Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Dezember 2009
Herbergssuche
von Barbara Hennermann

Heulend zog der Wind um das Haus und peitschte den Regen an die Scheiben.
Peter trat vom Fenster zurück und zog die schmuddelige Gardine wieder zu. Die Leuchtbuchstaben draußen flackerten grellroten Flammen gleich das Wort M o t e l an die gegenüberliegende Wand. Belsazars Menetekel? Er lachte bitter auf und ließ sich rücklings auf das schmale Bett fallen. So ein Schmarren! Endlich hatte er den Mut gefunden, das zu tun, was er seit vielen Jahren längst hätte tun müssen – ein Ende gesetzt.

Schwerfällig griff er nach dem Whiskyglas, das am Nachttisch stand. Das Brennen des Alkohols in seiner Kehle unterstrich beißend die Billigkeit seiner Umgebung. Fusel. Nichts, was in seinem früheren Leben auch nur entfernt an ihn herangekommen wäre. Wut packte ihn. Wut, dass das Leben ihn in diese Absteige gedrängt hatte. Wut, dass er dem nichts mehr entgegen zu setzen hatte. Knirschend zersplitterte das Glas in seiner rechten Hand, Blut tropfte auf den verfleckten Teppich. Fluchend riss er das Handtuch vom Haken und wickelte es um die Schnittwunde.
Die Schatten huschten weiter wie blutrote Finger über die Wand. Erst jetzt fiel ihm auf, dass da ein Kalender hing. Die Zahlen tanzten im roten Licht: 24. Dezember … Wieder lachte Peter auf, doch es klang eher wie ein trockenes Schluchzen. Das hatte er tatsächlich völlig vergessen! Er würde also an Weihnachten alleine sein - hier, in diesem heruntergekommenen Motel.
Draußen strömte der Regen weiter gleichmäßig gegen die Fensterscheiben. Peter öffnete den Fensterflügel, um frische Luft in das muffige Zimmer zu lassen. Mit dem Tosen des Windes wurden Wortfetzen an sein Ohr getragen. Er erkannte die quäkende Stimme des Motelbesitzers. „..unmöglich…..belegt…..zu teuer….gehen….neben dem Highway…. Station“. Eine zweite Stimme sprach, ruhig und beherrscht. Peter konnte den Wortlaut im Dröhnen des Sturmes nicht verstehen. Er beugte sich aus dem Fenster, um etwas erkennen zu können. Breitbeinig verstellte der Wirt den Eingang. Zwei schmale Gestalten standen im strömenden Regen, die eine davon schien eine Frau zu sein. Ärgerlich schlug Peter das Fenster zu. Penner. Was hatte er mit ihnen zu schaffen?

Blutrote Finger huschten über die Wand. Vierundzwanzigster Dezember. Er hatte den Eindruck, als bewege sich der Kalender an der Wand. Plötzlich zog es ihn hinaus aus dem Zimmer, hinunter zum Eingang des Motels. Immer noch versperrte der Wirt den Eingang, immer noch standen die beiden Gestalten im Regen draußen. Er hatte richtig beobachtet, die eine davon war eine Frau, eingehüllt in einen Kapuzenmantel, der bis zu den Fersen reichte. Das Wasser rann aus ihren langen blonden Haaren über das blasse Gesicht. Als sie den Blick auf ihn richtete, fuhr es wie ein Blitz durch seinen Körper. Sie schien ihm bekannt, vertraut – dabei war er sich sicher, dass er sie noch nie gesehen hatte. Er löste sich aus ihren blauen Augen, blickte kurz auf den Mann, der sie begleitete, räusperte sich. „Lassen Sie die beiden rein!“, fuhr er den Motelbesitzer an, der verdattert zur Seite huschte. „Ich werde die Kosten übernehmen.“

