Honigfalter
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Oktober 2009
Heimat der Liebe
von Bernd Kleber

Zur Heimat erkor ich mir die Liebe

Ausgesetzt
in einer Barke von Nacht
trieb ich
und trieb an ein Ufer.

An Wolken lehnte ich gegen den Regen.
An Sandhügel gegen den wütenden Wind.
Auf nichts war Verlass.
Nur auf Wunder.

Ich aß die grünenden Früchte der Sehnsucht,
trank von dem Wasser, das dürsten macht.
Ein Fremdling, stumm vor unerschlossenen Zonen,
fror ich mich durch die finsteren Jahre.

Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.

Mascha Kaléko



Elfriede Neureuter suchte das Messer mit der langen Klinge. Damit konnte sie den Schnitt in einem Zug bewerkstelligen. Die Würfel fielen in fast identischer Größe vom Brotlaib. Präzision durch jahrelanges Ritual.
Der restliche Kanten reichte für weitere drei Scheiben. Eine würde sie am nächsten Tag essen, zwei die Enten und Schwäne sättigen. Dann sollte die neue Rentenzahlung auf ihrem Konto eingegangen sein.
Jede Woche lebten die alte Dame und ihre gefiederten Freunde von einem halben Brot. Etwas Käse und eine Wurstsorte ergänzten den Speiseplan.
Ein Blick auf die Uhr im Frühstücksfernsehen verriet ihr, dass sie losgehen musste, um zur Morgenröte am See zu sein.
Ihr Herz klopfte schneller, sobald Elfriede an den Herrn dachte, der an den vergangenen drei Tagen dort mit ihr geplaudert hatte.
Sie nahm die Handtasche und den Gehschirm vom Haken, der letzte Griff galt dem Schlüsselbund. Nach einem prüfenden Blick zurück, schloss sie die Wohnungstür.
Mit leisem Singsang schritt sie die Treppe hinunter. Sie musste sich dabei auf den Schirm stützen. Sie lächelte, als der Hund in der ersten Etage sie erkannte und hinter der Tür jaulte.
Die Gassen waren unbelebt, viele Jalousien geschlossen. In einigen Fenstern brannte Licht, man hörte Kaffeetassen klappern und eine Radiostimme erklärte das kommende Wetter. Elfriede Neureuter ging zielgerichtet ihren Weg. Konsequent setzte sie Schritt für Schritt wie an jedem Morgen.
„Bewegung hält jung“, hatte ihr Arzt geraten.
Von Weitem sah sie den Rücken des Herrn, mit dem sie sich hier unverabredet traf. Elfriede fühlte ihr Herz wieder klopfen und setzte die Schritte beschwingter. Mit dem Handrücken ertastete sie ihre glühenden Wangen und verdrehte lächelnd die Augen.
In Rufweite ging sie langsamer, atmete durch und strich sich die weißen Haare glatt.
„Guten Morgen, Herr Schmidt.“
Herr Schmidt lächelte sie an.
„Guten Morgen, werte Frau Neureuter.“
Sie setzte sich neben ihn und platzieren die Plastikdose mit den Brotwürfeln auf ihrem Schoß so, dass sie bequem hineingreifen konnte.
„Frau Neureuter, warum heißen die Enten nicht auch Vogel, wie der Eisvogel, also Entenvogel?“
Sie lachte. Betrachtete von der Seite seine gebogenen Wimpern.
„Aber, Herr Schmidt, Vögel ist der Gattungsbegriff für diese gefiederten Tiere, die Eier legen. Zu denen gehören eben auch die Enten. Lernten Sie das nicht in der Schule?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen und gespitzten Lippen wartete sie auf seine Antwort.
Herr Schmidt schüttelte den Kopf. Er sah frisch rasiert aus, seine dunklen Haare waren mit interessanten grauen Strähnen durchzogen. Er trug den schwarzen Mantel über einem tadellosen Zweireiher. Der Borsalino verriet eine gute Herkunft. Seine Hände hielten den silbernen Knauf eines Stabes, der ein Spazierstock sein könnte. Nur, dass dieser Lampen hatte, die leuchteten.
„Und ich dachte im Wasser leben Fische, Einzeller und Mikroben?“
Frau Neureuter sah ihn skeptisch an. Der Mann wirkte nicht dumm. Wollte er mit ihr schäkern, wie es seit vielen Jahren niemand mehr gemacht hatte? Sie war erfahren genug, es nicht ernst zu nehmen und lachte mit einem „tj, tj, tj“.
„Herr Schmidt, ich war gestern Abend noch im ,Weißen Hirsch`, hätte Ihnen gern etwas von meinem Pflaumenmus für Ihr Frühstück gebracht. Man kennt Sie dort nicht. Was erzählen Sie mir für einen Unsinn. Ich denke, Sie haben es faustdick hinter den Ohren! Eine alte Frau wie mich so auf den Arm zu nehmen ...“
Sie hätte fragen können, wo er nächtigte, das tat sie nicht.
Herr Schmidt wurde rot.
„Sie sollten mir nicht nachspionieren, werte Lady.“
Beide lachten. Elfriede fügte sich und forschte nicht weiter. Wenn er ihr das nicht mitteilen wollte, würde er Gründe haben. Das angenehme Gefühl in seiner Gesellschaft blieb. Seine Stimme unterbrach ihre Gedanken.
„Sagen Sie, Frau Neureuter, was wünschen Sie sich im Leben am meisten?“
Elfriede überlegte. Kinder hatte sie nie bekommen, sich vor langer Zeit schon damit abgefunden. Ihr Mann war viel zu früh gestorben. Die Wohnung hatte sie eingerichtet, die Miete auf Jahre von der ausgezahlten Lebensversicherung bezahlt. Nachdenklich meinte sie:
„Wenn ich täglich Brot für die Enten hätte, das wäre schön.“
„Aha, und was noch? Ist das alles?“
„Nein, ich wünschte, besser laufen zu können, wie ich als Zwanzigjährige lief, und gern würde ich meine Sendungen in Farbe sehen. Aber der alte Kasten tut´s noch.“
Sie lachte.
„Das leuchtet mir ein.“
Herr Schmidt legte seinen Arm um die Schulter der alten Dame.
Elfriede ließ sich das gern gefallen, lehnte sich zurück und schloss die Lider.
„Da, die Sonne geht auf, Frau Neureuter.“
Sie öffnete ihre Augen, aus denen Gefühle tropften.
Die ersten Schwäne und Enten kamen geschwommen, gewohnt, ihr Frühstück zu erhalten. Sie erhoben sich aus dem Wasser, watschelten und stolzierten auf ihre weißhaarige Futterstelle zu. Die teilte Brotkrumen aus, kein Vogel würde zu kurz kommen.
Der Fremde sah sie nachdenklich an.
„Sie wissen, dass Sie auf einem der schönsten Planeten wohnen?“
„Herr Schmidt, nicht so feierlich, Sie leben ja auch hier. Und, Sie haben natürlich Recht, die Erde ist wunderschön. Aber die Menschen zerstören sie und am Ende sich selbst.“
„Ja, Frau Neureuter, so wird es leider kommen.“
Beide sahen in die aufgehende Sonne, die Wolken türmten sich rosa über dem See, auf dem sich in kräuselndem Nass das Licht der Aurora tausendfach brach und glitzerte. Der Chor der Singvögel hatte angesetzt und stimmte den neuen Tag an. Elfriede wischte sich hastig über die Augen.
„Frau Neureuter, ich muss heute Nacht abreisen. Ich habe viel von Ihnen gelernt ... über Vögel und Wasser, über Bäume, die Natur. Bleiben Sie meine Freundin? Ich möchte mit Ihnen Verbindung halten.“
Elfriede seufzte und spürte das Hüpfen ihres Herzens in der Brust, ein kleiner gefangener Sperling.
„Ja, gern. Kommen Sie wieder mal in unsere Gegend, an unseren See? Meine Adresse kann ich gern aufschreiben, ein Telefon habe ich nicht. Das war nie etwas für mich. Wer sollte mich anrufen?“
Herr Schmidt setzte sich herum, sah Elfriede gerade ins Gesicht und ergriff ihre Hände.
Um Elfriedes Augen zuckte es, sie sah ausweichend nach unten. Gern hätte sie vorher ihre Hände am Rock abgewischt.
„Ich gebe Ihnen etwas ähnliches wie ein Telefon.“
Herr Schmidt fischte aus seiner Hosentasche eine schimmernde Metallkugel, nicht größer als eine Kinderfaust, und legte sie in Elfriedes geöffnete Linke. Dann drückte er ihre Finger zärtlich um das blanke Metall.
„Das dürfen Sie niemandem zeigen, und wenn Sie befürchten, der letzte Schwan oder die letzte Ente kommt vom See, können Sie mich damit anrufen, indem Sie unser Geheimnis ganz fest drücken.“ Er zwinkerte.
Ungläubig lachte Elfriede und hatte ein merkwürdiges Gefühl von der Schönheit des Augenblicks. Gern hätte sie eine Weile so gesessen, die warmen Hände haltend und dabei verschwörerisch in diese schönen Augen gesehen.
Herr Schmidt stand auf und ging. Elfriede sah ihm mit geöffnetem Mund nach.
Kurz vor dem Waldrand drehte er sich um, hob den Arm zu einem Gruß. Elfriede schniefte und Tränen liefen ihr kühl und kitzelnd über die Wangen.
„Alberne alte Frau“, sagte sie zu sich und steckte die Erinnerung an Liebe in ihre Manteltasche. Sie lehnte sich zurück und sah auf den See hinaus. Dieser Anblick füllte sie täglich mit Kraft wie eine Vitaminkur.

