Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Dezember 2009
Nachtlichter
von Susanne Ruitenberg

Ich war spät ins Bett gegangen, eine Flasche Wein intus, meine neue Angewohnheit, seit Doris weg ist. Wie ein Klotz schlief ich, bis der Hund ein Heidenspektakel veranstaltete. Er kläffte und kratzte an meiner Tür. „Hugo, Schnauze!“, rief ich und öffnete die Augen einen Spalt. Ich lag auf dem Rücken, sicher hatte ich geschnarcht. Da hätte die Alte glatt wieder einen Fön gekriegt. „Scheiße, was ist das denn?“, entfuhr es mir und ich schirmte meine Augen ab, die von einem gleißenden Licht gepiesackt wurden. War ich besoffen? Kann nicht sein, nach einer harmlosen kleinen Flasche. Über meinem Bett schwebte ein Lichtball, eine kleine Sonne; das Ding rotierte und gab ein Knistern von sich, das mich an Wunderkerzen erinnerte. „Hol’s der ...“ Ich wagte nicht, den Rest auszusprechen. Was war das? Vor allem, war es gefährlich? Vorsichtig schlug ich die Decke zurück und drehte mich, so dass ich die Beine auf den Boden stellen konnte. Dabei knarrte das Bettgestell. Wie oft hatte Doris gemotzt, ich solle endlich die Schrauben anziehen, sie sei es leid, bei jeder Bewegung von mir geweckt zu werden. Nun ja, seit sie mit diesem Typen durchgebrannt ist, meckert niemand mehr und so knarrt es immer noch. Täuschte ich mich, oder wurde die Sonne heller? Das war mir zu bunt. Ich ging drei Schritte vom Bett weg, das Ding folgte meiner Bewegung. Mit geducktem Kopf sprintete ich los und bekam den Türknauf zu fassen. Dummerweise hat Tante Agathe, der das Haus früher gehörte, diese runden Türknäufe aus Amerika angebracht, weil sie die im Kino so toll fand. Ob es an meinen verschwitzten Händen lag, ich bekam ihn nicht richtig zu fassen. Hinter mir wurde es heller, schon spürte ich, dass mein Rücken brannte und es roch nach angesengter Baumwolle. „Ich will hier raus“, kreischte ich und rüttelte an der Tür, prompt fing Hugo wieder an, zu bellen. Blöder Köter, hätte er nicht aufpassen können, dass das Ding nicht ins Haus eindringt? Endlich drehte sich der Knauf; ich riss die Tür auf, schlüpfte hinaus und zog sie hinter mir zu. Geschafft, die Sonne war eingesperrt. Hugo lag im Flur, flach auf den Boden gedrückt, mit angelegten Ohren und eingekniffenem Schwanz. Er winselte leise, als er mich sah. Was nun? Die Feuerwehr anrufen? „Entschuldigen Sie die Störung, mein Name ist Alfred Klüber, eine Miniatursonne ist in mein Haus eingedrungen, können Sie kommen, und sie wieder einfangen?“ Da kämen höchstens die Typen in den weißen Kitteln mit der tollen Jacke, die auf dem Rücken zugebunden wird. Nein, das war keine Option. Ich musste ... Ungläubig starrte ich auf die untere Türkante. Als hätte jemand im Zimmer eine leuchtende Flüssigkeit verschüttet, lief eine Pfütze von Licht unter der Tür hindurch, sammelte sich und plusterte sich wieder zur Sphäre auf. Langsam schwebte sie nach oben. Hörte ich ein höhnisches Kichern, oder bildete ich mir das ein? Hugo bellte zwei Mal, dann machte er kehrt und rannte die Treppe hinunter. Ich wollte ihm hinterher stürzen, da fiel mir der Feuerlöscher ein. Doris hatte panische Angst vor Feuer und darauf bestanden, in jedem Raum einen anzubringen. Ich riss ihn von der Wand und hielt mit dem Löschschaum auf die Kugel. Im Nu war sie voll von dem Zeug, dann gab sie ein Zischen von sich, in meinem Kopf dröhnte ein wütender Schrei, als hätte ich einen Dämon im Schädel sitzen. Der Schaum verdampfte und sie erstrahlte in giftigem Grün. Mit einem „Oh-oh“ ließ ich den Feuerlöscher fallen und sprintete nach unten. Sie flog mir hinterher. In den Keller!, schoss es mir durch den Kopf. „Hugo, hierher“, rief ich, und öffnete die Tür. Wir hechteten die Treppe hinab. War natürlich galoppierender Blödsinn, ich hatte doch gesehen, dass das Ding unter der Türkante durchschlüpfen konnte. Zuerst verschanzten wir uns im Vorratskeller. Da würden wir wenigstens nicht verhungern, während sie uns festhält, dachte ich. Hugo schmiegte sich an mein Bein und fiepte. „Hast du Hunger?“ Ich holte ihm ein paar Krokkies aus dem Futtersack. Er kaute lustlos darauf herum. In einem alten Pott stellte ich ihm etwas Mineralwasser hin. „Siehst du, hier können wir warten bis ...“
Der Wassernapf warf einen Schatten.
Einen scharfen Schatten.
Einen durch die Kellerlampe mitnichten zu rechtfertigenden Schatten.
Licht spiegelte sich im verbeulten Aluminium. Wie in Zeitlupe drehte ich mich um. „Oh nein!“ Unter der Tür war ein gleißender Lichtschein zu sehen, obwohl es eine besonders dichte Sicherheitstür ist, weil im Nebenraum meine kostbaren Weine lagern.
