Ganz schön bissig ...
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Do it youself | Januar 2010
Ein spätes Fest
von Ute Jürgens

Grau. Eindeutig und zuviel, um es zu übersehen. Missmutig zupfte Sieglinde vor dem Spiegel an einigen Haarsträhnen und krauste ihre ansonsten chirurgenmessergerade Nase. Ausgerechnet jetzt, ausgerechnet vor der großen Gala heute Abend musste ihr Coiffeur die Schweinegrippe haben und sie sitzen lassen. Was war schon so ein bisschen Grippe angesichts der Herausforderung, der sie sich heute zu stellen hatte! Aber wer weiß, vielleicht war er auch gar nicht krank – sondern womöglich bestochen von ihr, von dieser skrupellosen Person … die Welt war schlecht, und diesem Miststück war alles zuzutrauen. Schließlich hatte sie sich auch Sieglindes Mann geangelt. Was für ein Klischee: Zwanzig Jahre jünger, lange blonde Haare; wenig im Kopf, aber viel in der Bluse. Sieglinde nahm einen kräftigen Schluck aus der Proseccoflasche. Ramona – pfff! Diese Person konnte ihr doch nicht das Wasser reichen. Trotzdem war es eine bodenlose Unverschämtheit, dass ihr Mann (immer noch!) diese Ramona heute offiziell als seine Begleitung zu der Gala des Rotary-Clubs mitnehmen wollte. Zu den Rotariern! Natürlich wusste jeder, dass Herbert sich lächerlich machte mit diesem Flittchen. Trotzdem kam es für Sieglinde darauf an. Haltung zeigen, und vor allem: Gut aussehen! Sie musste unbedingt gut aussehen heute Abend, sie brauchte die Komplimente. „Sieglinde, du siehst toll aus – ich habe dich lange nicht so strahlend gesehen – es scheint dir richtig gut zu gehen, seit …“ Und sie würde lächelnd erwidern: „Oh ja, es ging mir nie besser!“
Nur ging das nicht mit grauen Haaren. Auch wenn Sieglinde sich insgeheim danach sehnte, die ganze Färberei loszuwerden und der Natur ihren Lauf zu lassen - grau war alt, und alt auszusehen war das letzte, was Sieglinde heute Abend passieren durfte. Sie hörte schon das Getuschel: „Alt ist sie geworden … es hat ihr offenbar doch arg zugesetzt …“ Bitte! Alles, nur kein Mitleid. Sieglinde nahm noch einen Schluck Prosecco.
Nein, heute brauchte sie unbedingt den gewohnten Glanz ihrer mahagonifarbenen Mähne. Aber wie – wenn Luigi sie in der Stunde ihrer Not im Stich ließ? Eine heiße Welle stieg in Sieglinde auf; sie kämpfte die Mischung aus Wechseljahren und Tränen tapfer mit zwei kräftigen Schlucken nieder.
Da fiel es ihr ein: Ihre Tochter benutzte doch immer diese Tönung aus der Drogerie… Hastig lief sie in das Gästebadezimmer. Ja – da waren noch zwei Packungen! Immerhin, wenn man der Werbung glauben durfte, nutzte sogar eine der Schauspielerinnen aus „desperate housewives“ dieses Produkt, und die sah schließlich jung und attraktiv aus; es war immerhin die, die mit dem jungen Gärtner angebandelt hatte … Und auch wenn Sieglinde keinen Gärtner kannte – verzweifelt war sie allemal.
Hastig schlang sie sich ein Handtuch um die Schultern und riss die Packung auf. Den unteren Teil gut schütteln, den oberen Teil aufschrauben, bis es „klick“ macht; dann gleichmäßig im feuchten Haar verteilen… Feuchtes Haar? Ach was, Sieglinde hatte jetzt keine Zeit mehr zum Haare waschen, es würde schon auch so gehen. Nervös verteilte sie die Paste in ihren Haaren. Zwanzig Minuten sollte die Farbe einwirken, am besten umwickelte man die Haare dazu mit Folie – und Wärme sollte die Wirkung noch verstärken. Das war genau, was sie brauchte. In der Küche fand sie Alufolie, die sie sich um den Kopf knüllte. Dann setze Sieglinde sich vor ihren Gesichtsbräuner; etwas sonnige Frische würde ihrem Teint genau den jugendlichen Touch geben, den sie heute brauchte.

Eine Stunde später wachte Sieglinde auf, weil ihr der Nacken wehtat. Offenbar war sie eingeschlafen. Der Kopf war ihr auf die Brust gesackt, was ihr einen üblen Sonnenbrand erspart, aber die Nackenschmerzen eingebracht hatte. Müde streckte sie die Hand aus und schaltete den Gesichtsbräuner aus, bevor sie sich den Nacken massierte. Warum tat sie sich das alles eigentlich an … Einen Moment lang spielte Sieglinde mit dem Gedanken, sich ein Bad einzulassen, den Pizzadienst anzurufen und einfach zu Hause zu bleiben, einen guten Film anzusehen … aber dann drängte sich dieses blonde Gift vor ihr inneres Auge und verdarb ihr die Vorstellung. Schlagartig war Sieglinde wieder wach: Nein, sie würde die Bühne keinesfalls kampflos freigeben. Entschlossen öffnete sie eine zweite Flasche Prosecco und eilte ins Bad, um ihre Mahagoni-Mähne zu frisieren. Das wäre doch gelacht!


