Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Do it youself | Januar 2010
Paris ist eine Reise wert
von Stephanie Berth

Die Beine taten ihr weh, doch sie wollte niemanden davon erzählen. Die festeingestellten Verkäuferinnen waren ausschließlich doppelt so alt wie sie und trugen auch noch Absatzschuhe. Marianne entschuldigte das Tragen von flachen Schuhen ihrer Größe wegen. „Ich bin schon so lang gewachsen.“, pflegte sie zu sagen. „Wenn ich da noch ein paar Zentimeter dran baue, verscheuche ich jeden Kunden.“ Sobald sie hinter dem Kassentisch verborgen stand, schlüpfte sie aus ihren unbequemen Mokassins und ließ ihre Füße auf dem frischen Fließen abkühlen. Dabei hinterließ sie einen kondensierten Fußabdruck, wobei sie sich Mühe gab, dass niemand sie dabei ertappte.

Wenn sie ihren Kollegen zuhörte, hatte sie den Eindruck, ein dreckiges, hässliches Entchen zu sein. Diese Damen kannten sich hervorragend in Weichspülern undPutzmitteln aus. Angeblich wurde jeden Tag gesaugt und geputzt und gewaschen. Sie empfand es als unglaublich und fragte sich, wo diese Frauen diese Energie hernahmen, nach langen Tagen sich in solche Beschäftigungen zu stürzen. Sie allgemeinen Gesprächsthemen drehten sich um Putzen, Diäten, Tratsch und ihre Lektüre beschränkte sich auf die Regenbogenpresse oder Gratisheftchen über Gesundheit aus dem Reformladen. Die Damen gingen gern zum Arzt, was ihnen zusätzlichen Gesprächsstoff lieferte und kannten sich gut im lokalen Klatsch und Tratsch aus. Sie spielten ständig ein gewisses Versteckspiel mit dem Geschäftsinhaber und gaben vor, beschäftigt zu sein, wenn er auftauchte. Marianne hingegen tappte immer wieder in die selbe Falle – sie räumte auf, sortierte und arrangierte die Waren während seiner Abwesenheit und war aufmerksam, wenn er erschien, was jedes Mal als Nichtstun ihrerseits interpretiert wurde. Die Kunden verirrten sich selten in diese überteuerte Boutique. Der Dekoration nach zu urteilen musste dieser Laden seine goldenen Jahre in der Mitte der achtziger Jahre gekannte haben aber in dieser kleinen Provinzstadt war es nicht unbedingt nötig, regelmäßig den ‚Look‘ zu verbessern. Konkurrenz zu andere Läden gab es kaum und ein paar Stammkunden kamen in regelmäßigen Abständen, etwas Geld von ihren Gatten auszugeben und dabei mit Mariannes Kollegen die Neuigkeiten der lokalen Gesellschaft auszutauschen. Sie hatte diesen Job rasch gefunden, um die Zeit zu überbrücken. Ihr Abitur war bestanden, in ein paar Wochen würde es eine offizielle Zeremonie geben, mit Bürgermeister und überhaupt, um die wertvollen Dokumente zu überreichen. Sie fühlte sich wie in ein Loch gefallen. Zu studieren war nicht unbedingt angesagt, denn ihre Vorstellungen des Studienweges entsprachen nicht denen ihrer Eltern. Ohnehin sah sie sich außer Stande über Jahre abhängig zu sein, jeden Schritt begründen zu müssen und für jedes Projekt zu kämpfen. Sie musste zusehen, wie sie fertig wurde. Da war noch ihre kleine Schwester und all diese Zukunftsängste – es war Zeit das Nest zu verlassen …

„An was denkst du denn schon wieder? Du bist eine nachdenkliche Person.“ Mit diesen Worten holte Gisela ihren jungen Schützling zurück in die Realität eines verschlafenen Modeladens. Gisela war die älteste aller Verkäuferinnen, ein paar Jahre noch und sie würde in Rente gehen. Für ihr Alter war sie noch recht hübsch, ein bisschen schrullig aber sehr liebenswert. Sie war auch jene, die die anderen Biester etwas im Griff hatte, ansonsten wäre Mariannes Aufenthalt in dieser Gesellschaft unmöglich gewesen.

