Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
... ein Wurmloch hat da schon einmal etwas vorbereitet!
Nennen wir ihn Professor Frankens ..., nicht gut? Nennen wir ihn also Professor Frastei, Professor Harribert Frastei.
Wie es der Zufall so will, just zu dem Zeitpunkt, als Skola sich nach ihrem unfreiwilligen Ritt durch die Dimensionen auf dem Schnee wiederfindet, weilt auch Professor Frastei in dem vom Unglück geschlagenen Kurort. Er ist Biologe von Beruf, was heutzutage genauso bedenklich ist, als hätte er sich die Atomphysik erwählt. Und doch hat er nichts Arges im Sinn, als er am Morgen des ersten Weihnachtstages im hellen Sonnenschein frohgemut durch den Schnee stapft. Im wahrsten Sinne des Wortes stolpert er jetzt in eine völlig veränderte Zukunft.
Ein blutrotes Glitzern auf dem Schnee zieht ihn magisch an, in den Bann geschlagen, achtet er leider nicht mehr auf mögliche Unebenheiten unter der weißen Decke und landet mit Schwung in einem Haufen verrottender Pflanzen. Er blinzelt sich den Schnee aus den Augen und blickt direkt auf eine Platte grauen, wenig ansprechenden Glimmerschiefers, aus dem jedoch die allerschönsten Granatkristalle strahlen. Schon auf diesen ersten Blick ist klar, da liegt ein Schatz! Der Professor rappelt sich auf und hebt zwecks genauer Betrachtung auch den Glimmerschiefer hoch.
„Mehrere tausend Euro“, murmelt er angesichts des roten Funkelns.
Dabei klebt der wahre Schatz noch teilweise an seiner Nasenspitze. Harribert empfindet dessen Feuchtigkeit zusehends als unangenehm, er reibt sie ab, woraufhin er zu seiner äußersten Verblüffung die verfaulende Rinde eines Siegelbaumes in den Händen hält. Derartiges ist ihm bislang nur versteinert bekannt. Vor Überraschung plumpst er rücklings erneut in den Schnee, darauf nicht achtend, dreht und wendet er das unschöne, braune Etwas in seinen Händen. Über die Identität ist kein Zweifel möglich, doch hat dieses Ding vor wenigen Monaten noch gelebt, während das für diese Pflanzen zuständige Paläozoikum definitionsgemäß sein Ende schon ein wenig früher fand. Selbst als zerstreuter Professor würde er sich dran erinnern, wäre er im Sommer durch einen Wald aus Siegelbäumen gewandert.
„Unbezahlbar“
Da hallt ein grauenvoller Schrei durch die Winterluft. Professor Frastei weiß zwar nicht, wer und warum dort jemand schrie, trotzdem bringt ihn dieser Laut auf den Boden der Tatsachen zurück. Will man ihn foppen, seine wissenschaftliche Laufbahn jäh beenden, ihn der Lächerlichkeit preisgeben? Er erinnert sich an die Lügensteine sowie an den Piltdownschädel. Beide Funde waren getürkt und haben ehrenwerte Forscher für alle Zeit um ihre Reputation gebracht. Nun denn, so einfach, wie die damaligen gutgläubigen Kollegen, wird er es möglichen Feinden nicht machen! Das heißt aber nicht, er ließe von seinem Fund auch nur ein winziges Fitzelchen zurück. Entschlossen erhebt sich der Gelehrte, um dieser Sache auf den Grund zu gehen!
Harribert Frastei kramt seine Thermoskanne hervor und gießt den Kaffee aus, was schade ist, hatte er ihn doch mit einem kräftigen Schuss Whiskeylikör versetzt. Aber für die Forschung müssen eben Opfer gebracht werden. In die geleerte Kanne füllt er alle modernden Pflanzen, die er im Umkreis findet. Er kriecht förmlich auf dem Bauch, um nur ja keine einzige Pflanzenzelle zurückzulassen. Dabei hat er keinen Blick für die Polizeifahrzeuge, die mittlerweile mit eingeschaltetem Blaulicht vor der kleinen Kirche auf dem Hügel halten. Sonst hätte er bemerkt, dass noch viel mehr Seltsames geschehen ist. Mit seiner Beute unter dem Arm kehrt er sodann ins Hotel zurück, um sofort abzureisen.
