Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Oktober 2009
Mgrsmsk
von Marie Brand

„Sam hat einen neuen Freund, Sam hat einen neuen Freund!“ Mit lautstarkem Singsang quetschte sich Leonie vor ihrem Bruder in die Küche und verdrehte vielsagend ihre Augen, als die Eltern sich zu ihr umwandten. Sam schubste sie weg und fragte außer Atem und mit roten Wangen: „Darf er mit uns essen?“ Ohne mit der Wimper zu zucken, meinte seine Mutter: „Für gute Freunde haben wir immer Platz.“
„Klar“, meinte Leonie. „Soll er unter dem Tisch sitzen, oder ist es diesmal kein Hund?“
Sam knuffte sie in die Seite. Schnell drückte der Vater ihnen Teller in die Hand.
„Jacken aus, Schuhe aus ...“
„Vor allem Schuhe aus!“, warf die Mutter nach einem Blick auf die feuchten Spuren auf dem Boden ein. Ihr stieg auch sogleich ein modriger Geruch in die Nase, vor allem nach Regen und Erde.
„... Tisch decken, Oma Bescheid sagen und ab!“, vollendete der Vater.
Erst am Tisch ging das Gespräch dann weiter. Alle reichten nacheinander ihre Teller an.
„Isst dein Freund auch Suppe?“, fragte Mutter vorsichtig.
„Hmm“, murmelte Sam leise und schien auf etwas zu lauschen. „Nee“, kam dann die Antwort, „leider ist unser Essen nichts für ihn. Aber danke der Nachfrage.“
Jetzt wurde Leonie neugierig. „Danke der Nachfrage? Wo hast du das denn her?“
Mit einem leichten Kopfschütteln zeigte ihr die Mutter an, still zu sein. Aber Leonie ließ sich nicht abhalten: „Sehen kann man ihn nicht, essen tut er nicht. Unterm Tisch hat er auch nicht Platz genommen. Was ist es denn diesmal?“
„Er. Mgrsmsk“, lautete die unverständliche Antwort.
„Kannst du ein bisschen lauter sprechen?“, mischte sich Oma ein. „Du weißt doch, dass ich so schlecht höre.“
„Mgrsmsk.“
„Mgr...was?“, fragte Leonie. „Du spinnst!“
Mit ruhiger Stimme erklärte Sam geduldig: „Mgrsmsk ist nicht von hier. Er ist ein Außerirdischer. Ich habe ihn am Bach unten gefunden.“
„Ich hatte in deinem Alter auch immer unsichtbare Freunde“, murmelte Oma.
„Darf man noch mehr erfahren?“, fragte Mutter interessiert.
Von Leonie kam dagegen nur ein einziger Stoßseufzer: „Das darf doch nicht wahr sein. Sam erzählt Stuss wie immer. Warum darf der das?“ Aber niemand achtete auf sie.
„Sie kommen ab und zu vorbei, schon ewig, und sammeln Gesteinsbrocken und ähnliches. Ab und zu gucken sie auch, was die Menschen so machen. Das ist ein bisschen wie Urlaub.“
„Zu meiner Zeit haben wir auch Steine gesammelt im Urlaub“, warf Oma ein.
„Ach ja – und warum ist ihnen noch niemand begegnet?“, bohrte Leonie.
„Sie sind unsichtbar! Ist doch klar.“ So langsam ging Sam doch die Geduld aus. „Jedenfalls für die meisten. Wenn man nett ist, zeigen sie sich auch.“
„Aha. Deshalb können wir ihn nicht sehen“, zwinkerte sein Vater den anderen zu.
„Genau“, platzte Sam heraus, setzte dann aber hinzu: „Vielleicht später. Mgrsmsk hatte mit seinem Raumschiff einen Unfall. Ein System ist ausgefallen. Er brauchte Hilfe, deshalb hat er sich mir gezeigt.“
„Ja klar. Sam, der achtjährige Retter der Menschheit. Verzeihung, der Außerirdischen natürlich!“, ätzte Leonie mit ihren erwachsenen elf Jahren.
„Auch wenn du es nicht glaubst!“, regte sich Sam auf. „Ich habe keine zwei linken Hände wie andere, und Papa kann alles!“
„Jetzt wollen wir erst einmal in Ruhe essen. Nachher kümmern wir uns um das Problem.“ Demonstrativ schlürfte der Vater nun seine Suppe. Für eine Weile hörte man nur das Klappern der Löffel und den einen oder anderen Schmatzer. Erst beim Nachtisch kam das Gespräch wieder in Gang.
