Ganz schön bissig ...
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Do it youself | Januar 2010
Vierzig Prozent Ersparnis
von Anne Zeisig

Marlies verabschiedete die letzten Trauergäste. Sie schloss die Tür, wischte sich den Schweiß von der Stirn und ging in die Küche. Das Geschirr stapelte sich. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass so viele Leute ihrer Schwiegermutter die letzte Ehre erweisen würden, zumal die betagte Dame in den letzten fünf Jahren sehr zurück gezogen in der Mansarde gelebt hatte. Ihr Mann, Heinz-Jürgen, war der einzige Sohn, da war es selbstverständlich gewesen, Hedwig im Haus einzuquartieren.
Sie bestückte den Geschirrspüler.
Heinz-Jürgen erschien in der Küche und jonglierte ungelenk Gläser auf einem Tablett. Sie nahm es ihm ab und stellte es auf einen der wenigen freien Plätze auf dem Küchentisch. Er fuhr sich durch das schüttere Haar.
„Sogar der frühere Kirchenchor war da.” Er setzte sich an den Tisch. „Deine Schnittchen und der selbst gebackene Kuchen waren lecker wie immer. Im Café hätte uns das ein Vermögen gekostet. So eine Beerdigung kann ganz schön ins Geld gehen. Und stell dir vor, wir hätten den preiswerten Kiefernsarg genommen. Was für eine Blamage.”
„Aber wenn man eine niedrige Rente hat! Sterbegeld wird auch nicht mehr ausgezahlt. Da kann sich keiner mehr was Teures leisten.” Marlies begann, einen Teil des Geschirrs in die Spüle zu stellen.
„Mutter liebte Eiche rustikal”, flüsterte Heinz-Jürgen und goss sich einen Schnaps ein.
Marlies runzelte die Stirn.
Er zwinkerte ihr zu: „Nur den einen.”
Sie lächelte: „Und ich mag Eiche hell. Aber nur zu Lebzeiten”, und strich über die Anrichte, „meine letzte Ruhestätte darf aus Kiefer sein.” Marlies nahm die Schnapsflasche und stellte sie in den Schrank.
Heinz-Jürgen stand auf und strich seiner Frau über das kurze, graue Haar:
„Unsere Bestattungskosten sollten wir nicht unserer Tochter aufbürden. Da muss man Vorsorge treffen. So üppig sind unsere Ersparnisse nicht.”

. . .

Heinz-Jürgen und sein Kollege Karl hatten endlich die Mansarde leer geräumt.
„Zeit für eine Pause”, schlug er vor und flüsterte: „Es gibt noch was zu besprechen.”
Es war wirklich nicht Marlies` Art zu lauschen, aber das hatte ihre Neugierde geweckt.
„Die Lieferung kommt morgen früh. Dienstags fährt Marlies immer zum
Markt. Ich rufe dich an, damit wir das Material sofort drüben in der Werkstatt verstauen können.”
„Und wenn sie´s dort sieht?”
Heinz-Jürgen lachte: „Marlies betritt meine heiligen Hallen nicht. Dort ist es ihr viel zu schmutzig und unordentlich.”
Karl lachte ebenfalls und schaute zum Wohnraumfenster. Marlies ging rasch einen Schritt zurück.
Er wisperte: „Ist auch besser so. Wenn Frauen erstmal anfangen aufzuräumen, dann findet man nichts mehr.” Heinz-Jürgen klatschte in die Hände und stand auf: „Die Arbeit ruft.”
Dann verschwanden sie zur Straßenseite und machten sich am Sperrmüll zu schaffen.
Marlies lief zum Küchenfenster. Die Männer brachten einige Bretter von den Möbeln ihrer Schwiegermutter in die Hobbywerkstatt. Der Müllhaufen wurde einer genauen Selektion unterzogen.
`Typisch Heinz-Jürgen´, dachte sie, `er kann sich wieder von nichts trennen. Wo doch das kleine Lager hinter der Werkstatt bereits zum Bersten voll ist.´
Und nun eine Lieferung, von der sie nichts wissen sollte? Sie rief ihre Tochter Lara an.
„Mutti, in vier Wochen feiert ihr den vierzigsten Hochzeitstag. Bevor Paps ein Geschenk kauft, da bastelt ...”
„Und werkelt er lieber selber was”, unterbrach Marlies ihre Tochter und stöhnte. „Wie diese abartige Holzskulptur zu meinem Sechzigsten, die seit Jahren vor dem Gartenteich zerfällt und vor sich hinfault. Was mich täglich daran erinnert, wie vergänglich das Leben ist.”
Lara kicherte: „Dieses Mal ist es bestimmt was besonderes. Sonst würde Paps nicht so ein Geheimnis draus machen. Nicht einmal mich hat er eingeweiht.”
„Genau das macht mich ja misstrauisch”, entgegnete Marlies.
. . .