Während er wenig später in der Hotelhalle seine Rechnung begleicht, verhört eben dort ein Kommissar die gleichfalls um ihre Reputation bemühte Schwimmerin. Um nichts in der Welt wird sie zugeben, dass die von ihr postulierte Schlange über eine Vielzahl an Beinchen verfügte. Der Polizist jedoch weiß um den Zustand der Überreste des Küsters, unwillkürlich formt sich bei ihrer Aussage in seinem Geiste die Vorstellung einer Schlange mit Nagezähnen, sie gerät zu einem Bild à la Loriot. Die Schlange grinst, dem Polizeibeamten entringt sich ein Kichern. Nein, eine Schlange hat den Küster weder gemordet noch angebissen.
Professor Frastei aber entschwindet unterdessen mit Beweismitteln.
Wenige Wochen später kann sich der Wissenschaftler zwar immer noch keinen Reim auf alles machen, vor ihm aber in einer Petrischale wächst ein winziges Moospflänzchen heran. Es liebt offenbar tropisches Klima, soviel hat der Professor mittlerweile herausgefunden. Stammte schon der Glimmerschiefer unmöglich aus dem Bereich seines Fundortes, so ist das Moos erst recht nicht dort zu Hause. Klimaerwärmung hin oder her.
Auch der Kommissar ist schlauer geworden, die Pathologen förderten Verblüffendes zutage. Endlich haben sie das Gift identifiziert. Nun gut, nur in etwa, es ist dem von Hundertfüßern lediglich ähnlich, außerdem verfügen die heimischen Tierchen nur über winzigste Mengen davon. Da ergo kein tierischer Schuldiger festzunageln ist, liegt folglich ein Mordfall vor.
Weitere Monate danach hat der zu seinem Glück gut betuchte Professor Frastei seinen Job an den Nagel gehängt und nennt stattdessen ein großes Gewächshaus sein eigen. Sein „Carbonic Parc“. Das angeschlossene Genlabor enthält zwar eine optimale Ausrüstung, die Angestellten sind dagegen nur zweite Wahl. Die Besten ihres Fachs nämlich wollten nichts mit Baumfarnen und Co. zu tun haben, sie fanden das Thema langweilig.
In einer Ecke des noch fast leeren Glashauses wächst unter niedrigen, rezenten Baumfarnen ein Moospolster heran. Seit der Professor die herrschende Atmosphäre noch mit geringen Methanmengen hat anreichern lassen, schickt sich selbst das Moos zu Größenwachstum an. Jeden Tag verbringt Harribert Frastei eine Zeit andächtigen Sinnens vor diesem wuchernden Polster. Heute allerdings hat er einen Gast bei sich, den führenden Experten in Sachen Sporenpflanzen. Dem quellen beim Anblick des Mooses fast die Augen aus dem Kopf, er kann nicht fassen, wie er eine solch wachstumsfreudige Pflanze je hat übersehen können. Dem Herrn des Mooses ist jedoch kein Wort über dessen Herkunft zu entlocken.
Die Demütigung des Experten nimmt indes noch größere Ausmaße an. Denn zurück im Büro des Konkurrenten Frastei kann er den Blick nicht von einer anderen Petrischale wenden. Darin gedeiht ein Farn. Und wie! Man sieht schon den allerersten Wedeln dieses Pflänzchens an, dass es gewillt ist, zu wahrer Riesenform heranzuwachsen.
Bei der Vervielfältigung des alten Genoms waren die Angestellten des modernen Frankenstein höchst erfolgreich, ebenso bei dessen Verpflanzung in rezente Farnzellen. Bald also werden die Farne ihre Petrischalen verlassen und in das Gewächshaus umziehen.
