Der Tod aus der Teekiste
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Oktober 2009
Die sonderbaren Ereignisse vom 1. April
von Franziska Greiner

Man kann sagen, dass es der 1. April war, der Samiras Leben auf mysteriöse Weise veränderte. An diesem Tag nämlich sah sie morgens auf ihrem Weg zur Arbeit den ersten Maikäfer in diesem Jahr. Weil das so ungewöhnlich früh im Jahr war, hob sie ihn auf und hielt ihn eine zeitlang in ihrer Hand, um ihn zu wärmen. Als sie ihn wieder absetzen wollte, war er verschwunden. Gegen 10 Uhr wurde ihr im Büro schwindlig, danach bekam sie heftige Kopfschmerzen. Mittags ging sie mit Schüttelfrost heim, holte sich unterwegs in der Apotheke Schmerztabletten, trank eine Tasse heißen Kräutertee und legte sich ins Bett. 5 Minuten später war ihr so heiß, dass sie das Fenster öffnete. Mitten in der Nacht wurde sie von einem immer wiederkehrenden Klopfen und auf- und abschwellendem Brummen geweckt. Obwohl sie nicht aufstand war ihr, als säße ein Teil ihres Selbst plötzlich auf dem Fensterbrett und beobachtete dutzende oder gar hunderte von dicken Käfern, die ungeschickt fliegend gegen die Fensterscheiben und gegen die Dachrinne stießen. Samira wollte sie warnen, aber ihre Arme gehorchten ihr nicht. Sie stand auf, um die Käfer zu erschrecken, bekam aber Übergewicht und stürzte von der Fensterbank. Zu ihrem großen Erstaunen breitete sie reflexartig Flügel aus, fing sich 2 Meter über dem Boden und setzte ihre Reise in einem rüpelhaften Flug fort, wobei sie ein brummendes Geräusch wie von einem Spielzeug-Windrad von sich gab. Links und rechts und über und unter ihr flogen riesengroße Maikäfer, die ebenfalls einen Höllenlärm verursachten.
„Da versteht man ja sein eigenes Wort nicht“, sagte sie, und zu ihrer Überraschung antwortete der Maikäfer neben ihr, dass er sie ganz gut verstehen würde. Seltsamerweise wusste sie in dem Moment auch, dass es sich um einen männlichen Maikäfer handelte. Es kam ihr sogar ganz selbstverständlich vor, dass sie das wusste, obwohl sie das Geschlecht eines Maikäfers seit jeher ebenso wenig unterscheiden konnte wie das von Fliegen oder Mäusen. Endlich erreichten sie einen Lindenhain, wo sich die meisten von ihnen auf einem Blatt niederließen, um sich zu stärken und auszuruhen. Überall um sie herum wurde auf einmal schmatzend über das Essen geredet, und Samira stellte verwundert fest, dass auch ihr die jungen grünen Blätter gut mundeten. Da wurde ihr plötzlich bewusst, was sie die ganze Zeit über vor Aufregung nicht wahrgenommen hatte: sie war selbst eine Maikäferin. Doch die Umstände, wie es dazu kam, erschienen ihr so seltsam, dass sie nicht an eine Verwandlung glauben konnte. Erst der erste Maikäfer am 1. April, dann die Kopfschmerzen, das Wachklopfen und der Sturz vom Fensterbrett. Sie hatten das mit ihr gemacht. Das waren keine normalen Maikäfer, das konnten nur geheimnisvolle Wesen aus einer anderen Welt sein, die in den Tarnmantel eines Maikäfers geschlüpft waren. Außerirdische, ja Außerirdische, das mussten sie sein.