In der Folgezeit sah Marlies ihren Mann selten. Sofort nach dem Frühstück verschwand er in seiner Werkstatt und ließ sich nur zu den Mahlzeiten blicken. Wenn Heinz-Jürgen eine Aufgabe hatte, dann blühte er auf. Es war Frühling und Marlies bearbeitete die Blumenbeete. Die Sonne küsste die Tulpen wach, und sie küsste ihren Mann, wenn er, voller Sägespäne, auf der Veranda zum Essen erschien. Ab und zu versuchte sie, ihm das Geheimnis seines Schaffens zu entlocken.
"Zukunftsinvestition", hatte er heute Mittag kurz gemurmelt.


„Er tischlert bestimmt Bücherregale für das kleinere der beiden Mansardenzimmer”, mutmaßte sie ihrer Tochter gegenüber am Telefon. „Als du ausgezogen bist, da haben wir von dem Luxus eines Bücherei-Zimmers geträumt. Mit zwei gemütlichen Lesesesseln vor dem Fenster”.
„Aber dann ist Omi bei euch eingezogen.” Die Frauen schwiegen einen Augenblick.
„Mutti, bestimmt werden es die Regale sein.”

Alsbald machte sie sich daran, in der Waschküche die Wäsche zu sortieren, und jede noch so kleine Tasche in Heinz-Jürgens Sachen zu kontrollieren. Irgendwo hatte er immer Schrauben, Nägel oder kleine Bleistifte eingesteckt. Heute aber fand sie ein zerknülltes Blatt Papier. Sie entfaltete es auf der Waschmaschine. Es handelte sich um einen Lieferschein vom hiesigen Baumarkt.

. . . Möbelholzplatten, Eiche natur
. . . Drechselleisten
. . . Rosetten und Ranken
. . . Beschläge, Edelstahl . . . Holzleim . . . verzinkte Nägel . . .

Sie schaute zur Tür und steckte das Papier eilig in ihre Hosentasche. Marlies fühlte sich wie ein Schulmädchen, welches Angst hatte, entdeckt zu werden. Ihr wurde heiß.
„Also doch Bücherregale!”, jubelte sie, und stieg die Kellertreppe hoch.
Ihr Mann telefonierte. Sie blieb im Windfang stehen und schüttelte den Kopf, weil sie wieder lauschte.
„Ja, vierzig langstielige Rosen und ...”
Sie ging wieder hinunter und schaltete die Waschmaschine an. Wie viel Mühe er sich gab. Jeden Tag das Werkeln an den Regalen. Der Geruch von Leim, Holzwachs und Lasur zog herüber bis zur Veranda. Ab und an hörte sie ihren Gatten fluchen, wenn ihm das Werk offenbar nicht so flink von der Hand ging, wie er es sich vorstellte. Marlies wischte sich eine Freudenträne von der Wange.
Und sie lästerte hinter seinem Rücken über die Holzskulptur.

. . .