Harribert gönnt sich einen Augenblick des Triumphes, weiß doch sein Gast wahrlich seine Überraschung nicht zu verbergen. Doch für Professor Frastei ist es nur ein Etappensieg. Erst mit der Aufzucht der ohne Nachkommen ausgestorbenen Siegelbäume hielte er einen Beweis für das Alter seines Fundes in Händen. Der Knüppel liegt aber immer beim Hund, gerade weil, anders als bei den Farnen, ihre Linie vollständig erloschen ist, kommt er auch nicht voran.
Vorerst verordnet der Professor sich eine Auszeit, er beschließt, sich in dem Kurort einmal umzuhören, denn in diesen Tagen und Monaten dringen beunruhigende Nachrichten zu ihm vor. Immer wieder geht der Ferienort allein wandernder Gäste verlustig. Sie werden selten aufgefunden und wenn, dann nahezu skelettiert.
Trotz allen Gemunkels über ein Ungeheuer sucht der am Kurort zuständige Kommissar nach einem menschlichen Serienmörder. Es kann sich nur um einen völlig durchgeknallten Biologen handeln, der das Gift von unschuldigen Hundertfüßern in wahren Mengen zusammenbraut, um seinem abartigen Trieb zu frönen. Vielleicht hätte der Biologe Frastei doch nicht an den Fundort zurückkehren sollen? Er aber hält es mit dem Spruch, wenn alles andere ausgeschlossen ist, ist die letzte Möglichkeit die richtige, egal wie sonderbar sie zu sein scheint.
Während also der Professor herumschnüffelt, widerfährt ihm eine Katastrophe. Doch nicht etwa im Gewand einer Verhaftung findet sie statt, sondern im eigenen Gewächshaus. Seine uninformierten und gelangweilten Angestellten öffnen in des Sommers Hitze wegen einer defekten Klimaanlage die Fenster. Diese blöden Farne sind dem Chef so teuer, was wird er sagen, wenn er sie bei seiner Heimkehr verdorrt vorfindet? Nun geschieht, was früher oder später allen transgenen Lebewesen passiert, sie werden freigesetzt. Diesmal übernimmt eine hereinfauchende Gewitterbö die dazu erforderliche Arbeit, sie wirbelt reife Sporen auf und trägt sie hoch hinauf in die Atmosphäre. Damit steht den wiedererstandenen Baumfarnen die gesamte Welt offen. Sie siedeln in den gemäßigten Breiten, wo sie nur dank ihres modernen Genanteils überleben und niedrig bleiben, sie verstecken sich in den tropischen Urwäldern, in denen sie, trotz schnell erlangter Größe, vorerst nicht aufstöbert werden, aber sie entdecken auch die Osterinseln für sich. Diese sind in kurzer Zeit überzogen mit anfangs recht normal wirkenden Farnen, die dann rasch geradezu in die Höhe schießen. Die Menschheit rätselt, wo die wie aus heiterem Himmel gefallenen Urweltbäume wohl herkommen. Himmel, ja, heiter nicht, denn die Sporen ergossen sich zusammen mit Regen auf ihre neue Heimstatt. Der enttäuschte Professor Frastei hat bei diesen Nachrichten wohl die Nachkommen seiner Baumfarne im Verdacht, nur weiß er nicht, wie sie dahin gekommen sind. Über das offene Fenster hat ihn niemand informiert. Die transgenen Pflanzen blasen inzwischen jedoch zum Angriff auf die für die Menschheit so wichtigen Reisterrassen. Im Verein mit den auf gleichem Wege gereisten Moosen umzingeln sie deren sumpfige Mitten von allen vier Rändern gleichzeitig und sind nur mit viel körperlichem Einsatz in Schach zu halten.
Letzte Aktualisierung: 25.01.2010 - 15.29 Uhr Dieser Text enthält 10038 Zeichen.