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Dezember 2009
Rabenschwarze Dinte
von Regina Lange

Jason war endlich am Ziel und die Mühe der monatelangen Recherchen hatte sich hoffentlich gelohnt. Er stand in einem Antiquitätenladen und wartete geduldig, bis eine Kundin ihren Einkauf in die dafür vorgesehene Tasche verstaute. Jason sah sich um. Die Vielfalt der Altertümchen und die vollgestopften Regale brachten ihn zum Staunen. Nie hätte er gedacht, dass dieser von außen so unscheinbare Laden so viele Werte beherbergen würde. Aber Jason war nur aus einem Grund hier und hoffte inständig, fündig zu werden.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ein alter Mann hinter einer Ladentheke, die vermutlich aus den dreißiger Jahren stammte.
Jason wurde aus seinen Gedanken gerissen. Er räusperte sich.
„Ich suche etwas ganz Bestimmtes!“
„Nun, das ist der älteste Antiquitätenladen im Umkreis von tausend Kilometern. Sie werden hier sicherlich das finden, wonach Sie suchen!“
„Das dachte ich mir schon. Es geht mir um einen ganz bestimmten Füllfederhalter aus dem 17. Jahrhundert.“
„So ein altes Stück?“
„Ja, die Feder soll aus purem Gold und wundervoll verziert sein. Ich habe sogar ein Bild, aus dem Internet …“
Jason reichte es dem Alten.
Der erschrak und sah schlagartig leichenblass aus.
„Geht es Ihnen nicht gut, Sir?“, fragte Jason mit besorgter Miene.
„Doch, ja … Was haben Sie damit vor?“
„Ich bin leidenschaftlicher Sammler von Füllfederhaltern und dieser würde meine Sammlung vervollständigen“, antwortete Jason.
„Kennen Sie denn auch die Geschichte um diesen Füllhalter?“, wollte der Alte wissen.
„Nun ja, ich habe da so Einiges gehört und gelesen. Aberglaube oder Ammenmärchen. Zeigen Sie ihn mir jetzt?“
„Junger Mann, Sie sollten auf der Hut sein. Der Füllfederhalter lässt sich seinen Tribut zollen. Ich kann Ihnen nur einen Rat geben: Benutzen Sie ihn nie!“
Der alte Mann ging zu einem Schrank und kramte in der untersten Schublade. Er holte eine mit Staub bedeckte Schachtel hervor.
„Hier, bitte“, flüsterte er und reichte Jason die Schachtel, hielt sie aber noch fest in seinen Händen, wollte sie nicht loslassen.
„Ich warne Sie! Sobald Sie diesen Federhalter benutzen, gehören Sie ihm mit Leib und Seele. Er wird Sie nicht in Ruhe lassen und Sie quälen, Tag und Nacht. Jeder, der ihn in Gebrauch nahm, ist am Ende dem Wahnsinn verfallen.“
Jason lachte.
„Aber Sie doch nicht, oder?“
Jason zog etwas fester an der Schachtel und hielt sie schließlich in seinen Händen.
„Ich habe nie damit geschrieben, ihn ignoriert und liegen gelassen. So recht wohl fühlte ich mich aber nie dabei.“
„Warum haben Sie ihn denn nicht weggeworfen?“, fragte Jason ohne seinen Blick von der Box abzuwenden.
„Er ist verflucht! Sie können sich nicht so einfach von ihm befreien!“ Der Alte riss seine Augen weit auf und starrte Jason in die seinen.
Der Typ leidet wahrscheinlich an Altersstarrsinn. Lächerlich.
„Ist er noch unversehrt?“
„Das Alter sieht man ihm nicht an. Nur sehr wenige Menschen besaßen ihn.“
Jason stockte der Atem und sein Herz schlug vor Aufregung schneller in der Brust. Seine Augen leuchteten, als er den Deckel abnahm.
„Wunderbar. Ja, das ist er. Wahnsinn!“
„Ein Fläschchen rabenschwarze Dinte ist auch noch da. So rabenschwarz und düster wie der Federhalter selbst“, murmelte der Alte.
„Was?“
„Dinte, ein alter Begriff für schwarze Tinte. Bitte nehmen Sie meine Warnung ernst!“
„Ich werde es mir merken! Danke!“
Danke, du alter Narr. Jason bezahlte und verlieĂź den Laden.

Er bestaunte sein neu erworbenes Schreibgerät und putzte es liebevoll. Die Feder war noch intakt und tatsächlich aus purem Gold. Wunderschön verziert. Er tauchte die Feder ins Fass und der Federhalter sog gierig die Tinte in sein Innerstes. Jason nahm ein Blatt Papier und begann in seiner besten Handschrift zu schreiben.
Wunderbar, welch’ eine Qualität und das nach so vielen Jahrzehnten, Jahrhunderten.
Das Papier sog aus der Spitze der Goldfeder die Tinte heraus und das Schriftstück füllte sich mit Wörtern. Zufrieden legte er den Füllfederhalter zu seiner Sammlung in die Vitrine.

