Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Do it youself | Januar 2010
Paris ist eine Reise wert
von Stephanie Berth

Die Beine taten ihr weh, doch sie wollte niemanden davon erzĂ€hlen. Die festeingestellten VerkĂ€uferinnen waren ausschließlich doppelt so alt wie sie und trugen auch noch Absatzschuhe. Marianne entschuldigte das Tragen von flachen Schuhen ihrer GrĂ¶ĂŸe wegen. „Ich bin schon so lang gewachsen.“, pflegte sie zu sagen. „Wenn ich da noch ein paar Zentimeter dran baue, verscheuche ich jeden Kunden.“ Sobald sie hinter dem Kassentisch verborgen stand, schlĂŒpfte sie aus ihren unbequemen Mokassins und ließ ihre FĂŒĂŸe auf dem frischen Fließen abkĂŒhlen. Dabei hinterließ sie einen kondensierten Fußabdruck, wobei sie sich MĂŒhe gab, dass niemand sie dabei ertappte.

Wenn sie ihren Kollegen zuhörte, hatte sie den Eindruck, ein dreckiges, hĂ€ssliches Entchen zu sein. Diese Damen kannten sich hervorragend in WeichspĂŒlern undPutzmitteln aus. Angeblich wurde jeden Tag gesaugt und geputzt und gewaschen. Sie empfand es als unglaublich und fragte sich, wo diese Frauen diese Energie hernahmen, nach langen Tagen sich in solche BeschĂ€ftigungen zu stĂŒrzen. Sie allgemeinen GesprĂ€chsthemen drehten sich um Putzen, DiĂ€ten, Tratsch und ihre LektĂŒre beschrĂ€nkte sich auf die Regenbogenpresse oder Gratisheftchen ĂŒber Gesundheit aus dem Reformladen. Die Damen gingen gern zum Arzt, was ihnen zusĂ€tzlichen GesprĂ€chsstoff lieferte und kannten sich gut im lokalen Klatsch und Tratsch aus. Sie spielten stĂ€ndig ein gewisses Versteckspiel mit dem GeschĂ€ftsinhaber und gaben vor, beschĂ€ftigt zu sein, wenn er auftauchte. Marianne hingegen tappte immer wieder in die selbe Falle – sie rĂ€umte auf, sortierte und arrangierte die Waren wĂ€hrend seiner Abwesenheit und war aufmerksam, wenn er erschien, was jedes Mal als Nichtstun ihrerseits interpretiert wurde. Die Kunden verirrten sich selten in diese ĂŒberteuerte Boutique. Der Dekoration nach zu urteilen musste dieser Laden seine goldenen Jahre in der Mitte der achtziger Jahre gekannte haben aber in dieser kleinen Provinzstadt war es nicht unbedingt nötig, regelmĂ€ĂŸig den ‚Look‘ zu verbessern. Konkurrenz zu andere LĂ€den gab es kaum und ein paar Stammkunden kamen in regelmĂ€ĂŸigen AbstĂ€nden, etwas Geld von ihren Gatten auszugeben und dabei mit Mariannes Kollegen die Neuigkeiten der lokalen Gesellschaft auszutauschen. Sie hatte diesen Job rasch gefunden, um die Zeit zu ĂŒberbrĂŒcken. Ihr Abitur war bestanden, in ein paar Wochen wĂŒrde es eine offizielle Zeremonie geben, mit BĂŒrgermeister und ĂŒberhaupt, um die wertvollen Dokumente zu ĂŒberreichen. Sie fĂŒhlte sich wie in ein Loch gefallen. Zu studieren war nicht unbedingt angesagt, denn ihre Vorstellungen des Studienweges entsprachen nicht denen ihrer Eltern. Ohnehin sah sie sich außer Stande ĂŒber Jahre abhĂ€ngig zu sein, jeden Schritt begrĂŒnden zu mĂŒssen und fĂŒr jedes Projekt zu kĂ€mpfen. Sie musste zusehen, wie sie fertig wurde. Da war noch ihre kleine Schwester und all diese ZukunftsĂ€ngste – es war Zeit das Nest zu verlassen 


„An was denkst du denn schon wieder? Du bist eine nachdenkliche Person.“ Mit diesen Worten holte Gisela ihren jungen SchĂŒtzling zurĂŒck in die RealitĂ€t eines verschlafenen Modeladens. Gisela war die Ă€lteste aller VerkĂ€uferinnen, ein paar Jahre noch und sie wĂŒrde in Rente gehen. FĂŒr ihr Alter war sie noch recht hĂŒbsch, ein bisschen schrullig aber sehr liebenswert. Sie war auch jene, die die anderen Biester etwas im Griff hatte, ansonsten wĂ€re Mariannes Aufenthalt in dieser Gesellschaft unmöglich gewesen.