„Wie sieht er denn aus?“, fragte Oma ganz unschuldig.
„Hmm“, kam es wieder von Sam, und er blickte nachdenklich nach links. „Ihr müsstet euch vermutlich erst an ihn gewöhnen.“
„Wieso kann er eigentlich unsere Sprache? Das denkst du dir doch nur in deinem Kopf aus!“, beharrte Leonie.
„Leonie!“, Die Mutter legte beruhigend und etwas verschwörerisch ihre Hand auf Leonies Arm. „Es gibt einfach Dinge im Leben, die Erwachsene nicht verstehen.“
„Das mit Mgrsmsk ist aber wahr!“, Sam sprang auf und warf dabei seinen Nachtisch um. „Mgrsmsk ist hier, er ist nett, er ist vom Planeten Smrnskj und benutzt einen Sprachdecoder! Das ist doch ganz einfach. Ihr wollt nur nichts verstehen. Und ihr wollt mir nichts glauben. Ihr seid einfach nur ...“, fast ging ihm die Luft aus. ,,Einfach nur doof!“ Damit rannte er aus dem Esszimmer, die Treppe hinauf und schlug die Tür zum Kinderzimmer hinter sich zu.
Am Tisch herrschte ein unangenehmes Schweigen. Alle starrten auf Sams leeren Stuhl – und den leeren Stuhl daneben.
„Haben wir ...“, „Sollten wir ...“, fingen die Eltern gleichzeitig an. „Ach, lasst ihn erst einmal ein bisschen allein.“ Oma sah das ganz pragmatisch und wollte schon ihr Geschirr in die Küche tragen, als alle noch einmal auf den zweiten leeren Stuhl starrten. Hatte da nicht, war da nicht ...?
Ein Klingeln an der Haustür ließ keine Zeit zum Denken. Die Mutter ergriff sofort die Gelegenheit zur Flucht und eilte an die Tür. Der Anblick eines Polizisten vor der Tür beruhigte sie jedoch keineswegs. „Ja bitte?“, fragte sie mit leicht zittriger Stimme.
„Guten Tag. Tut mir leid, Sie zu stören. Aber wir haben verschiedene Meldungen über Ufos an diesem Morgen erhalten. Alle aus der Gegend hier. Deshalb müssen wir dem nachgehen.“ Die Blässe und ihr Griff nach dem Türrahmen entgingen ihm, da er auf dem Türschild den Namen nachlas. „Frau Steele, haben Sie oder ein Familienmitglied“, er spähte ein wenig an ihr vorbei in den Korridor hinein, „heute irgend etwas Ungewöhnliches bemerkt?“
Ihr Zögern war nur sehr kurz und kaum zu bemerken. „Nein“, klang ihre Stimme durchaus fest.
Etwas unschlüssig reichte ihr der Polizist eine Visitenkarte. „Nichts für ungut. Falls etwas sein sollte, rufen Sie uns bitte einfach auf dem Revier an.“
Mit einem „Ja, sicher“, schloss sie die Tür und lehnte sich von innen für einen Moment dagegen. Doch gleich spannte sich ihr Körper wieder, sie drehte sich um, den Blick bereits auf die Treppe nach oben gerichtet und rief mit fast überschnappender Stimme: „Sam junior! Komm sofort herunter!“
Im Esszimmer schrie Leonie: „Mama!“
Und da sah Frau Steele es - oder ihn auch schon. Er kam aus dem Esszimmer in den Korridor und geradewegs auf sie zu. Er reichte ihr ungefähr bis zur Brust, bewegte sich in der Art einer Schnecke ohne jegliche Beine vorwärts und hinterließ eine feuchte Linie.
„Ich habe diese Spur gesehen“, gingen ihre Gedanken zurück. Doch da reichte er ihr auch schon so etwas wie eine Hand. Nur drei Finger, die etwas knubbelig aussahen. Der Kopf war haarlos, immerhin zwei Augen. Eine Nase war auf den ersten Blick nicht auszumachen. „Hallo, mein Name ist Mgrsmsk. Ich bin sehr erfreut, Sie kennenzulernen. Ich bin Ihnen wirklich sehr verbunden ...“

Letzte Aktualisierung: 27.10.2009 - 10.04 Uhr
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