Kurzentschlossen fragte sie ihren Nachbarn, woher er und die anderen gewusst hatten, dass sie heuer schon einen Monat früher aus der Erde hervorkommen konnten, obwohl es doch eigentlich ein strenger Winter gewesen war. „Nun“, sagte der, „SIE sind dabei, die Voraussetzungen zu ändern. Aber dadurch lassen wir uns nicht einschüchtern, wir passen uns eben an.“
Samira verstand nicht, was ihr Nachbar damit zum Ausdruck bringen wollte, und weil sie sich ihre Sicht der Dinge bereits zurechtgelegt hatte, raunzte sie ihn an: „Was soll das blöde Gebrabbel. Ihr seid doch gar keine Maikäfer, ihr seid Außerirdische, ihr habt mich auch in einen Maikäfer verwandelt, oder mir ein Gift gegeben, dass ich glaube, ich wäre einer. Gib es doch zu!“
„Ha!“, antwortete der, „jetzt hast du dich verraten. Du gehörst zu ihnen. Vor ein paar tausend Jahren erst auf diese Welt gekommen, wollt ihr alles umkrempeln, Wälder zerstören, Luft verpesten, Irrlichter aufstellen, Klima umwandeln undsoweiterundsoweiter, und wir, die wir hier seit vielen Millionen von Generationen leben, dürfen die Suppe auslöffeln. Und jetzt versucht ihr sogar noch, uns die Schuld zuzuschieben. Anscheinend wisst ihr gar nicht, was ihr alles anrichtet. Du glaubst wohl, wir Maikäfer gucken mal kurz aus der Erde, und wenn es warm ist, kriechen wir heraus? Dachte nicht, dass Außerirdische so naiv sein können. Aber wahrscheinlich kennt ihr euch nur mit eurem technischen Kram aus, die euch den Aufenthalt hier angenehmer machen. Von Natur habt ihr keine Ahnung.“
Samiras Gesprächspartner hatte sich durch seine Schimpfrede dermaßen in Rage gebracht, dass er förmlich überkochte vor Wut. Durch drohendes Brummen seiner ausgebreiteten Flügel unterstützt rief den anderen Maikäfern zu: „Hier ist eine von denen, jetzt nehmen sie sogar schon unsere Gestalt an, jagt sie, bringt sie um!“
Samira, die die Gefahr längst erkannt hatte, ließ sich fallen und flog so schnell sie konnte davon. Sie wollte nur noch heim. Wie von selbst fand sie den Weg zurück zur Stadt, in ihre Straße und hinein durchs Fenster in ihr Bett. Schweiß stand ihr plötzlich auf der Stirn, jemand war im Zimmer. An der durch das Straßenlicht erhellten Wand sah sie den Schatten einer menschenähnlichen Gestalt mit Schlangenkopf, die zungezischelnd etwas zu suchen schien. Von Panik ergriffen stieß Samira einen schrillen Schrei aus und knipste das Licht an. In diesem Moment zuckte der Mann zusammen und fuchtelte beschwichtigend mit den Armen. Es war der Apotheker. Er entschuldigte sich vielmals und erklärte, dass er ihr das falsche Medikament ausgehändigt hatte, das er nun suchte, um es auszutauschen. Er hätte sturmgeläutet an ihrer Türe, aber da sie sich nicht gerührt hätte und er Angst um ihren Gesundheitszustand gehabt hätte, hätte er sich mit einem Dietrich Zutritt verschafft. Samira gab ihm die Tabletten, worauf der Apotheker sich buckelnd entfernte. Bevor sie zurück ins Bett kroch, vergewisserte sich Samira nochmals, ob er wirklich weg war, denn sie hatte kein Schloss zuschnappen hören.
Am nächsten Tag auf dem Weg zur Arbeit saß auf dem Fensterbrett vor der Apotheke ein Maikäfer. Samira blieb kurz stehen, fast war ihr, als würde der Käfer ihr zuwinken. Dann aber kam ein beklemmendes Gefühl über sie. Mit einer Mischung aus Verwunderung und Angst im Bauch lief sie schnell weiter.

Letzte Aktualisierung: 07.10.2009 - 15.05 Uhr
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