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Do it youself | Januar 2010
Carnaby Street
von Hajo Nitschke

Protokoll der Fernsehsendung ‚Smart aber fair’ vom 01. April 2290
(unter Ausklammerung von dreiundzwanzig Werbe-Unterbrechungen):


Sprecher: Meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie zu unserer Sendung ‚Smart aber fair’. Moderator Franz Grasberg hat auch heute wieder interessante Gäste.

Zuhörer: (Längerer Beifall im Studio)

Grasberg: Einen schönen guten Abend hier im Studio und zu Hause. Danke, dass Sie uns eingeschaltet haben. Unser heutiges Thema lautet: ‚Neue Wege.’ Herzlich willkommen, Eheleute Karsten und Cornelia … Nomen est omen … Wegener aus Köln. Schön, dass Sie da sind. Bevor es losgeht, darf ich die Runde komplettieren: Links von mir Herr Staatssekretär Olaf Wünsche, Familienministerium.

Wünsche:(nickt sparsam). Guten Abend.

Grasberg: Daneben Frau Doktor Gutfreund, Aktion Leben.

Dr. Gutfreund: (nickt)

Grasberg: Monsignore De Filio, Europäisches Glaubenszentrum, EGZ, sowie …

Msgr. De Filio: (nickt freundlich)

Grasberg: … zuletzt die Kölner Oberbürgermeisterin, Frau Roth.

Rath: Rath!

Grasberg: Rath, natürlich. – Das erste Wort hat das Ehepaar Wegener. Wir sind neugierig: Wie haben Sie sich kennen gelernt? – Wer von Ihnen möchte beginnen?

C. Wegener: Ja – Karsten, darf ich? – Das fing schon in der Schule an. Mein Mann, ich meine Karsten, saß neben mir. Irgendwann merkten wir, dass wir beide anders waren als die anderen.

Grasberg: Wie dürfen wir das verstehen?

K. Wegener: Cornelia, ich mach mal weiter, ja? Also, ich merkte, dass mich die Jungens nicht interessierten. Aber in Connys Nähe bekam ich Herzklopfen.

C. Wegener: Ja, und sobald mich Karstens Knie berührten, wurde mir ganz heiß. Ihm übrigens auch, und wenn sich unsere Arme streiften, schien es uns zu elektrisieren. Wir wussten nicht, was wir tun sollten. Der „Run“ der Jungen auf die Jungen und der Mädchen auf die Mädchen begann, aber wir hatten nur Augen für einander …

Msgr. De Filio (lächelt): Ich unterbreche ungern, und heute ist die Gesellschaft ja auch toleranter geworden. Aber warum haben Sie sich damals nicht der Kirche anvertraut?

K. Wegener: Das wagten wir nicht. Wir wussten doch nicht, …

Msgr. De Filio: Sie wussten nicht was? Dass die Lehren des EGZs sich zwar von früheren Verfehlungen gelöst hatten, aber …

Grasberg: Bitte erläutern Sie das näher.

Msgr. De Filio (strahlt): Sehr gerne. Die Menschheit hatte im 21. Jahrhundert aus unseligen Verirrungen herausgefunden. Ebenso die Theologie, wie Sie wissen.

Grasberg (schmunzelt): Ich weiß grundsätzlich gar nichts, verehrter Monsignore.

Msgr. De Filio: Ähem … Dann darf ich an die revidierte Schulmannübersetzung erinnern. Sie stellt eindeutig fest, dass die natürliche, seit Schöpfungsbeginn gewollte Geschlechtlichkeit die Homosexualität ist.

Zuhörer: (vereinzelte Buh-Rufe, dann starker Applaus im Studio)

Msgr. De Filio: Danke. Gegenteilige frühere Übersetzungen waren schlicht Fälschungen. Mit der endgültigen Offenbarung seiner Wahrheit hat der Schöpfer gewartet, bis der Menschheit geeignete technische Möglichkeiten der Familienplanung zur Verfügung standen, was bekanntlich im 20. und 21. Jahrhundert bis zur Perfektion ausreifte.

Grasberg: Ihr Stichwort, verehrte Frau Doktor.

Dr. Gutfreund: Der tradierte, so genannte natürliche Weg der Fortpflanzung ist ja nun einmal die in-vitrio-Fertilisation, also …

Grasberg: Bitte übersetzen Sie das.