„Guten Tag Gisela, ich habe Sie heute noch nicht gesehen. Ist denn alles in Ordnung?“, eröffnete Marianne das Gespräch. Die ältere Dame winkte ab und erzählte, dass sie beim Arzt gewesen war, sie schliefe in letzter Zeit sehr schlecht und hatte Schwierigkeiten mit der Verdauung. Nervosität, sie sollte etwas für ihre Nerven tun. Marianne wusste genau, dass sie jetzt fragen musste, was sie denn von ihrem Schlaf abhalten würde, so sicherte sich Gisela ein offenes Ohr, entschuldigte sich flüsternd, weil sie mal rasch aufs Klöchen müsse, wo sie mindestens ein Viertelstunde blieb, um anschließend ihr Leid zu klagen. Marianne kannte innerhalb erstaunlich kurzer Zeit gut die Verhaltensmuster ihrer Kolleginnen. Die zwei anderen Frauen waren schon eine Weile nicht mehr zu sehen. Offensichtlich würde sich der Chef vor Ladenschluss nicht blicken lassen, so konnte sich Gisela mit ihrer jungen Hobbypsychologin in aller Ruhe über ihr Elend auslassen. Genau sechzehn Minuten später tauchte sie aus dem hinteren Teil des Ladens wieder auf und richtete umständlich ihren etwas zu engen Rock und die makellos weiße Bluse. Marianne verstand nicht, warum Gisela dergleichen in aller Öffentlichkeit tat aber sie würde nie darauf ansprechen. „Nun aber raus damit! Was ist denn so belastend?“ „Ach, sie sind ein so gutes Ding. Wenn Sie doch wüssten, meinem Sohn geht’s so schlecht. Er isst schon seid einer Woche kaum was, er hat schon richtig abgenommen. Seine Freundin hat ihn verlassen, einfach fallen gelassen hat sie ihn. Sie wolle ein anderes Leben, hat sie gesagt. Kann man sich das vorstellen? Heutzutage gibt es keine Liebe mehr! Fast ein Jahr waren sie zusammen gewesen, ein hübsches Mädchen und so ordentlich. Sie macht eine Lehre in der Bank.“ Gisela seufzte herzzerreißend. Es war bemerkenswert, wie sie schauspielerisch veranlagt war. Ein paar Jahre jünger und sie hätte ohne Weiteres an der Theater-AG teilnehmen können. Marianne wartete geduldig auf die Fortsetzung und lächelte höflich. „Einfach fallen gelassen hat sie ihn und ich kann Ihnen das beteuern, nicht weil es mein Sohn ist, er ist ein ordentlicher Jung und gut sieht er auch aus. Sie brauchte sich seinetwegen nicht zu schämen. Aber er war ihr nicht gut genug.“ „Vielleicht denkt sie es sich noch anders und kommt in ein paar Tage wieder zu ihm zurück.“, versuchte Marianne ihre Kollegin aufzumuntern. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust, sich die ausgebrannten Liebesgeschichten von Sohnemann anzuhören aber vorläufig hatte sie keine andere Wahl – es ließ sich keine Kundin zur Abwechslung blicken. „Ich glaube nicht. Die ist gegangen. Dabei hat er sich solche Mühe gegeben. Er hat sie ausgeführt und ihr Blumen geschenkt – ein vollendeter Kavalier. Und sie ist so undankbar. Soll sie erst einmal einen besseren finden. Das wird nicht so einfach sein – heutzutage! Stellen Sie sich vor, von seinem knappen Gehalt hat er sich was abgespart und sie auf eine Reise mitgenommen. Er hat ihr Paris gezeigt! Das hätte er sich sparen können. Vielleicht sind ihr die Ideen vom großartigen Leben da erst gekommen. Hätte mich ein Mann auf eine Reise nach Paris mitgenommen, ich hätte ihn auf der Stelle geheiratet.“ Marianne wurde ungemütlich warm vor Ungeduld. Gisela redete und redete aber sie hörte nicht mehr zu. Offensichtlich war, dass die Mutter in ihrem Sohn den idealen Ehemann gefunden hatte und diese Diagnostik gefiel Marianne überhaupt nicht. Tja, so war es immer: den anderen Zicken wurden Reisen geschenkt und sie machten sich zu allen Überfluss auch noch aus dem Staub, weil sie mehr vom Leben erwarteten. Zu Hause auf ihrer Kommode lag ein Zweite Klasse Bahnticket, eine einfache Fahrt Frankfurt-Paris, Gare de l’est. Das Datum war für nächste Woche nachdem sie hier aufgehört hatte. Sie kannte niemanden dort, lediglich eine Adresse, an der man Au-pair-Mädchen vermittelte. Marianne hatte mit den jungen Männern noch kein besonders Glück gehabt. Sie galt im Allgemeinen als zu nachdenklich und unbequem. Glücklicherweise hatte sie niemanden in diesem Laden von ihrem Vorhaben erzählt. Gisela würde sie nur noch mehr beschlagnahmen und ihr womöglich noch ihren Sohn vorstellen. Wahrscheinlich war Marianne auch nicht besser als die Exfreundin, sie wollte auch mehr vom Leben und Paris hatte sie noch nie gesehen.

Letzte Aktualisierung: 22.01.2010 - 19.54 Uhr
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