Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Do it youself | Januar 2010
Anderland
von Roland Neger

„Du willst es also alleine schaffen?“
Ihre Oma hatte sich bei ihr untergehakt und beide schlenderten durch den verschneiten Wald, der gleich hinter dem Haus der Grosseltern begann.
„Ja Omi, ich will den Arsch nie mehr wieder sehen. Weißt du, dass er sogar seine Handynummer geändert hat“. Wütend trat sie nach einem Schneehaufen, das sie fast das Gleichgewicht verlieren lies, wenn nicht Großmutters Arm sie gehalten hätte.
„Ich hab solch eine Angst.“ Julia blieb stehen und sah die alte Dame an. „Die ganze Welt wollten wir aus den Angeln heben. Und da werd ich schwanger, und dieser Mistkerl zieht den Schwanz ein.“ Julia musste grinsen, die in ihrem letzten Satz steckende Metapher hatte was, das sogar Omi ein Lächeln entlockte.
„Ach ist doch wahr.“
Die alte Frau an ihrer Seite summte eine Melodie vor sich hin, die Julia so lange nicht mehr gehört hatte. Ganz tief aus dem Innersten ihrer Seele intonierte Julias Großmutter eine uralte Weise, deren Klänge irgendwie an das behagliche Schnurren ihrer schwarzen Katze erinnerten.
Julia schmiegte sich ganz eng an ihre Oma und lauschte diesen vertrauten Tönen und je mehr sie sich ihnen hingab umso weniger nahm sie ihre Umgebung wahr.

„Ich will Dir Anderland zeigen.

Steh einen Augenblick still – achte auf den Wind, auf jenen Wind, der uralte Lieder singen kann. Lieder von Peter Pan und der Kraft zu fliegen. Jener Wind, der Dich sanft berührt, Dich empor hebt auf seinen Schwingen Dich tragen kann wo immer Du auch hin willst.

Deine Reise im Anderland beginnt auf einer Sommerwiese. Du scheinst zu schweben und dennoch spürst Du mit Deinen bloßen Füßen den Tau, den die Nacht den Elfen geschenkt hat.
In Anderland gehen die Menschen barfuss, musst Du wissen. Die Steine, die Deine Füße begrüßen sind rund und warm, sie verletzen niemals und schillern in allen Farben, wenn Du sie in das Sonnenlicht hältst. Spüre den leisen Pulsschlag der Kristalle auf Deiner Handfläche, erfahre die Wärme, die von Deinen Händen ausgehend sich in Deinem ganzen Körper ausbreitet.

Der Wind, der Dich bis auf diese Aue getragen hat, umweht Dich jetzt mit sanftem Hauch und verzaubert Dich mit dem Duft der Wiesenblumen.

Wenn Du Dich nach rechts drehst, kannst Du Bäume erkennen, der Rand eines Waldes lädt ein, der Mittagshitze in seinem Schutz zu entfliehen. Davor pflügt ein Bauer sein Feld. Zwei schwere braune Pferde ziehen den Pflug und hinter dem Gespann zanken sich Vögel um die Würmer, die der umgeworfene Boden freigegeben hat.
Du gehst neugierig näher heran und atmest den schweren Duft der Erde ein.
Es schmeckt nach frischem Brot und mildem Salz.
In der Ferne kannst Du die roten Dächer eines kleinen Dorfes erkennen und der Klang einer hellen Glocke trägt Dir das Lied vom Werden und Wachsen entgegen.

Breite Deine Arme aus und dreh Dich mit dem Klang des Lebens und lass Dich vom Frieden dieser Welt umfangen. Du beginnst mit den Schmetterlingen zu tanzen, die Dich längst bemerkt haben und Dir die Grüsse von Zwergen und Riesen überbringen sollen.
Ein Zauberer, der ganz in der Nähe wohnt, hat ihnen Stimmen verliehen, die Dir wispernd von Anderland berichten. Sie zeigen Dir den Weg, am Bach entlang zur Begegnungsstätte aller Wesen hier, wenn der Silbermond zur nächtlichen Feier ruft.

