Ganz schön bissig ...
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Dezember 2009
Urige Weihnacht
von Angela Schlenker

Nennen wir sie Skola.
Geruhsam, wenn auch nicht friedlich lebte das Skolopenderweibchen in einer längst versunkenen Periode der Erdgeschichte. Hundertfüßer konnten niemals friedfertig sein, als Jäger waren sie von Anbeginn gezwungen, Mitbewohnern das Leben zu nehmen. Deshalb teilte Skola die Welt auch nicht in gut und böse ein, sondern in genießbar und ungenießbar, wobei Letzteres in die Rubriken feindlich und uninteressant zerfiel. Ein starkes Gift half mit, den genießbaren Teil reichhaltig zu gestalten, während die Rubrik „feindlich“ minimiert wurde. Vielleicht lebte Skola nicht auf großen, sondern nur auf vielen Füßen, was aber bei einer Körperlänge von hundert Zentimetern eine recht relative Betrachtungsweise war. Dieser eine Meter wuselte armdick und elfenbeinfarben auf seinen Beinpaaren daher, nicht allein vorne trug er Giftklauen, sondern war ebenfalls hinten mit einer kräftigen Zange bestückt.
Gesättigt ruhte Skola unter einem flachen Stein in einer Mulde aus verrottenden Pflanzenteilen, als die Welt unterging. Ein winziges Wurmloch aus dem Weltall hatte sich ausgerechnet ihre Bettstatt zum Ziel erkoren und verzerrte beim Einschlag sämtliche Dimensionen. Skola wurde in einen Energieschlauch mit Lichtwänden aller Regenbogenfarben hinein gesogen. Wäre sie intelligent gewesen, sie hätte dahingehend protestieren können, trotz verdächtiger Körperform kein Wurm zu sein, aber Wurmlöcher nehmen auf solche Feinheiten ohnehin keine Rücksicht.
Als endlich die Anomalie sie wieder ausspeit, ist nichts mehr wie vordem. Sie findet sich plötzlich auf einer entsetzlichen, kalten, weißen Masse wieder. Gar nichts erinnert noch an ihr feuchtwarmes Zuhause. Nun gut, vielleicht der flache Stein, der glücklicherweise neben und nicht auf ihr landet. Außerdem verunzieren einige Überreste der alten Pflanzen die ansonsten blendend weiße Masse, deren Kälte Skola ins Innere greift. Der Kälte folgt sogleich die Angst. Skola hat zwar bei der Tortur fünf Beinchen eingebüßt, verfügt man aber über hundert davon ist ein solcher Umstand absolut vernachlässigbar. Nun prescht sie los so schnell sie der erkleckliche Rest an Beinen trägt.
Sie rennt einen sanften Hügel bergan, auf dem, vom Mondlicht beleuchtet, eine seltsam spitze und schmale Felsformation thront, einladend zeichnet sich darin ein dunkler Eingang ab. Daneben steht ein Baum, bespickt mit Leuchttieren. Bäume sind Skola bekannt, nicht aber dieser Duft. Auch die Leuchttiere verhalten sich seltsam, sie blinken nicht. Skola huscht ins Innere. Hölzer teilen dieses auf und einige Irrlichter beleuchten es. Immerhin, hier ist es etwas wärmer als auf der weißen Masse. Direkt vor ihr befindet sich eine kleinere Höhle innerhalb der großen. Die Vorderseite dieses Unterschlupfs ist nicht etwa durch den heimeligen, grünen Behang aus Moosen und Flechten verdeckt, sondern wiederum durch etwas Weißes. Trotzdem kriecht Skola darunter. Alsbald vermelden ihr ihre Sinnesorgane die Ankunft eines großen Geschöpfes. Aufgrund der Aufregungen aus dem Trott gebracht, könnte Skola in der Tat wieder etwas zu Essen vertragen. Ihre Fühler wedeln interessiert, während die Beute auf eigenartigen, klobigen Füßen vor ihrem Versteck hin und her wandert. Wie dem auch sei, Panzerungen durchaus gewöhnt, findet Skola zielsicher eine empfindliche Stelle. Ihr Gift benötigt nur wenige Minuten, um zu einem brauchbaren Ergebnis zu gelangen. Gleichwohl noch verängstigt, schiebt Skola die Beute mit Hilfe ihres kräftigen Körpers lieber außer Sichtweite in den Schlupfwinkel. Erst dort beginnt sie mit dem Mahl, dessen Außenhülle sich als eklig bis ungenießbar erweist, darunter aber, der weiche Kern ist nahrhaft und eigenartigerweise warm. Alles scheint hier irgendwie verdreht zu sein.
Nicht lange, dann erschallt ein geradezu infernalischer Lärm. Skola ist gar nicht in der Lage sich die Ohren zuzuhalten, sitzen die betreffenden Sinneszellen doch in ihren vielen Beinchen.

