Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Do it youself | Januar 2010
Aus eigener Haltung.
von Angelika Gerber

Die Stille, die ihm beim Heimkommen entgegenschlug, war viel zu laut. Olaf schnupperte. Nichts. Kein Essensgeruch lag in der Luft. Kein fröhliches „Da bist du ja“, ertönte aus Richtung Küche.
„Anne?“, rief er und sein Herzschlag beschleunigte sich. Irgendetwas war passiert.
Er hatte es morgens schon geahnt, als Anne die Rühreier anbrennen liess.
Aufgeregt rannte er in die Küche. Sein Blick registrierte den leeren Küchentisch. Das Kaffeegeschirr vom Morgen war weggeräumt. Alles blitzte und blinkte.
Er hetzte weiter ins Wohnzimmer, doch auch hier nur die gewohnte Ordnung. Die Kissen auf dem hellen Sofa waren nebeneinander platziert, die Fernbedienungen lagen, der Größe nach sortiert, auf dem Wohnzimmertisch.
Er stürmte weiter ins Gästeklo. Es roch nach Zitronenduft.
Im Bad herrschte auch absolute Ordnung. Der Klodeckel heruntergeklappt und die Handtücher zusammengelegt.
In der Badewanne stand Wasser, darin schwamm eine Forelle. Auch hier alles okay, befand Olaf und rannte weiter. Plötzlich stoppte er mitten in der Bewegung.
EINE FORELLE?
Er machte kehrt. Da war sie. Ganz eindeutig ein echter Fisch. Mit Schuppen, Schwanz und Flossen. Er drehte Runde um Runde in der kahlen Wanne und schien sich wohl zu fühlen. Olaf wurde schlecht.
„Was ist hier los? Wo ist bitteschön meine Frau?“ Der Fisch sah ihn wissend an und blieb stumm. Olaf schüttelte verwirrt sein schütteres Haar und rannte entschlossen weiter. Irgendeine Erklärung musste es dafür geben und er würde sie finden.
Als er die Tür zur Garage aufschloss, stieg ihm ein unangenehmer Duft in die Nase. Er bekam Angst, ja, er wusste, dass hier irgendetwas Eigenartiges auf ihn wartete. Er nahm allen Mut zusammen, riss mit einem gewaltigen Ruck die Türe auf und warf sie mit lautem Knall wieder zu.
„Okay, ich bin verrückt geworden“, sagte er und setzte sich.
Minuten später riskierte er erneut einen Blick und sah wieder dasselbe Bild.
Auf seinem Motorrad stolzierte ein Hahn hin und her. Ein rosa Ferkel rannte quiekend hinter einem weißen Lamm her und ein Hase lümmelte gemütlich zwischen den Autoreifen und knabberte an einem Schraubenzieher.
Olaf wurde richtig wütend, als er die Sauerei sah, die diese Möchtegern-Bremer Stadtmusikanten hinterlassen hatten. Überall lagen Hasen- oder Schafsköttel, Schweinemist und Hühnerkot. Es roch wie in einem Stall.
Er schlug die Türe hinter sich zu und hetzte zurück ins Haus. Dort schnappte er sich das Telefon. Da fiel ihm an der Pinnwand ein Brief ins Auge. “Für Olaf“, stand in Annes sauberer Handschrift darauf. Er riss ungeduldig den Umschlag auf und las mit großen Augen ihre Zeilen:
Lieber Olaf, wenn du dies liest, bin ich längst weit, weit weg. Ich mache Urlaub.
Ob ich zurückkomme, liegt alleine an dir. Ich habe dir Essen dagelassen. In der Badewanne den Fisch und in der Garage das Fleisch. Ich habe es satt, dir tagein, tagaus dein Fleisch zu braten.
Du weißt, dass ich überzeugte Vegetarierin bin, aber es interessiert dich kein bisschen. Ich will nicht mehr. Es ekelt mich an. Deshalb verlange ich von dir, dass du es richtig machst. Schlachte dir dein Steak selbst und wir werden sehen, ob du dann immer noch jeden Tag Fleisch essen willst. Es sind Lebewesen Olaf! Sie leiden, wenn man sie umbringt. Ein Big Mäc hatte mal ein Leben. Probiere es mir zuliebe einmal aus. Das ist meine Bedingung.
Ich meine es ernst. Futter für die Tiere habe ich in der Garage gelagert. Der Hahn heißt Richard, das Lamm ist Ricka, der Hase Schnüffel und das Schwein heißt Olaf. Die Forelle hat noch keinen Namen, du kannst sie ja taufen. Ich werde mich in ein paar Wochen bei dir melden und fragen, wie es dir ergangen ist. Solltest du es nicht wirklich probieren, werde ich die Scheidung einreichen. Mit großer Hoffnung, deine Anne.

Olaf zerknüllte den Brief. Anne hatte sie nicht mehr alle! Das Schwein hieß Olaf. Na prima! Richard, Schnüffel … was für ein Bullshit! Er war so wütend, dass er nicht wusste, wen er zuerst schlachten sollte. Anne irrte sich, wenn sie glaubte, er konnte es nicht. Er würde ihr schon beweisen, dass er ein echter Mann war.