„Raus hier, zur Garage“, schrie ich. Zum Glück gibt es eine Treppe, die Garage und Vorratsraum verbindet. Auch Tante Agathes Idee, damit man Einkäufe nicht durch das halbe Haus tragen muss. „Hugo, komm“, rief ich und riss die hintere Tür auf. Ich drückte auf den Lichtschalter. Die Treppe blieb dunkel. Was würde noch alles schief gehen? Vor meinem inneren Auge sah ich Spinnen, die sich von der Decke abseilen, um in meinem Haar zu nisten, und Ratten auf den Stufen tanzen, dabei würde sich nicht einmal eine Filzlaus hier reintrauen, schließlich hatte meine Frau einen Putzfimmel. Doch Jammern half uns nicht weiter. Im Stockfinsteren arbeiteten wir uns nach oben. Hugo blieb mir so dicht zwischen den Beinen, dass ich beinahe über ihn gefallen wäre. Oben riss ich die Tür zur Garage auf und hämmerte auf den Lichtschalter. Sparlampen erwachten langsam und warfen ihr Schummerlicht in den Raum. Was jetzt? Mir fiel auf, dass ich immer noch im Schlafanzug war. Mist, ich hätte im Keller nach Klamotten suchen ... aber hier in der Garage hatte ich eine alte Jeans, ein löchriges Sweatshirt und die Gummistiefel. Schnell streifte ich alles über. Hugo fiepte und sah an mir vorbei. Licht schien unter der Tür hindurch. Gut die Hälfte von dem Biest war schon auf unserer Seite. Uns blieb nur, uns ins Auto zu werfen und zu fliehen. Ich riss die Kofferraumtür des Kombis auf. „Hugo, rein!“ Der Hund sprang auf seine Decke. Die Sonne hatte inzwischen den Türspalt überwunden und schwebte in den Raum. Sie summte in einem hohen Ton, als wolle sie sagen: „Flucht ist zwecklos, du gehörst mir.“ Ich warf den Kofferraum zu, da flog sie zum Auto und blieb direkt vor der Fahrertür in Schwebe. In meinem Kopf hörte ich „Nä nä nä nä nääää nääää!“, wie Kinder, wenn sie sich gegenseitig reinlegen. Mist, woher wusste die, wie man ein Auto bedient? Wie sollte ich jetzt hinein kommen? Ich drehte mich um und schlenderte Richtung Treppe, so, als ginge mich das alles nichts mehr an.
Sie kam mir hinterher. Sehr gut.
Ich wendete blitzschnell, umrundete das Auto und wollte die Beifahrertür aufreißen, da schoss sie los und hüllte meinen Arm bis zum Ellenbogen ein. Beißender Schmerz breitete sich über meine Haut aus, mit einem Aufschrei sprang ich einen Schritt nach hinten. Was jetzt? Ein Rinnsal Schweiß lief langsam zwischen meinen Schulterblättern hinab. Die Garage wurde unerträglich heiß, trotzdem stellten sich nacheinander alle meine Härchen auf.
Zwei Schritte Richtung Kofferraum, sie direkt hinter mir. Da schoss ich im Bogen um sie herum, lief vor dem Auto entlang, riss die Fahrertür auf und warf mich hinein. Sie zischte heran und versuchte, sich ins Auto zu drängen. Ich konnte gerade noch die Tür zuschlagen. Dabei musste ich ein kleines Eckchen eingeklemmt haben. Ein murmelgroßes Lichtklümpchen fiel auf mein Hosenbein und brannte ein Loch hinein. Ich schrie auf, fegte es nach unten und trat es aus. Sie kreischte draußen, als ich ihre Brut tötete, und schwebte dicht ans Fenster heran.
Das Glas knackte.
Die Scheibe schwitzte dickflüssige Tropfen.
Gleich würde das Biest ein Loch hineingebrannt haben!
Auf einmal zuckte sie zusammen, als hätte sie etwas gehört, entfernte sie sich vom Auto, schwebte zur Garagentür und war verschwunden. Wie das? Hatte das Mutterschiff sie zurückgerufen? Der Teufel ihr andere Opfer anbefohlen? Sie sich verausgabt? Egal, Hauptsache, sie war weg. Wir waren frei!
Mit meiner linken Hand fischte ich nach dem Ersatzschlüssel, den ich immer im Auto verstecke. Die rechte ließ sich kaum biegen, die Haut sah aus wie ein zu lange gegrilltes Hähnchen und brannte höllisch. Gut, dass ich Linkshänder bin. Endlich bekam ich ihn zu fassen, friemelte ihn ins Schloss, wollte ihn umdrehen. Da blickte ich hoch und erstarrte. Ungläubig sah ich auf die Garagenfenster.
Es ist drei Uhr nachts. Aber draußen ist es taghell.
Die Sonne scheint.
Eine – oder viele?
Ja, jetzt sehe ich sie tanzen, das Licht wabert vor den Scheiben entlang.
Sie freuen sich auf mich und planen, was sie alles mit mir anstellen wollen. Wie das Murmeln einer feindseligen Menschenmenge höre ich sie in meinem Kopf. Im Kruscht im Handschuhfach habe ich einen alten Block gefunden und einen Stift, damit schreibe ich jetzt auf, was uns passiert ist, und werfe ihn aus dem Auto. Danach werde ich die Garage öffnen und herausfahren, egal, was kommt. Ich glaube nicht, dass wir überleben werden. Wenn jemand diese Zeilen finden sollte: Fliehen Sie, wenn Sie eine Minisonne sehen. Sofort. Egal wohin.

P.S. Sagen Sie Doris, sie kann das Haus haben. Aber ihr Typ soll die Finger von meiner Weinsammlung lassen.

Letzte Aktualisierung: 27.12.2009 - 15.57 Uhr
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