Was für ein Hochzeitstag das gewesen war. Marlies schleuderte ihre Pumps unter das Sofa und setzte sich. Auf dem Tisch stand in einer großen Kristallvase der Blumenstrauß.
Heinz-Jürgen nestelte an seiner Krawatte: „Ich habe noch eine Überraschung für dich”.
`Die Bücherregale´, dachte Marlies, stand auf und schlüpfte in ihre Schuhe.
Er lachte: „Du kannst es dir ruhig bequem machen.”
„Aber wir gehen doch hoch.”
„Wohin?”
„In die Mansarde.”
Heinz-Jürgen schüttelte den Kopf: „Was sollen wir da oben? Ich beginne erst nächste Woche mit dem Tapezieren und dann ...”
„Dann trägst du mit Karl die Bücherregale aus der Werkstatt hinauf.” Sie fiel ihm um den Hals.
Er löste sich aus ihrer Umarmung: „Immer langsam, junge Frau, dein Mann ist kein junger Spund.” Heinz-Jürgen fingerte in seiner Sakkotasche, brachte ein kleines Kästchen zum Vorschein und öffnete es.
Marlies starrte auf den Goldring. Damit hatte sie nicht gerechnet, dass ihr Mann ein Geschenk gekauft hatte. Vielleicht hatte Lara ihm einen Wink gegeben?
Er steckte ihn ihr an und küsste ihren Handrücken: „Steht dir gut.”
Sie setzten sich.
Die Regale schwirrten ihr im Kopf umher: „Warum ist die Mansarde abgeschlossen?”
Er goss Sekt in zwei Gläser und gab ihr eines: „Ich habe Tapetenlöser auf die Wände gestrichen. Das Zeug muss einwirken und stinkt. Wollte nicht, dass die Tür geöffnet wird und das gesamte Treppenhaus riecht, wie ...”
„Wie Leim, wie Wachs, wie Lasur", sie schaute in seine Augen. „Den Gestank habe ich wochenlang auf der Veranda ertragen, ohne mich zu beschweren.”
Heinz-Jürgen sank zurück und flüsterte: „Tut mir leid. Hättest doch was gesagt.”
Sie stand auf und nahm ihn bei der Hand: „Ich gehe jetzt in die Werkstatt.”
„Nein”, entfuhr es ihrem Mann, „dort ist alles voller Sägespäne, und das Werkzeug liegt herum.”
Sie stupste ihn auf die Nase und lachte: „Schluss mit der Heimlichkeit. Die Bücherregale für die Mansarde. Ich will sie jetzt sehen.” Ehe er sich versah, hatte Marlies die Verandatür geöffnet und stöckelte über den Rasen. „Helle Eiche für unser künftiges Bücherzimmer!”
Heinz-Jürgen riss sich die Krawatte herunter und lief hinter Marlies her.
Sie öffnete schwungvoll die Werkstatt-Tür, knipste das Licht an und sah zunächst nur ein Durcheinander: „Hier muss wirklich aufgeräumt werden.”
Ihr Mann stolperte über eine Bohrmaschine, die am Boden lag, und stürzte auf die Hobelbank.
Marlies war unterdessen im hinteren Teil der Räumlichkeiten verschwunden.
Er rappelte sich auf und hörte, wie seine Frau schrie. Heinz-Jürgen humpelte zu ihr.
Sie stand mit weit aufgerissenen Augen da, zeigte auf sein Werk und stammelte: „Sag, dass das nicht wahr ist!”
Heinz-Jürgen rieb sich die schmerzende Hüfte: „Ich habe vierzig Prozent eingespart, wenn ich meine Arbeitszeit nicht berechne.”
Vor Marlies standen an die Wand gelehnt zwei Särge.
Eiche hell. Mit Edelstahlbeschlägen, gedrechselten Zierleisten und Schnitzrosetten.
Sie drehte sich herum und lief aus der Werkstatt.
„Die Bücherregale für die Mansarde kriegst du zum Geburtstag!” Rief er ihr hinter her, „ist noch genug Holz übrig!”

Letzte Aktualisierung: 25.01.2010 - 15.27 Uhr
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