„Guten Tag Gisela, ich habe Sie heute noch nicht gesehen. Ist denn alles in Ordnung?“, eröffnete Marianne das GesprĂ€ch. Die Ă€ltere Dame winkte ab und erzĂ€hlte, dass sie beim Arzt gewesen war, sie schliefe in letzter Zeit sehr schlecht und hatte Schwierigkeiten mit der Verdauung. NervositĂ€t, sie sollte etwas fĂŒr ihre Nerven tun. Marianne wusste genau, dass sie jetzt fragen musste, was sie denn von ihrem Schlaf abhalten wĂŒrde, so sicherte sich Gisela ein offenes Ohr, entschuldigte sich flĂŒsternd, weil sie mal rasch aufs Klöchen mĂŒsse, wo sie mindestens ein Viertelstunde blieb, um anschließend ihr Leid zu klagen. Marianne kannte innerhalb erstaunlich kurzer Zeit gut die Verhaltensmuster ihrer Kolleginnen. Die zwei anderen Frauen waren schon eine Weile nicht mehr zu sehen. Offensichtlich wĂŒrde sich der Chef vor Ladenschluss nicht blicken lassen, so konnte sich Gisela mit ihrer jungen Hobbypsychologin in aller Ruhe ĂŒber ihr Elend auslassen. Genau sechzehn Minuten spĂ€ter tauchte sie aus dem hinteren Teil des Ladens wieder auf und richtete umstĂ€ndlich ihren etwas zu engen Rock und die makellos weiße Bluse. Marianne verstand nicht, warum Gisela dergleichen in aller Öffentlichkeit tat aber sie wĂŒrde nie darauf ansprechen. „Nun aber raus damit! Was ist denn so belastend?“ „Ach, sie sind ein so gutes Ding. Wenn Sie doch wĂŒssten, meinem Sohn geht’s so schlecht. Er isst schon seid einer Woche kaum was, er hat schon richtig abgenommen. Seine Freundin hat ihn verlassen, einfach fallen gelassen hat sie ihn. Sie wolle ein anderes Leben, hat sie gesagt. Kann man sich das vorstellen? Heutzutage gibt es keine Liebe mehr! Fast ein Jahr waren sie zusammen gewesen, ein hĂŒbsches MĂ€dchen und so ordentlich. Sie macht eine Lehre in der Bank.“ Gisela seufzte herzzerreißend. Es war bemerkenswert, wie sie schauspielerisch veranlagt war. Ein paar Jahre jĂŒnger und sie hĂ€tte ohne Weiteres an der Theater-AG teilnehmen können. Marianne wartete geduldig auf die Fortsetzung und lĂ€chelte höflich. „Einfach fallen gelassen hat sie ihn und ich kann Ihnen das beteuern, nicht weil es mein Sohn ist, er ist ein ordentlicher Jung und gut sieht er auch aus. Sie brauchte sich seinetwegen nicht zu schĂ€men. Aber er war ihr nicht gut genug.“ „Vielleicht denkt sie es sich noch anders und kommt in ein paar Tage wieder zu ihm zurĂŒck.“, versuchte Marianne ihre Kollegin aufzumuntern. Eigentlich hatte sie ĂŒberhaupt keine Lust, sich die ausgebrannten Liebesgeschichten von Sohnemann anzuhören aber vorlĂ€ufig hatte sie keine andere Wahl – es ließ sich keine Kundin zur Abwechslung blicken. „Ich glaube nicht. Die ist gegangen. Dabei hat er sich solche MĂŒhe gegeben. Er hat sie ausgefĂŒhrt und ihr Blumen geschenkt – ein vollendeter Kavalier. Und sie ist so undankbar. Soll sie erst einmal einen besseren finden. Das wird nicht so einfach sein – heutzutage! Stellen Sie sich vor, von seinem knappen Gehalt hat er sich was abgespart und sie auf eine Reise mitgenommen. Er hat ihr Paris gezeigt! Das hĂ€tte er sich sparen können. Vielleicht sind ihr die Ideen vom großartigen Leben da erst gekommen. HĂ€tte mich ein Mann auf eine Reise nach Paris mitgenommen, ich hĂ€tte ihn auf der Stelle geheiratet.“ Marianne wurde ungemĂŒtlich warm vor Ungeduld. Gisela redete und redete aber sie hörte nicht mehr zu. Offensichtlich war, dass die Mutter in ihrem Sohn den idealen Ehemann gefunden hatte und diese Diagnostik gefiel Marianne ĂŒberhaupt nicht. Tja, so war es immer: den anderen Zicken wurden Reisen geschenkt und sie machten sich zu allen Überfluss auch noch aus dem Staub, weil sie mehr vom Leben erwarteten. Zu Hause auf ihrer Kommode lag ein Zweite Klasse Bahnticket, eine einfache Fahrt Frankfurt-Paris, Gare de l’est. Das Datum war fĂŒr nĂ€chste Woche nachdem sie hier aufgehört hatte. Sie kannte niemanden dort, lediglich eine Adresse, an der man Au-pair-MĂ€dchen vermittelte. Marianne hatte mit den jungen MĂ€nnern noch kein besonders GlĂŒck gehabt. Sie galt im Allgemeinen als zu nachdenklich und unbequem. GlĂŒcklicherweise hatte sie niemanden in diesem Laden von ihrem Vorhaben erzĂ€hlt. Gisela wĂŒrde sie nur noch mehr beschlagnahmen und ihr womöglich noch ihren Sohn vorstellen. Wahrscheinlich war Marianne auch nicht besser als die Exfreundin, sie wollte auch mehr vom Leben und Paris hatte sie noch nie gesehen.

Letzte Aktualisierung: 22.01.2010 - 19.54 Uhr
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