Der Tod aus der Teekiste
Der Tod aus der Teekiste
"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
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November 2009
Gut Ding braucht Weil’
von Elsa Rieger

Wenn Du Kartoffeln oder Spargel isst, schmeckst Du
den Sand der Felder und den Wurzelsegen,
des Himmels Hitze und den kühlen Regen,
kühles Wasser und den warmen Mist.
Carl Zuckmayer




Einen Höhepunkt hatte es in Rosamundes Leben gegeben: Um die Dreißig entflammte ein Mann in Liebe für sie. Er liebte ihre Sprödigkeit. Für kurze Zeit war Rosamunde in einem seligen Zustand. Dann blieb ihre Periode aus. Sie teilte das dem Geliebten mit leuchtenden Augen mit. Er gestand, dass er verheiratet sei und nicht die Absicht habe, seine Frau zu verlassen.
Zum zweiten Mal brach Rosamundes Welt zusammen. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass sie kein Kind in sich trug; es war bloß eine Hormonunstimmigkeit. Sie beschloss dennoch, keinen Menschen mehr an sich heranzulassen.

Rosamunde war zehn, als ihr Leben das erste Mal aus den Fugen geriet. Während eines Bombenabwurfs blieb ihrer Mutter im Luftschutzkeller das Herz stehen. Der Vater war im Feld vermisst und als Rosamunde fünfzehn war, erreichte sie die Nachricht von seinem Tod.
Sie ging in die Fabrik arbeiten und teilte ein Bett mit einer anderen Schichtarbeiterin in einem Untermietzimmer, in dem noch vier weitere Bettgeherinnen hausten. Nebenher lernte sie Buchhaltung, um weiterzukommen.

Wenn Rosamunde ihr Einkaufswägelchen vor sich her schob, rammte sie es gern Passanten in die Waden, die sie überholten. „Können Sie nicht aufpassen“, schrie sie dann und ging hämisch grinsend weiter.
Manche sagten: „Wie kann man im Alter nur so böse werden!“
Rosamunde aber hatte Spaß daran, ein Ekelpaket zu sein, noch dazu, weil sie wusste, dass ihr das keiner ansah. Stolz reckte sie ihre schlanke Gestalt, kräuselte die vollen Lippen und schüttelte ihr dunkelblond gefärbtes Haar.
Ansonsten gab es kaum Reibungspunkte in ihrem Leben. Sie war siebzig, hatte nie eine Familie gegründet, immer allein gelebt. Das Highlight ihres Tages war daher der Einkauf im Supermarkt. Da konnte sie als Kundin richtig schön aufdrehen und die Angestellten drangsalieren. Jahrzehntelang hatte sie dort als Buchhalterin gearbeitet, gemieden von den Kolleginnen, wann immer das möglich war, ihrer bissigen Art wegen. Angelangt bei ihrer alten Arbeitsstelle, suchte sie die Obst-Gemüse Abteilung auf. Rosamunde hatte die Angewohnheit, die Waren anzupacken, zu drücken, daran zu schnuppern, wieder zurückzulegen, bis sie ein passendes Stück gefunden hatte. Auch heute begann sie damit. Ihr Blick war derart feindlich, dass keiner wagte, sie dabei zu unterbrechen. Bis auf einen älteren Herrn. Er schob seinen Einkaufswagen neben den ihren.
„Gnädige Frau“, sagte er, „Sie verursachen Druckstellen auf den Früchten, das tut ihnen nicht gut.“
Rosamunde fuhr herum. „Was geht Sie das an? Gehört der Laden Ihnen, oder was?“
Der Mann, dessen Haar schlohweiß war, grinste über das ganze braungebrannte Gesicht. Er antwortete: „Ich möchte genau diesen Bund Spargel haben, den Sie in der Hand halten.“
Sie starrte auf die weißen Stangen, drehte sie verlegen zwischen den Fingern und erschrak furchtbar, als sie die Hand des Fremden, warm und trocken, spürte, die sich sanft um ihre legte. Nun hielten beide das Gemüse.
„Was wollen Sie?“, krächzte sie.
„Sie kennen lernen. Sie haben ein reizendes Gesicht. Außer Sie beißen, wie jetzt gerade, die Zähne zusammen, da kriegen Sie ein bisschen was von einer Bulldogge.“
Rosamunde blieb kein Raum für eine boshafte Entgegnung, denn er sagte: „Wissen Sie, dass Spargel gute drei Jahre braucht, bis man ihn ernten kann? Ein heikles Pflänzchen, nicht wahr?“ Er streichelte dreist ihre Hand. „Es ist jetzt Spargelzeit. Wollen wir welchen zusammen essen?“
Rosamunde riss sich entnervt los. „Was soll das alles?“, rief sie.
Unbeeindruckt davon sagte er: „Mit jungen Kartoffeln und heißer Butter.“ Er nahm Rosamunde sanft am Ellenbogen. „Sie sind allein und sauer auf die ganze Welt. Ich bin allein, aber gut auf sie zu sprechen, denn man lebt nur einmal. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Er ließ ihren Arm wieder los und packte zwei prächtige Bund Solospargel in seinen Einkaufskorb.
„Kommen Sie“, sagte er und Rosamunde folgte ihm verwirrt zur Kasse, zum Ausgang, zu seinem Wagen. Dann zitterten ihr die Knie und sie floh.
„Wir sehen uns!“, rief er ihr nach.
Auf dem Heimweg ärgerte sie sich maßlos über den Kerl und seine charmante Art, über sich selbst, weil sie gekniffen hatte vor lauter Angst. Was hatte sie schon zu verlieren?
Rosamunde begann, sich immer zur selben Uhrzeit beim Gemüsestand aufzuhalten. Kam ihr Verehrer an, schmetterte sie seine Annäherungsversuche sogleich spröde ab. Doch er war ausdauernd.

Ein Jahr später saßen Rosamunde und Horst in seinem kleinen Garten, schmausten das edle Gemüse und tranken trockenen Weißwein dazu.
„Hast du gewusst, dass die alten Römer den Spargel der Göttin Venus weihten, weil er ein Aphrodisiakum ist? Aber er soll auch gut gegen Hüftschmerzen wirken, was ja mehr unserem Alter angemessen ist, oder?“ Er zwinkerte ihr amüsiert zu.
„Prost!“, sagte Rosamunde und lächelte.

Letzte Aktualisierung: 18.11.2009 - 12.18 Uhr
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