Wortlos stiegen die beiden hinter ihm die Treppe hinauf, betraten das schmuddelige Zimmer. Die Frau hängte ihren nassen Mantel über die Stuhllehne. Erst jetzt bemerkte Peter die Wölbung ihres Leibes. Sie war hochschwanger! Ihr Mann - ihr Mann? - sah Peter gerade ins Gesicht. „Danke. Wir hatten oben am Highway eine Panne. Wir sind auf dem Weg nach Bethlehem. Eigentlich sollten wir schon dort sein.“ Er lächelte schief. Die Frau hatte sich auf den Stuhl gesetzt, ihre Hände ruhten schützend auf dem Ungeborenen. Wieder traf ihn ihr Blick, elektrisierte ihn. Noch bevor sie anfing zu sprechen, wusste er, dass sie wusste … Ihre Stimme klang dunkel und sanft. „Peter – woher kannte sie seinen Namen? – Peter, warum hast du das getan? Wir hätten deine Hilfe gebraucht.“ Heftig schüttelte er den Kopf, trotzig wie ein Kind. „Ich habe doch geholfen! Die Not gelindert, die Leidenden geschützt …“ Die Worte brannten wie der billige Fusel in seiner Kehle. Falsch, alles falsch! Wieder erhob sie Stimme, fast zärtlich klang sie nun. „Nein, Peter, du hast nur dir geholfen, Geld gescheffelt, ebenso wie deine Partner. Du bist nie ein wirklicher Arzt gewesen, hast nie wirklich versucht, zu helfen.“
Es stimmte, was sie sagte. Er hatte in der Gemeinschaftspraxis mit den drei Kollegen ausschließlich Abtreibungen durchgeführt. Letzte Woche war ihm ein Eingriff zum ersten Mal misslungen. Eine blonde Frau war unter seinen Händen verblutet, er hatte versehentlich eine innere Vene durchtrennt. Natürlich wurde alles vertuscht, natürlich wäre ihm nichts passiert, natürlich hätte er nicht die Flucht ergreifen, alle Brücken hinter sich abbrechen müssen. Denn das war ihm klar geworden, dass er nach dieser Woche „Auszeit“ keinen Fuß mehr in die Praxis, in sein altes Leben, setzen würde.
Er hob den Kopf. Ihre schimmernden Augen bannten ihn, hielten ihn fest. Nein, das konnte nicht sein, das war doch unmöglich … Die sanfte Stimme unterbrach seine Gedanken. „Peter, ich bin gekommen, um mir wiederzuholen, was mir gehört. Bitte, leg dich auf das Bett.“ In diesem Augenblick trat auch ihr Begleiter aus dem Schatten, die rote Schrift strahlte ihn an. „…Und sieh! Und sieh! An weißer Wand da kam´s hervor wie Menschenhand und schrieb und schrieb an weiße Wand Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand …“

Eine große Ruhe erfasste Peter, als er sich ausgestreckt auf das knarrende Bett legte. Der Mann trat neben ihn und schob ihm den rechten Hemdsärmel nach oben. Das blutgetränkte Handtuch rutschte zu Boden. Sorgfältig legte der Mann die Bandage um Peters Oberarm, zog sie an, bis die Vene blau und stark auf der hellen Haut sichtbar wurde. Mit starken Schlägen pulsierte das Leben durch sie. Der Einstich der Spritze war kaum spürbar und es dauerte nur wenige Momente, bis das Pulsieren zum Stillstand kam.

Der Motelbesitzer stand noch immer breitbeinig im Hauseingang, als das Paar von Nummer 24 an ihm vorbeihuschte. Die Frau trug ein warm eingewickeltes, offenbar Neugeborenes im Arm, dessen rechte Hand mit einem weißen Tuch bandagiert war. Ein leises Weinen hob seine Brust und beruhigend sprach die Mutter mit sanfter Stimme auf den Säugling ein. Der Motelbesitzer beschloss, dem Gast von Nummer 24, einem Doktor Peter Fisher, eine Person mehr und zusätzlich eine erhöhte Zimmerreinigungsgebühr auf die Rechnung zu setzen. Es war ja unübersehbar, dass dieses blonde Flittchen da eben erst entbunden hatte!

Ächzend stieg er die Treppe hinauf und klopfte unsanft an die Tür mit der Nummer 24 …

Letzte Aktualisierung: 13.12.2009 - 14.25 Uhr
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