„wie war zumal es vor der Reise
im Paläozoikum doch so leise!“

Nunmehr füllt sich die große Höhle schnell mit Geschöpfen der Art, von der sie sich gerade eins zu Gemüte führt. Der Lärm ebbt ab, das Licht nimmt zu und der Geräuschpegel wandelt sich in ein Murmeln, manchmal unterbrochen durch ein wiederum penetrantes Pfeifen und Trillern. Da es sich immer als sinnvoll erweist, sich seiner Umwelt bewusst zu sein, schiebt Skola gelegentlich ihr Fühlerpaar unter dem weißen Vorhang hervor.
„Guck mal, Mami! Da unter dem Altar ist etwas!“
„Sch!“
Nach einiger Zeit: „Da ist ein Blutfleck!“
„Das ist kein Blut, sondern Rotwein.“
Nun ja, die Sache mit dem Blut und dem Wein war noch nie für alle so ganz eindeutig geklärt. In diesem Fall aber schon. Außerdem wird der Fleck langsam größer. Dass man das Tischtuch nicht bekleckert, noch nicht einmal seine senkrechte Seite, von diesen Tischsitten hat Skola nie jemand was erzählt. Sie benimmt sich also ganz unbedarft und speist weiter. Hin und wieder wird der Pfarrer während seiner Predigt auf ein ganz leises, nagendes Geräusch aufmerksam. Eine arme Kirchenmaus? Er nimmt sich vor, Gift auszulegen. Trotz allem verläuft der Rest der Messe unspektakulär. Die Menschen streben nach Hause und Skola beendet gesättigt und momentan zufrieden ihre Mahlzeit. Bald jedoch keimt Unbehagen auf, es wird zunehmend kälter um sie herum und sie findet den Fluchtweg versperrt. Der vorhin noch breite Höhleneingang ist einfach zu!
Am nächsten Vormittag treffen bei strahlendem Sonnenschein die jungen Messdiener ein. Da sie warten müssen, stellen sie ihre Ski zur Seite und liefern sich johlend eine Schneeballschlacht, bis der Pfarrer eintrifft.
Kaum ist das Gefängnis wieder geöffnet, entfleucht Skola rasch. Die Menschengruppe nimmt sie nicht wahr, sie hat ganz andere Probleme. Seit Stunden wird der Küster vermisst, der eigentlich die Kirche hätte aufschließen sollen. Außerdem riecht es in dieser schlecht.
Draußen will Skola auf dem blendenden Weiß so schnell wie möglich Deckung suchen. Doch halt! Was liegt dort in der fremdartigen Masse, eine Rivalin? Wenn dies auch ein miserables Revier ist, Skola wird es verteidigen! Aber das Ding entpuppt sich als unbelebt, somit auch als ungenießbar. Mit den Fühlern fragend tastend, besteigt sie die Seltsamkeit. Das hätte sie besser unterlassen sollen. Huckepack mit ihr rutscht das Ding los. Skola absolviert nun die erste Schussfahrt ihres Lebens, der Spaß daran hält sich allerdings in sehr engen Grenzen. Anklammern lautet vielmehr die Devise, während die Geschwindigkeit ihres Gefährts rasant wächst. Ruckzuck ist Skola über und über mit der elenden, kalten, weißen Masse bestäubt. So überraschend wie die Abfahrt begonnen hat, so abrupt endet sie an einem Stein.
Wie mit dem Katapult geschossen, fliegt Skola über eine Hecke hinein in einen dampfenden Pfuhl. Der riecht auch schlecht und ist zudem ziemlich heiß. Skola kennt warme, nach faulen Eiern riechende Schlammquellen, dieser Geruch ist zwar völlig anders, leider nicht angenehmer, wenn auch das Wasser seltsam klar ist. Nur schnell raus hier! Skola kann schwimmen, doch nicht gern. Da kommt die flache Insel vor ihr gerade recht.
