Bitte lächeln!
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Oktober 2009
Nebenwirkung
von Eva Fischer

Es beruhte auf keinem Plan, eher auf einer stillschweigenden Ãœbereinkunft.
Die Frauen der Insel Senex weigerten sich, schwanger zu werden, weil sie ihre beruflichen Aufstiegschancen nicht gefährden wollten. Warum sollten sie sich länger mit dem Problem belasten, wo sie tagsüber ihre Kinder unterbringen konnten? Der ständige Streit mit dem Partner um die Erziehung ließ sich so vermeiden.
Auch die Männer hatten nichts dagegen, dass sie sich nicht mehr durch eine Ehe lebenslang binden mussten. Lustvoller Sex ohne unerwünschte Nebenwirkungen war jederzeit durch die Pille möglich. Man arbeitete sogar ehrgeizig und mit Erfolg an der Entwicklung einer Pille, die Frauen Zeit ihres Lebens unfruchtbar machen sollte.
Zuerst wurde die neue Pille an Kriminellen ausprobiert. Schließlich verkaufte man das Patent zu einem hohen Preis an andere Länder, wo die neue Pille in Entwicklungsländern eingesetzt wurde, doch auch die Nachfrage in den Industriestaaten stieg.

Das Leben der Inselbewohner änderte sich langsam, aber unaufhaltsam.
Als die Kindergärten keine Neuanmeldungen mehr verzeichneten, nahmen die 80 bis 90 Jährigen sie in Besitz. Mit Memory-Spielen und Kreuzworträtseln suchten sie ihr Gedächtnis fit zu halten. Die Bauklötzchen wurden für gymnastische Gelenkübungen verwendet. Es wurden Parcours für Rollatoren gebaut und Preise für die Gewinner gebastelt. Die kleinen Stühle und Tische erwiesen sich allerdings als zu unbequem und mussten ausgetauscht werden. Die Kindergärtnerinnen hatten nichts gegen ihre neue Klientel einzuwenden. Der Lärmpegel sank beträchtlich. Sie gingen wesentlich stressfreier in den Feierabend. Zank und Streit wurden nicht mehr mit Fäusten ausgetragen, sondern lediglich mit einem mehrtägigen, schmollenden Schweigen.
Auch die Schulen wurden nach und nach umfunktioniert. Kreative Schreibkurse für 60 bis 80 Jährige waren der Renner. Computerkurse und Vorlesungen in Kunstgeschichte fanden ebenfalls Abnehmer. In den ehemaligen Chemiesälen wurden wohlriechende Cremes gegen Arthrose- und Ischiasschmerzen gemixt. Die Lehrer mussten sich nicht mehr über fehlende Motivation, Faulheit und respektloses Verhalten ihrer Schüler beklagen. Sie hatten mehr Freizeit, weil sie keine Klassenarbeiten korrigieren oder Zeugnisse schreiben mussten. Als Belohnung gab es lukullische Events, wo der Weinkonsum allmählich nachließ und das knackige Gemüse zunehmend weicher gekocht wurde.
Die Reisebüros mussten schließen, weil die Inselbewohner zu der Überzeugung gelangt waren, dass es nirgendwo schöner war als auf Senex. Hier war man sicher, denn die Kriminalität war auf den Nullpunkt gesunken. Hier gab es gemäßigte Temperaturen, keine Hitze, die erlahmen, keine Kälte, die erstarren ließ und hier war es vor allem still. Kein Kindergeschrei, keine lauten Motorräder von Halbwüchsigen, keine blecherne Musik aus Transistorradios störten. Wenn man die Evasion suchte, lieh man sich Filme über ferne Länder aus, las Bücher oder hörte klassische Musik. Wellnesscenter und Golfplätze schossen wie Pilze aus dem Boden, während die Fußball- und Tennisplätze verödeten.
Einmal pro Woche wurde die Insel mit lebenswichtigen Gütern versorgt. Ansonsten waren Fremde unerwünscht. Wen hätte es auch auf die Insel der Alten ziehen sollen?