* * *

Sie hatte nicht vorher angerufen. Anne stand braungebrannt vor ihrer eigenen Haustür und traute sich nicht hinein. Sie hatte Angst. Nichts wünschte sie sich mehr, als dass ihre Rechnung aufgegangen war. Aber was, wenn nicht?
Ihr Herz tat weh, denn sie liebte Olaf noch immer. Doch seine Rücksichtslosigkeit konnte sie nicht länger hinnehmen. Entweder er würde mehr an sie denken oder sie würde wirklich die Koffer packen.
Das Leben war zu kurz, um sich alles gefallen zu lassen. Drei Wochen war sie weg gewesen. Zuviel Zeit zum Nachdenken, zuviel Erholung, zuviel Alleinsein. Zu Zweit war alles schöner, bis aufs Essen. Sie seufzte.
Zuerst sah sie in der Garage nach. Nichts. Kein Kikeriki, kein Quiek, kein Mäh. Ihr wurde bang. Hatte er sie wirklich alle gegessen?
Nirgends im Haus oder im Garten war eine Spur von den Tieren zu sehen. In ihrem Kopf lief ein Film ab. Sie sah, wie Olaf Richards Kehle durchschnitt, das viele unschuldige Blut, das seine Hände hinunterlief. Ihr wurde übel.

Als er nach Hause kam, saß sie akkurat wie die Kissen auf dem Sofa. „Hallo Olaf.“
„Hallo Anne“, er sah sie überrascht an. Da fiel sein Blick auf ihre Koffer und sein Blick wurde ernst.
„Du willst gehen?“ Seine Hände wurden schwitzig.
„Du hast sie gegessen?“, entgegnete sie.
Er nickte stolz:“ Klar, Olaf war echt lecker, ein ganz knuspriges Spanferkel. Ich habe Freunde eingeladen. Wir hatten einen Riesenspaß .Es war nett von dir, mir Essen hier zulassen! So frisch schmeckt es einfach besser und man weiß auch was die Tiere vorher gegessen haben. Man hat sie selbst geschlachtet, das ist ein besonderes Jagderlebnis. Ganz ehrlich Anne, es war eine klasse Idee“, lachte Olaf und gab ihr einen Schmatz auf die Backe.
Sie zuckte zurück. Er roch widerlich. Olaf genoss ihre Abneigung. Sie sollte ruhig ein wenig leiden, sie hatte es verdient. Auch er hatte gelitten.
„Du kannst bleiben! Ich hab deine Bedingungen erfüllt, “spielte er seine Rolle weiter und sie sprang auf.
„Ja, hast du, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass du sie alle isst. Jetzt kann ich erst recht nicht bleiben, es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du so herzlos bist.“
Als sie zur Haustür ging, hörte sie ein lautes. “Kikerikiiiii,“ und sie stoppte.
„Richard?“, fragte sie hoffnungsvoll und drehte den Kopf zu Olaf.
Er strahlte: „Das war er. Anne, ich habe nur einen Scherz gemacht, sie leben alle noch. Außer der Forelle.“ Er sah verlegen zu Boden. “Sie hatte keinen Namen und ich wollte baden.“
Anne sah ihn ungläubig an. „Sie leben?“
„Ja, Ehrenwort.. Ich habe sie rüber zum Bauer Albrecht gebracht. In der Garage war es zu eng. Ich habe zuerst wirklich versucht Richard zu schlachten. Das Beil hatte ich schon in der Hand, in der anderen hielt ich seinen Kopf. Aber als ich mir vorgestellt habe, dass du mich so siehst, da kam ich mir vor wie ein Mörder. Olaf war sowieso unantastbar. Er hat mir über die Hand geleckt, zu süß der Kleine. Ey, wir sind uns wirklich ähnlich. Ricka ist mir im Garten immer hinterher gelaufen. Mit ihrem ständigen Mäh, Mäh ging sie mir wohl fürchterlich auf die Nerven, aber essen wollte ich sie trotzdem nicht.
Ganz ehrlich Anne, ich verstehe dich nun besser. Man macht sich wenig Gedanken, wenn das Steak wie von selbst so duftend auf dem Teller liegt.
Ich kann dir nicht versprechen, dass ich kein Fleisch mehr essen will. So ist es nicht, aber ich weiß, dass mir weniger genügt und dass ich nicht immer das Gesicht verziehe, wenn du mir einen deiner berühmten Gemüseaufläufe vorsetzt. Ich werde mich bessern, aber ich kann nicht zum Vegetarier werden.“
Anne hatte sein Geständnis regungslos verfolgt. Eine Träne der Rührung kullerte über ihre Wange. Olaf war eben doch kein Schwein.
Schweigend ging sie zu ihm, nahm ihn in den Arm, drückte ihn fest und er brummte voller Wohlbehagen.
„Anne, du bist mir wichtiger als jedes Steak der Welt“, sagte er mit viel Gefühl und sie schnurrte zufrieden.
“Lass uns die Tiere besuchen, “ schlug sie glücklich vor und sie gingen Hand in Hand zu Bauer Albrecht, um ihren eigenen kleinen Privatzoo zu bewundern. Anne strahlte beim Anblick „ihrer“ Tiere.
Geschickt übertönte Olaf mit einem Hüsteln das Knurren seines Magens.

Letzte Aktualisierung: 25.01.2010 - 11.44 Uhr
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