Auf einer alten Bank ruhst Du Dich einen Augenblick aus. Mit geschlossenen Augen nimmst Du dunkelrot das Sonnenlicht auf Deinen Lidern wahr. Unbemerkt hat jemand einen Krug Wasser neben Dir abgestellt.
Du spürst, dass wohlwollende neugierige Augen auf Dir ruhen. Schon lange haben sie kein Menschenkind mehr gesehen. Feen, Elfen und andere wunderliche Wesen sind seit Anbeginn der Zeit in der Nähe der Menschen gewesen und viele Jahrhunderte beschützten sie ihre Träume. Und manchmal, wenn sie jemanden ganz besonders lieb haben, dann zeigen sie ihm oder ihr das Anderland.

Der Klang einer Flöte weckt Dich aus Deinen Gedanken.
Der Tag will zur Ruhe gehen und verabschiedet sich von Dir mit dem schönsten Sonnenuntergang, den Du je erlebt hast. Das warme rote Licht durchflutet Dich, berührt Deine Seele und trägt Dir Gedanken zu, die flüsternd von Liebe und Zärtlichkeit singen.
Eine in Nichts gekleidete Elfe winkt Dich zu sich heran, Du siehst ein herrliches weisses Pferd, das leise schnaubend mit dem Vorderhuf scharrt, Dich zu tragen einlädt und während Du seine Mähne greifen darfst, erkennst du ein silbernes gedrehtes Horn auf seinem edlen Kopf.
Ich bringe Dich zu Deinem Gastgeber, meinst du seine Stimme zu hören.

Habe ich vergessen zu erwähnen, dass in Anderland die Tiere sprechen können?

„Wir können auch in eurer Welt sprechen“ hörst Du das Einhorn sagen. „Ihr müsst uns nur in die Augen schauen und aufmerksam sein. Wir haben viel zu erzählen“

Inzwischen ist es Nacht geworden. Du glaubst die Sterne greifen zu können, und während des Ritts auf dem weissen Pferd erkennst du den „Grossen Wagen“, die Venus, die als Abendstern von Leidenschaft und Hingabe zu künden weiß, Sternenbilder, die das Schicksal der Welt begleiten seit Urbeginn der Zeiten.
Die Nacht umhüllt Dich wie ein wärmender Mantel und bald kommst Du mit Deinen neuen Freunden an dem Ort an, wo Melodie und Licht zu einer einzigen Wahrnehmung verschmelzen.

Schwerer süsser Wein berührt Deine Zungenspitze. Ein einziger Tropfen, in dem eine ganze Jahreszeit liegt. Das Eis des klirrenden Frostes im Winter, in diesem Augenblick Kühle für dein heisses Herz, die Leidenschaft des Frühlings mit der Explosion des Lebens in Dir, die ruhige Gelassenheit eines Sommer, der seiner Erfüllung gewiss ist im Reichtum des Herbstes. Du spürst den Anfang und das Ende, den Kreislauf des Lebens, allumfassend, tanzen die Geschöpfe der Nacht mit Dir den ewigen Tanz von Tod und Wiedergeburt.
Im Schein eines unwirklichen Feuers fliehen alle Schatten. Sie nehmen den Schmerz und die Tränen von Dir fort und das höhnische Lachen ist ihnen auf immer verboten.
Ein kleines Mädchen trägt dir einen Spiegel entgegen. In ihm kannst Du den Silbermond sehen und ganz nah erkennst Du eine Dir bekannte Gestalt.
Sie trägt ein Kleid von der Farbe der Sonne, und ein Gespinst von silbernen Fäden umschmeichelt ihren Hals.
„Ich war nie weg . Immer hab ich Dich festgehalten, Deine Tränen gesehen, mit Dir gelacht und Dir geholfen, neues Leben zu geben. Hinter Deiner Angst warte ich auf Dich und in Deinen Träumen zeige ich Dir ein Licht, das keine Schatten kennt.
Ich achte auf Dich und manchmal zwinkere ich Dir im Spiegel zu. Ich bin nie eingesperrt gewesen. Sieh in das Wasser, den silbernen Fluss und das Glas in den Strassen der Stadt. Überall begegnen wir uns und wenn Du lächelst, dann lächel ich zurück. Und immer wenn Du ein wenig länger schaust kannst du Anderland erkennen, denn das ist mein Zuhause und Dein Ziel“

Letzte Aktualisierung: 12.01.2010 - 21.07 Uhr
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