Sie fielen buchstäblich vom Himmel. John und Mary landeten eines Tages weich mit ihren Fallschirmen auf der Insel. Es war Nachmittag und die Insel lag in einem tiefen Schlaf, nur Charlotte war unterwegs und führte ihren Cocker Spaniel Felix spazieren. Der war es auch, der die Fremden zuerst entdeckte und dies durch lautes Gebell kundtat. Charlotte holte ihre Brille aus der Tasche. Als sie klar sah, war sie entsetzt.
„Was für hässliche Wesen!“, dachte sie spontan. Ihre Haare waren nicht silbern wie die der Inselbewohner. Die Haut zeichnete sich nicht durch ein faltenreiches Ornament mit ein paar schönen braunen Tupfern aus. Dem Rücken fehlte die elegante Wölbung. Die Fremden steckten in weißen Overalls und erinnerten Charlotte an Birkenstämme, die vor langer Zeit von den Inselbewohnern entfernt worden waren, weil sie dagegen allergisch waren. Knorrige Gliedmaßen verrieten doch viel mehr Individualität.
Augenscheinlich brauchten die Fremden Hilfe. So sah sich Charlotte gezwungen, sie mit nach Hause zu nehmen. Sie führte sie in die Küche und kochte ihnen eine Tasse Tee. John wäre ein Schluck Whisky nach der Notlandung lieber gewesen. Auch bot sie ihnen etwas von dem übriggebliebenen Mittagessen an. Mary fand, dass es etwas fad schmeckte, weil offensichtlich die Gewürze fehlten.
Friedrich setzte ein mürrisches Gesicht auf, als er die ungebetenen Gäste sah, das sich auch nicht aufhellte, als er erfuhr, dass sie aufgrund eines Motorschadens mit ihrem Kleinflugzeug notlanden mussten.
„Das nächste Schiff kommt erst in einer Woche“, knurrte er missmutig. „Ich werde dem Seniorenrat Meldung machen müssen.“
Er ging in die Garage, startete sein Elektroauto und rollte lautlos davon, während Charlotte den Fremden ihr Zimmer zeigte. Mary war erstaunt über die vielen Türen im Obergeschoss, und doch schienen die beiden ganz allein hier zu wohnen.
„Haben Sie Kinder?“, fragte sie arglos. Charlottes Gesicht wurde blass, als quälte sie eine entsetzliche Erinnerung.
„Sie werden es früher oder später selbst herausfinden. Hier auf der Insel gibt es keine Kinder“, sagte sie fast lautlos.
„Keine Kinder!“ entfuhr es Mary. „Sind die Menschen hier krank?“ Unweigerlich wich sie einen Schritt zurück.
„ Ich habe das letzte Kind hier auf dieser Insel vor 40 Jahren geboren“, erklärte Charlotte. Nun rannen Tränen über ihr faltiges Gesicht.
„Es war schrecklich. Ich kam mir wie eine Ausgestoßene vor. Aber ich konnte doch nichts dafür. Die Pille vertrug ich nicht und die Wunderpille war noch nicht für uns Inselbewohner frei gegeben.“
„Welche Wunderpille?“, hakte Mary nach.
„Nun, die Pille, die den Frauen für immer eine Schwangerschaft erspart.“
Mary nahm der alten Frau das Laken aus der Hand und überzog die Betten allein weiter, um ihre Fassungslosigkeit zu verbergen. Sie dachte an ihre Kinder zu Hause, die sie sehr vermisste.
„Ich würde mit meinem Mann gern spazieren gehen“, sagte sie zu Charlotte gewandt.
Mary holte tief Luft, nachdem sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte und machte sich mit John auf den Weg . Die Häuser waren von Efeu überwuchert. Die Farbe bröckelte an den Fensterläden ab und in den Vorgärten hatte sich offensichtlich schon lange keiner mehr gebückt, um das Unkraut herauszureißen. Hinter den Vorhängen sahen sie neugierige Augen auf sich gerichtet.
„Das ist ja gespenstisch “, flüsterte Mary. „Hier gibt es nur Alte. Lass uns schnell wieder verschwinden.“
„Eine Woche müssen wir wohl oder übel durchhalten, Liebes. Du hast ja unseren freundlichen Gastgeber gehört. Außerdem finde ich es hier sehr interessant. Hast du die herrliche Bausubstanz gesehen? Da ließe sich einiges daraus machen.“
Plötzlich hörten sie ein Surren hinter sich. Als sie sich umdrehten, erkannten sie Friedrich. „Steigen Sie ein! Der Seniorenrat wünscht Sie zu sehen.“
Sie wurden in den Saal des Rathauses geführt. Gobelins zeugten von einem ehemaligen Reichtum. Die Wände waren mit Mooreiche getäfelt, so dass die Gesichter der Alten besonders blass wirkten. Sie saßen hoheitsvoll auf ihren mit grünem Samt bezogenen Stühlen und stierten die Neuankömmlinge ungeniert an.
Adelheid strich ihre lange graue Haarsträhne kokett hinter das Ohr und ergriff als Erste das Wort. „Da Sie ja nun zu einer Woche Zwangsurlaub bei uns verdammt sind, mache ich Ihnen einen Vorschlag, wie sie sich die Langeweile vertreiben. Können Sie massieren? Das täte nämlich meinem Rücken gut.“
„Gute Idee,“ kicherte Elfriede. „Aber ich sage Ihnen, Fotos sind strengstens verboten. Ich möchte, dass mich meine Fans von Übersee in guter Erinnerung behalten. Ich war nämlich mal eine berühmte Sängerin, müssen Sie wissen. “
„Nerve uns nicht wieder mit deinem brüchigen Falsett !“, schimpfte Paul.
Hermann stöpselte hastig sein Hörgerät ein. Diese Sitzung versprach diesmal nicht so öde zu werden wie sonst.
„Sind das die versprochenen polnischen Krankenschwestern?“, fragte er seinen Nachbarn. „Mir kommen keine Fremden ins Haus. Was wollen die überhaupt hier? Kann man sie nicht eher zurückschicken? Ich beantrage das hiermit.“ Karl nahm seinen Stock, erhob sich und schaute Beifall heischend in die Runde.
„Geh uns nicht auf den Wecker!“, zischte Adelheid. „Wir wollen endlich mal ein bisschen Spaß.“
Franz, der Vorsitzende, klopfte auf das Pult. „ Ruhe, meine Damen und Herren! Nehmen Sie doch Vernunft an! Welchen Eindruck hinterlassen Sie bei unseren Gästen?“
„Ungebetene Gäste!“, grummelte Karl hartnäckig.

Bevor die Meute ihnen folgen konnte, verließen John und Mary eilig den Sitzungssaal.
John zog einen kaum sichtbaren Mikrosender aus der Tasche.
„J. an Planet Juventus. Pille von X war erfolgreich. Population der Erde ist erheblich geschrumpft. Ihr könnt jetzt den Planeten übernehmen. Mit Gegenwehr ist nicht zu rechnen. Schlage Insel Senex als Basisstation vor. Übrigens, die Maske war wichtig. Die Erdlinge hätten sich wohl zu Tode erschrocken, wenn sie gesehen hätten, dass wir ab dem 20. Lebensjahr nicht mehr altern.“

Letzte Aktualisierung: 04.10.2009 - 10.10 Uhr
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