Das Glas fiel klirrend zu Boden. Sieglinde starrte kreidebleich in den Spiegel. Erstickte Laute quollen aus ihrem Mund, Tränen aus ihren Augen. Das konnte, das durfte doch einfach nicht wahr sein! Ihr Blick wanderte immer wieder zwischen ihrem Spiegelbild und der Alufolie in ihrer Hand hin und her. Die Haare sollten im Spiegel zu sehen sein, auf ihrem Kopf – und nicht in ihrer Hand, auf der Folie! Wie konnte das geschehen?
Sieglinde sah aus wie ein gerupfter Vogel – todunglücklich und verwundet. Schließlich sank sie tonlos auf dem Toilettensitz in sich zusammen, die von der Hitze schrumpelige Folie mit ihren Haaren immer noch in der Hand.
„Aaaaaaaarrrggghh!!!!“ Laut und wütend knüllte Sieglinde die Folie zusammen und schlug mit den Fäusten gegen die Wand. Eine Furie starrte ihr aus dem Spiegel entgegen, mit wild flackerndem Blick. „Ihr wollt mich fertig machen, was? Habt euch alle verschworen! Aber nicht mit mir … so leicht kriegt ihr mich nicht unter! Sieglinde kommt von Sieg, und ich werde gewinnen, verlasst euch darauf!“ Kämpferisch reckte sie die Faust nach oben, wobei ihr Blick unweigerlich wieder auf die Haarsträhnen darin fiel. Zugegeben, im Moment sah es nicht gut aus. Aber ihr würde schon etwas einfallen; ihr war noch immer etwas eingefallen.

Wie eine Tigerin ging sie auf und ab durch die Wohnung. Über eine Frisur nachzudenken hatte sich erledigt, da konnte auch der beste Coiffeur nichts mehr zaubern. Perücken besaß sie nicht; wozu auch. Ein Hut vielleicht? Fiebrig kramte Sieglinde in ihrem Schrank, zog heraus, was ihr in die Hände kam. Eine Schachtel fiel zu Boden und gab einige Seidentücher frei, die wie buntes Laub sachte zu Boden schwebten. Vielleicht lag es daran, dass sie so langsam an ihr vorbeifielen – Sieglinde fing eines zwischen den Fingern auf und hatte plötzlich eine Idee. Hatte nicht in diesem Film Bette Davis so etwas getragen? Sieglinde wand sich einen purpurfarbenen, silbern besticken Schal um den Kopf. Es sah – grandios aus! Jetzt noch die Ohrringe dazu … Gut, Bette Davis war in jenem Film von einer jugendlichen Blondine ebenso weit entfernt wie Sieglinde von Ramona, aber sie hatte Stil! Größe! Ach was, Grandezza! „She´s got Bette Davis´ eyes …” Sieglinde summte vor sich hin und griff wieder zu der Flasche Prosecco. „Du hast nichts mehr zu verlieren, also kannst du nur noch gewinnen“, prostete sie ihrem Spiegelbild zu. Wen scherten lange blonde Haare – die hatte doch jeder Teenager heutzutage! Das war nun wirklich nichts Besonderes. Aber Stil, Grandezza! Wie würde sich das wohl auf den Fotos machen? Einen Moment lang war Sieglinde nun doch unsicher. Aber klein beigeben? Niemals.
Ein passendes Kleid und Make up zu finden, war nur noch ein Klacks. Entschlossen rief Sieglinde um kurz vor acht ihr Taxi.

Der livrierte Page am Eingang des Parkhotels schaute sie irritiert an und Sieglinde drehte sich eine Sekunde lang der Magen, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Entschlossen straffte sie die Schultern und schritt in den Saal.
„Sieglinde! Du siehst … verändert aus – aber gut, sehr gut!“ „Dieser Look … mutig, das muss man dir lassen. Aber du warst ja schon immer eine Avantgardistin!“ „Sieglinde, du bringst es auf den Punkt; jede andere würde blass aussehen – aber nicht du! Jetzt erst recht, nicht wahr?“ Sieglinde strahlte, sie sah die Anerkennung und Bewunderung in den Augen der anderen Frauen. Und erst die Männer … Horst und Gerd rissen sich förmlich darum, sie zu Tisch zu geleiten; und am späteren Abend taten ihr die Füße weh, so oft wurde sie zum Tanz aufgefordert. Nur Herbert schaute etwas säuerlich und verließ die Feier recht früh, was Sieglinde kaum auffiel, weil sie gerade den vierten Walzer tanzte. Herbert war eigentlich immer ein miserabler Tänzer gewesen. Sieglinde genoss den Abend bis in die Morgenstunden. Tatsächlich fühlte sie sich völlig unbeschwert und so frei wie lange nicht. Warum war sie früher eigentlich so selten Tanzen gegangen? Was für ein Spaß!
Nur die eindeutigen Avancen von Horst, der sie nach Hause begleiten wollte, lehnte Sieglinde kichernd ab … das wollte sie sich nun doch lieber aufsparen, bis die Haare nachgewachsen wären. Außerdem – war Horst nicht doch schon ein bisschen zu alt für sie?

Letzte Aktualisierung: 27.01.2010 - 18.44 Uhr
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