Ganz schön bissig ...
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November 2009
Kreuzfahrt auf der Bellariva
von Gisela Reuter

Aus halb geöffneten Augen beobachte ich, wie sich meine Liegennachbarin Sonnenöl in ihr ausladendes Dekolleté kippt. Mit flinken Bewegungen verteilt sie es eifrig auf der nicht mehr ganz jungen Oberfläche. Ihre feuerrot lackierten Fingernägel leuchten und die Brillianten an ihren Ringen funkeln in der Sonne.
„Mathilde, wat meinsse – kleines Tänzken heut Abend mittn Käpt’n?“ kräht sie fröhlich zur anderen Seite, wischt ihre öligen Finger an der Orangenhaut ihrer Oberschenkel ab und klatscht freudig in die Hände.
Mathilde schreckt aus dem Schlaf hoch, sortiert ihren Busen im zu knappen Bikinioberteil und nickt begeistert. „Aba klar doch. So’n schicken Mann krieg’n wa nich alle Tage auffe Tanzfläche. Darauf müssn wa aba gleich ein’n trinken, woll?“
Genüsslich räkelt sich Miss Orangenhaut in froher Erwartung auf den heutigen Abend auf ihrer Liege, die unter ihrem Gewicht zu quietschen beginnt, und zwinkert Mathilde verheißungsvoll zu. Mathilde kichert, bekommt vor Aufregung rote Bäckchen und überlegt laut, mit welchem Getränk man darauf anstoßen könnte. Schnaufend wuchtet sie sich hoch, um die Bar zu stürmen.
Der arme Käpt’n. Bestimmt würde er lieber mit mir tanzen. Wenn ich auch nicht eine solch beachtliche Oberweite aufweise, nehme ich es mit euch alle Male auf. Jawoll, ihr Kreuzfahrt-Diven, da werden euch die Klunker wohl nichts nutzen. Der Käpt’n gehört mir. Amüsiert schließe ich die Augen.

Die Kapelle gibt alles. Wohlbetuchte Herren schieben wohlbetuchte Damen keuchend übers Parkett. In meinem bodenlangen schwarzen Abendkleid komme ich mir sehr elegant vor und tanze stolz und gazellengleich mit dem Ersten Steward am Arm an Mathilde und Miss Orangenhaut vorbei, die lüstern zum Käpt’n schielen. Seit geschlagenen zwei Stunden kleben sie auf ihren Barhockern und warten vergeblich auf das erhoffte Tänzchen. Sie trösten sich mit dem mittlerweile wohl achten Glas Champagner, kichern laut und versuchen aufreizend ihre Beine übereinander zu schlagen. Tja, Mädels, das sieht nicht gut aus, für euch.

Des Käptns Blick ruht auf mir. Er steht in den Startlöchern. Und mit den letzten Tönen von ‚Azzurro’ steht er neben uns und klatscht ab. Der Steward übergibt mich ungern und ehe ich mich versehe, gleite ich in den starken Kapitänsarmen über die Tanzfläche. Mathilde wird vor Neid grün im Gesicht und Miss Orangenhaut wendet sich beleidigt ab. Mein Herz schlägt höher.
Ich lasse mich führen. Eins zwei – tscha tscha tscha. Wow, der Mann kann tanzen. Ich schwebe. Seine Hand liegt fest auf meinem Rücken. Wir drehen uns und schauen uns in die Augen. Ich schenke ihm mein bezauberndstes Lächeln und er lächelt verführerisch zurück. Eins zwei – tscha tscha tscha. Lieber Gott, lass diesen Tanz nie zu Ende gehen.

Die übrigen Passagiere applaudieren, der Kapellmeister verbeugt sich und wir tanzen einfach weiter. Wir sind wie im Rausch. Der Käpt’n zieht mich nah zu sich heran. Die Kapelle hat Erbarmen und setzt, angereichert durch einen aufgedonnerten Zarah-Leander-Verschnitt, wieder ein. „Ich weißßß – äss wirrrrrd – einmal ein Wundärrrrr – geschehhhhn …“, gurrt Zarah hingebungsvoll ins Mikrofon.

Der Käptn summt leise mit und ich schmelze dahin. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter. „Ein wunderbarer Abend“, raunt er mir ins Ohr und ich spüre, dass ich erröte. „Es ist so heiß hier, komm, lass uns an Deck gehen“, raunt er weiter. Ich nicke unmerklich und lasse mich willig von ihm an den Barhockern vorbeilenken. „Dat is ja wohl nich wahr getz“, zischt Mathilde erbost Und Miss Orangenhaut leert verzweifelt in einem Zug ihr Champagnerglas.
Die frische Luft kühlt unsere Gemüter nur unwesentlich. Der Käptn hält mich fest umschlungen. Sanft und leise plätschert das raue Meer gegen die Schiffswand. Der Mond und die Sterne leuchten auf uns herab und ich zerfließe an der breiten Kapitänsbrust. Er nimmt mein Gesicht in seine Hände, schaut mich lange und zärtlich an, und dann nähert sich sein Mund dem meinen. Bevor ich meine Augen schließe, sehe ich eine mannshohe Welle auf uns zukommen. Vorsicht! will ich rufen, aber er verschließt meinen Mund mit seinen Lippen. Die Welle schwappt über uns. Ich spüre die Nässe am ganzen Körper. Der Kuss ist klebrig.

„Aua!“
Der Schrei und das Plumpsen reißen mich aus dem Schlaf. Erschrocken öffne ich die Augen. Mathilde im zu kleinen Bikini liegt neben mir auf den Schiffsplanken. „Dat is abba glitschig hier.“ Sie hält zwei leere Cocktailgläser in den Händen und schaut fassungslos zu, wie deren Inhalt bedächtig von meinem Kinn und meinem Oberkörper auf meine Liege tropft. Und von dort aus zu Boden.
Miss Orangenhaut hilft Mathilde kichernd beim Aufstehen. Ich erhebe mich leise fluchend und stakse über die bunte Cocktail-Lache, in der Obststückchen und ein grelles Fähnchen schwimmen.

Natürlich kommt mir auf dem Weg zur Kabine der Käpt’n entgegen. Und natürlich starrt er mich an. Und weist mich dezent darauf hin, dass etwas Gelbes an meiner Wange herunter sabbert. Ananassirup. Batida de Coco. Verschämt versuche ich es mit meinen klebrigen Fingern wegzuwischen und stottere gleichzeitig etwas von Cocktails und von Mathilde, die über irgendetwas gestolpert ist. Mit der anderen Hand klaube ich noch hastig eine Zitronenscheibe von meinem Badeanzug. Der Käpt’n schüttelt irritiert den Kopf und setzt eilig seinen Weg fort.

Ich glaube, heute Abend werde ich in der Kabine bleiben und ein Kreuzworträtsel lösen.





© Gisela Reuter

Letzte Aktualisierung: 19.11.2009 - 10.13 Uhr
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