Jason schrieb und schrieb, füllte leere Blätter mit Worten. Wenn er abends nach Hause kam, schrie der Füllfederhalter förmlich aus der Vitrine. Er musste täglich zur Feder greifen und Worte zu Papier bringen. Jason konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Der Federhalter bestimmte seinen Tagesablauf. Die Wochen und Monate vergingen wie im Taumel. Seine Sinne blickten in eine andere Wirklichkeit. Er nahm Dinge wahr, die in der materiellen Welt nicht zu finden waren. Es folgten schlaflose Nächte und Appetitlosigkeit. Der Federhalter ließ ihn nicht in Frieden. Jason war verzückt und im Wahn. Er beschäftigte sich schon lange nicht mehr mit normaler Korrespondenz, sondern kritzelte ständig die gleichen Worte aufs Papier. Wusste nicht weshalb. Jason spürte eine aufkommende Mordlust und den blutrünstigen Killer in ihm. Aber er konnte nicht mehr einschätzen, ob es eine körperliche oder geistige Verwandlung war. Die Realität rückte in weite Ferne. Das Grauen nahm seinen Lauf …

***
Immer wieder das gleiche Bild. Düstere Nacht. Vollmond. Nebel waberte in der Nacht über die Landschaft und sah wie eine Wolke in Bodennähe aus. Es war mittlerweile Herbst. Der Boden wurde immer kühler. Ich lief wie besessen durch einen mit Laubbäumen dicht bewachsenen Wald.
Mich dĂĽrstet so fĂĽrchterlich. Doch ich mag kein Wasser. Mich dĂĽrstet es nach Blut und rohem Fleisch.
Getrieben von unstillbarer Gier nach Fleisch und Blut hetzte ich durch den Wald. Die Äste der Bäume peitschten in mein Gesicht. Es schmerzte auf meiner nackten Haut. Ich heulte auf und rannte weiter. Plötzlich vernahm ich einen süßlichen Geruch. Danach jagte ich bereits seit Stunden. Es roch nach Blut. Ich brauchte es. Jetzt. Ein Reh graste friedlich am Waldesrand. Der Wind stand günstig. Es konnte mich nicht wittern. Eine Weile beobachtete ich das Wildtier, verfolgte es im Windschatten. Das Wild hatte keine Ahnung, in welcher Gefahr es sich befand. Im richtigen Moment setzte ich zum Sprung an und hing meiner Beute an der Kehle. Mein Opfer wehrte sich verzweifelt. Schrie. Schlug mit den Hufen um sich. Doch ich war stärker und zerrte, riss das Fleisch aus dem Hals heraus. Wohlige Wärme durchströmte meinen Körper. Wieder und wieder und immer wieder biss ich in den leblosen Körper wie im Rausch. Das Blut betörte mich. Konnte nicht aufhören. Bis ich zuletzt nur noch auf Knochen stieß. Ich ließ von dem Kadaver ab, legte mich hin und fiel in einen Dämmerschlaf. Wie immer erwachte ich in den frühen Morgenstunden. Fliegen umschwirrten das Aas und meinen mit Blut überströmten nackten Körper. Übelkeit stieg in mir auf. Ich würgte. Wie lange musste ich das noch ertragen?

***
Diane joggte, wie jeden Morgen, bevor sie zur Firma fuhr. Immer die gleiche Strecke durch das nahegelegene Waldstück. Hier konnte sie frei atmen. Keine Abgase. Keine Menschenseele. Plötzlich vernahm sie ein leises Wimmern. Diane konnte das Geräusch nicht einordnen.
Sollte etwa jemand hier im Wald …? Verletzt …?
Diane lief weiter und näherte sich dem Gejammer. Abrupt stoppte sie und versuchte, die Richtung der undefinierbaren Laute ausfindig zu machen. Diane ging vorsichtig durch das Gestrüpp und schrie plötzlich vor Entsetzen. Auf dem Waldboden kauerte ein halbnackter Mann mit Schaum vor dem Mund. Seine Augen rollten wirr umher. Sie hielt einen Sicherheitsabstand und tippte 911 ins Display ihres Handys.

Sie begleitete den fremden Mann im Krankenwagen. Diane kannte ihn nicht und dennoch hatte sie das Bedürfnis in seiner Nähe zu sein. Sie wartete sogar geduldig auf den Arzt, um zu hören, wie es um die Gesundheit des Mannes bestellt war.
„Sind Sie eine Verwandte?“, fragte der Arzt.
„Nein.“
„Eine Freundin, vielleicht? Kennen Sie den Mann?“
„Nein. Ich habe ihn heute zum ersten Mal gesehen. Er tat mir leid. Wie er so da lag …“, erwiderte Diane.
„Er hat keine Papiere bei sich. Wir haben die Polizei verständigt. Eventuell läuft eine Vermisstenanzeige.“
„Ist er verletzt?“
„Nein, bis auf die wenigen Kratzer auf seinem Körper ist er unverletzt. Ich habe einen Kollegen konsultiert wegen seines auffälligen Verhaltens“, fuhr der Arzt fort.
„Auffälliges Verhalten …, ich verstehe nicht …“
„Vermutlich Lykanthropie.“
„Wie bitte …? Was in aller Welt bedeutet das?“, fragte Diane kopfschüttelnd.
„Lykanthropie ist eine Form von Therianthropie. Er glaubt, dass er sich in jeder Vollmondnacht in ein Tier verwandelt.“
„Ein Tier? Wie …?“
„Er ist der festen Überzeugung ein Wolf zu sein und kriecht in seinem Zimmer auf allen Vieren herum.“
„Sie nehmen mich doch nicht auf den Arm, oder?“, wollte sie wissen und sah den Arzt ungläubig an.
„Nein, Sie können sich selbst überzeugen. Es ist wahrscheinlich eine Psychose. Eine Form der Geisteskrankheit. Nur, dass wir im Moment noch nicht sagen können, was die Ursache des Krankheitsbildes ist … Eine Sache ist allerdings untypisch“, bemerkte der Mediziner.
„Was meinen Sie?“
„Er hält krampfhaft einen Füller in der Hand …“


© Regina Lange

Letzte Aktualisierung: 24.12.2009 - 00.22 Uhr
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