Wünsche: Mit Respekt, Herr Grasberg, aber die Informationen meines Ministeriums über die Zeugung im Reagenzglas stehen nun wirklich jedermann zur Verfügung.

Dr. Gutfreund: Bitte unterbrechen Sie mich nicht, Herr Wünsche. Gut, also der Mensch entsteht grundsätzlich außerhalb des Körpers durch Verschmelzung von Spermien aus einer Samenbank mit einer geeigneten Eizelle, wobei …

Grasberg: Ja, danke, das sollte reichen. Also, liebe Frau Wegener, wann wurde es damals so richtig ernst zwischen Ihnen und wie ging es weiter?

C. Wegener: Das war … 2275 war es, ja. Wir konnten unsere Neigung nicht verbergen. Man begann, über uns zu tuscheln, zu lachen.

K. Wegener: Ja, und meine guten Mütter mussten entsetzt erkennen, dass es sich eben nicht um eine vorübergehende Desorientierung handelte. Ich, ein Irrtum der Natur! Als Heterosexueller ein Paria in einer homophilen Gesellschaft, welche Schande! Und das, obgleich aus frommem Mütterhaus.

C. Wegener: Ich selber wuchs ja bei Vätern auf, aber da war es noch schlimmer …

Grasberg: Bitte schön, Frau Roth …

Rath:Rath! – Darf ich auch seitens der Stadtverwaltung darauf hinweisen, dass sich die Zeiten geändert haben? Heute gilt Heterosexualität nicht mehr als Makel. Wir stellen sogar Heteros bei der Verwaltung ein, und …

Wünsche (räuspert sich): Und so ist das in allen öffentlichen Ämtern bis hin zu den Organen des Bundes. Wir beurteilen niemanden nach seiner Geschlechtlichkeit, sondern nach seinen Leistungen. Nur in der EGZ ist man noch nicht so weit.

Msgr. De Filio: (hüstelt)

Dr. Gutfreund: Aber wenn wir fair sind, dann müssen wir doch der EGZ zumindest zugestehen, dass dort inzwischen die kirchliche Trauung solcher Menschen problemlos …

Rath: Wenn ich dies noch sagen darf: Auch die Eintragung ungleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften funktioniert heutzutage unbürokratischer denn je.

Grasberg: Na ja, aber wir haben hier einen kleinen Film vorbereitet. Regie, bitte Film ab!

Film: (zeigt Interviews mit Passanten, die sich gemischt äußern, teils tolerant, teils verständnislos. Manche möchten nicht, dass beispielsweise ein Minister von seiner Frau auf Dienstreisen begleitet wird, andere bestehen auf Filter vor Gesicht und Stimme, um allen Heterosexuellen die Pest zu wünschen)

Grasberg: Also, so ganz hat sich wohl noch kein gesellschaftlicher Konsens entwickelt. Vielleicht hören wir doch mal …

Wünsche: Ich muss doch in aller Deutlichkeit sagen, dass diese wenigen rückständigen Äußerungen nicht für die Mehrheit sprechen. Es ist mit dem Fortschritt unserer Zivilisation unvereinbar, wenn …

Grasberg: Danke, Herr Staatssekretär. Hören wir doch, wie es Wegeners erging.

K. Wegener: Ja, nach der Schule die Ausbildung, die Berufswahl, harte Jahre für uns, aber wir schafften es und sind stolz darauf. Damals waren wir gesellschaftlich fast geächtet, Opfer von Demütigung, konnten uns manchmal nicht mal unserer körperlichen Unversehrtheit sicher sein, wenn vor allem Rechtsgerichtete uns aufs Korn nahmen.

Msgr. De Filio (ernst): Erschütternd.

C. Wegener: Ich weiß noch genau, wie wir uns einmal in der Öffentlichkeit küssten.

K. Wegener: Ach ja, dieser Knirps. An der Hand seiner Väter fragte er: ‚Was tun die
da?’ Die Erwachsenen sahen sich verlegen an, nicht wahr, Conny? Dann sagte einer: ‚Junge, das erklären wir dir, wenn du größer bist.’