Die junge Schwimmerin bemerkt etwas Kitzeliges auf ihrem Rücken und im Nacken, was auch nicht verwundert bei fast hundert rudernden Beinchen und einem aufgeregt schlagendem Fühlerpaar. Einen solchen Schrei, wie er gleich darauf durch die frostige Winterluft hallt, kennt man gemeinhin nur aus Filmen. Nur das rasende Strampeln mit Armen und Beinen bewahrt die Frau vor einem Biss, denn Skola fühlt sich in bösartigster Weise angegriffen. Das aufgewühlte Wasser jedoch schwemmt sie fort und auf die glatten, steilen Wände zu. Wieder aber winkt ihr das Glück, sie findet waagerechte Teile, zwar ebenfalls glatt, dennoch zum Klettern geeignet.
Ihre empfindlichen Sinne geben alsbald Auskunft über das eilige Herannahen größerer Wesen. Aber dort drüben öffnet sich eine weitere Höhle, nichts wie hinein! Hier herrscht ein feuchtheißes Klima, Skola wundert sich über gar nichts mehr. Es gibt, genau wie in der ersten Höhle, hölzerne horizontale Dinger, unter die man kriechen kann. Nicht zu früh, denn schon nahen die großen Wesen, welche nur teilweise gut schmecken. Und sogleich verschließt sich auch diese Höhle wieder.
Direkt vor ihrem Kopf baumelt nun ein appetitlicher Happen ohne die leidige, ungenießbare Schale. Menschen würden Fuß dazu sagen. Skola ist nicht abgeneigt. Da wird es ihr heiß! So heiß wie nie zuvor, noch heißer als in dem entsetzlichen Pfuhl. Ihr vergeht der Appetit. Ein paar Mal noch streicht sie mit den Fühlern über die verlockende Mahlzeit, doch sie kann sich nicht entschließen. Bei jeder Berührung zuckt die Beute zur Seite oder nach oben, hängt anschließend aber immer wieder vor ihr. Schließlich trägt der Fluchtwunsch den Sieg über den Magen davon. Skola nimmt die erste Gelegenheit wahr, aus dieser Falle zu entkommen, und sei es auch direkt unter einem der großen Wesen hindurch.
Fast gekocht, flieht Skola nun wieder bei Minusgraden über die weiße Flur. Endlich findet sie Eingang in eine dritte Höhle. Der erdige Geruch und das feuchtwarme Klima hier sagen ihr zu, allerdings ist diese große Höhle besetzt.
„Muh!“
Skola fürchtet sich vor den vielen, stämmigen Beinen mit den harten Füßen, sie kann den ungewollten Tritten kaum entkommen. Trotzdem will sie hier bleiben und sich eine Ecke einrichten. Noch immer trägt sie das Spermapäckchen eines Männchens in sich und es wird Zeit, ein Eipaket abzulegen. Skola ist eine fürsorgliche Mutter, sie wird die Eier hüten, um diese Welt mit ihren Kindern zu überziehen.

Für Skola war dieser unfreiwillige Trip bislang der blanke Horror, auch wenn sie sich durchgebissen hat. Von den betroffenen Menschen hatte einer keine Zeit mehr sich zu gruseln, die andere besteigt nie wieder ein Schwimmbecken und der Rest wird das Fürchten noch lernen.

Ach, übrigens, ich vergaß zu erzählen, erst kürzlich hat ein Brite einen Skolopender hinter seinem Fernseher entdeckt. Das Tierlein maß 25cm, immerhin.

Letzte Aktualisierung: 14.12.2009 - 13.32 Uhr
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