transparentes Wesen schwebt herab, landet auf der Wiese vor der Parkbank und faltet seine FlĂĽgel zusammen.

- Ich ĂĽberlege gerade, warum die eigentlich vom Himmel fallen? Werden sie vielleicht heruntergeworfen? Oder sind sie gar geflohen?
- Also ehrlich gesagt, ist mir das wurscht. Viel mehr interessiert mich das Resultat, was zum Teufel passiert mit uns?

Mit ernster Miene wendet sich der Durchscheinende ihnen zu.
- Wenn ich mich in euer Gespräch einmischen darf: Der Teufel hat nichts damit zu tun, liebe Menschen. Das Problem ist vielmehr, dass der Teil eurer Spezies, der über reichlichen Besitz verfügt, keine Lust hat, zu teilen. Wir sind zum Schluss gekommen, uns mit den Bedürftigen hienieden verbünden zu müssen. Sonst wird das nichts.

Er breitet die Schwingen aus und erhebt sich wieder in die LĂĽfte.


Ein Jahr danach auf den TrĂĽmmern der Parkbank neben einem Bombenkrater

- Alles kaputt. Ich werde die Bretter, auf denen wir sitzen, mitnehmen, meine Wohnung ist schrecklich kalt, eine AuĂźenwand fehlt.
- Ich kann nur lachen, liebe Frau Doktor. Da schmeiĂźt einer, der vermutlich Gott heiĂźt, seine Engel auf die Erde, damit alles gut wird! Wahrscheinlich, um seine Weltrettungsfantasien zu befriedigen, und das Ergebnis?
- Sie als Mathematiker haben es sofort gewusst: Die Gleichung konnte einfach nicht aufgehen ...
- Und Sie wissen natürlich auch, warum, Fräulein Doktor, nicht wahr?
- Es ist die Natur des Menschen.

Ein blasser Engel wankt durch den Park. Seine Flügel sind zerschlissen, er winkt schwach herüber, reißt ein paar Zweige von einer umgestürzten Birke und flickt sie damit. Dann wirft er einen letzten Blick auf die beiden und flattert schwerfällig zum Himmel hoch.

Letzte Aktualisierung: 24.10.2009 - 12.45 Uhr
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