C. Wegener: Allerdings waren wir damals irgendwann keine Einzelfälle mehr.

Grasberg: Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Wünsche: Es war Ende der Siebziger Jahre, als sich Prominente outeten, selber Heteros zu sein. Immer mehr wurden es, wie Sie wissen. Meine Partei unterstützte die neue Offenheit schon früh, das Ministerium klärte auf …

Dr. Gutfreund: Richtig! Es gab ein Umdenken, und in den Achtzigern war es für manchen Homosexuellen sogar ein Kick, einmal sozusagen fremdzugehen und gewisse heterosexuelle Praktiken zu testen. Wenn ich das einmal näher …

Zuhörer: (vereinzelte Buhrufe)

Wünsche: Darf ich bitte ausreden, liebe Frau Doktor? Wir sollten diesen ‚geschlechtliche Vereinigung’ genannten Vorgang in der Tat ganz sachlich der interessierten Öffentlichkeit …

Grasberg (in die Kamera): Sie können Näheres im Videotext Seite 1403 nachlesen.

Dr. Gutfreund: Aktion Leben stellt gerne bebildertes Infomaterial bereit. Wir erhalten fast täglich Anfragen besorgter junger Paare. Hierzu muss ich betonen, dass die medizinischen Untersuchungen nicht abgeschlossen sind. Es ist noch zu früh für eine Prognose, ob und welche frühkindlichen Schäden dieser so genannte neue Weg für die auf diese Weise gezeugten Kinder zur Folge hat. Gesetzlich erlaubt ist er erst seit knapp einem Jahr.

Msgr. De Filio (heiter): Die EGZ war es doch, die den gesellschaftlichen Wandel einleitete, indem unsere Theologen Ende der Achtziger Jahre Ausnahmen von der Gleichgeschlechtlichkeit postulierten, wenn nämlich eine zweigeschlechtliche Gemeinschaft erkennbar auf dauerhafte Treue angelegt war.

Grasberg: Auch da haben wir einen Film vorbereitet. Film ab!

Film: (blendet Demos vor dem Sitz der EGZ in München ein, Schilder wie „Jesus
loves Heteros“ oder „Ich bin hetero, und das ist gut so“)

Grasberg: Was sagen Sie dazu, Monsignore?

Msgr. De Filio (gütig): Geschenkt, lieber Herr Grasberg. Die EGZ hat verstanden. Sie wissen doch genau, dass dann bald Trauungen heterosexueller Paare erfolgten …

C. Wegener: Dazu gehörten auch wir!

Msgr. De Filio: … und dass wir seit kurzem die ersten Kinder segnen, die aus diesen Verbindungen entstanden. Ja, wir denken sogar über ihre Taufe nach!

Zuhörer: (Gemurmel)

Grasberg: Ruhe bitte! Liebe Frau Wegener, jetzt zeigen Sie uns doch einmal …

Wünsche: Entschuldigung, aber an eines muss hier erinnert werden dürfen:. Von dieser Demonstration sprang der Funke bis ins Ausland über. Im Londoner Stadtteil Soho marschierten Hunderte in der Carnaby Street auf, es wurden immer mehr: Heterosexuelle, die gegen Diskriminierung aufbegehrten. Sie forderten konsequentere Gleichberechtigung und Zugang zu sämtlichen öffentlichen Ämtern. Das Medienereignis schlechthin. Der Carnaby Street day war geboren, kurz CSD. Und erst jetzt ließ sich die EGZ umstimmen.

Msgr. De Felio: (schüttelt den Kopf)

Grasberg: Frau Roth hat sich zu Wort gemeldet …

Rath: Rath, bitte. Ihr Sender hat gestern doch den langen Wagenzug und die Feierlichkeiten zum ersten CSD-Jahrestag übertragen. Auch die Verwaltung gab einen Empfang, bei dem sogar der Monsignore teilnahm, wofür ich an dieser Stelle ausdrücklich …

Grasberg: Sehr richtig, Frau … ääh … Roth. Aber jetzt zurück zu Frau Wegener. – Würden Sie uns einmal zeigen, was Sie da in diesem Tuch mitgebracht haben?

C. Wegener: (beginnt vorsichtig, das Tuch von einem zunächst noch konturlos bleibenden Bündel zu lösen, stupst sanft hinein)

Bündel: Uääääääääää!

Letzte Aktualisierung: 23.01.2010 - 21.04 Uhr
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