Am nächsten Morgen öffnete sie den Brotkasten. Warmes Brot lag darin, frisch vom Bäcker. Ungläubig sah sie sich in der Küche um, rief: „Hallo?“
Der kleine Kanten vom Vortag ergab, wie berechnet, drei Scheiben. Sie schaltete den Fernseher ein, wollte bis zum Aufbrechen über das Wetter informiert werden. Erst nach einigen Sekunden entdeckte sie es und hielt die Luft an. Gebannt sah sie auf den Bildschirm: Die Sprecherin hatte rote Haare! Eine Wetterkarte kündigte in Hellblau einen schönen Tag an. Elfriede schüttelte den Kopf, ging zum Apparat und klopfte mit der flachen Hand zweimal auf den alten Kasten. Die Farbe blieb ...
Die Moderatorin berichtete über seltsame Lichterscheinungen während der vergangenen Nacht über Elfriedes Wohngegend.
Sie eilte zu ihrem Mantel und holte die Kugel heraus. In ihrer Hand begann diese zu leuchten und Herr Schmidt lächelte sie an, wie aus einem Fernsehapparat. Er grüßte winkend.
Elfriede juchzte und ließ das Metallgebilde in die Tasche gleiten, machte einen Schritt zurück und sah ungläubig zur Garderobe. Sie schüttelte den Kopf.
Lachend rannte sie zur Tür, nahm den Schirm und sprang singend, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Der Hund bellte heute lebhaft. Auf der Straße blieb sie vor dem Schaufenster des BUND* stehen und studierte die Sprechzeiten ...


* Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland

Letzte Aktualisierung: 24.10.2009 - 12.43 Uhr
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