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Tante Käthe | Februar 2010
Rituale
von Helga Rougui

Rituale sind das Skelett, an das sich die Weichteile meines Lebens klammern.

Ich liebe Rituale. Ich brauche sie. Jedes Ritual erfüllt eine Funktion im Wellengang der Ereignisse, die mich umspülen, umbranden, umreißen.
Manchmal, bei dem einen oder anderen, dauert es seine Zeit, bis ich dahintersteige, wozu es gut sei.
Aber die meisten haben ihren Sinn.

Jeden dritten Sonntag im Monat gehe ich zu Tante Käte.
Tante Käte ohne h ist die Schwester meiner Mutter und das einzige Familienmitglied, das meinem Bruder und mir verblieben ist. Ihre beiden Töchter leben in Australien, sie selbst in unserem Nachbarort - also gehen mein Bruder am ersten und ich am dritten Sonntag eines jeden Monats jeweils zu ihr auf Besuch.

Wir haben beide einen Schlüssel zu Tante Kätes Wohnung, denn die Mühe, uns die Tür zu öffnen, erspart sie sich. Sie hat das Laufen bereits vor langer Zeit aufgegeben wegen ihrer Arthrose, um die sie sich wenig geschert hat, als noch Maßnahmen hätten ergriffen werden können. Umso mehr scherte sich die Krankheit dann später um sie, und da die Tante irgendwann bewußt die Bewegungslosigkeit zwecks Schmerzvermeidung gewählt hatte, wurde ihr Schicksal hauptsächlich auf der riesigen Couch in ihrem Wohnzimmer ausgebremst. Das lila Ledersofa ist Tante Kätes Lebensmittelpunkt am Tage, in der Nacht ist es ihr Bett, ihre beiden täglichen längeren Spaziergänge bestehen darin, sich morgens aus dem einen zum anderen zu bewegen und abends vom anderen zum einen zurückzukehren. Das Aufstehen wird ihr durch eine kompliziert anmutende Gestängemaschinerie erleichtert, auf die ich hier, da technisch wenig versiert, nicht näher eingehen möchte – nur so viel, sie erfüllt ihren Zweck, nämlich den, ihr die wiederholten kürzeren Gänge ins Badezimmer und in die Küche zu ermöglichen, die während ihres Tagesablaufs anfallen. Im übrigen umgeben sie eine wohlsortierte Bibliothek sowie eine reichhaltige DVD-Sammlung, der Weinkeller und der Kühlschrank werden durch ausgesuchte Lieferdienste regelmäßig aufgefüllt und es gibt einen Gärtner und eine Zugehfrau, wie Tante Käte sie nennt. Fernsehen, Internet und die Tageszeitung (was ihre Lektüre betrifft, ist Tante Käte eher der haptische Typ – sie hält auch nichts vom E-Book, was sicher eine Generationenfrage ist) sorgen dafür, daß sie den Anschluß an die Welt draußen nicht verliert.

Immer wenn sie hört, daß sich ein Schlüssel im Schloß dreht und die Wohnungstür sich öffnet, ruft Tante Käte aus dem Wohnzimmer "bisdusmeinkind" - so umgeht sie es, uns beim Namen nennen zu müssen, denn den Überblick, um welchen Sonntag es sich handelt, hat sie schon längst verloren. Das weiß sie erst, wenn sie sieht, wer dann in der Folge den Kopf um die Ecke steckt und ihr zumurmelt "schmachmankaffe", dann sagt sie zum Beispiel "achdubistselisabeth", und dann gehe ich in die Küche, mache Kaffe, wickele den guten Kirschkuchen von der ersten Konditorei am Platze aus, setze mich zu Tante Käte und lausche ihren langen, lebensklugen, selbstverliebten, teils redundanten Monologen, zu denen ich nur hin und wieder ein zustimmendes Knurren beizusteuern habe. Sie sitzt auf dem Sofa wie eine weiche, breite Kröte in ihrem Schlammloch, nur daß Kröten nichts Geblümtes tragen, das sich mit der Farbe ihres Sitzmöbels beißt. Jedesmal scheint sie mir ein wenig ausladender geworden zu sein, ein wenig mehr eingesunken in ihre Modderpolster, inkrustiert und für die Ewigkeit gebannt in unvergängliche gute deutsche Wertarbeit. Nach zwei Stunden ist die Zeit um, meine Pflicht ist getan, ich bin entlassen ob einer Fernsehsendung willen, die sie unbedingt sehen muß. Ich weiß nicht, um welche Sendung es sich handelt, und habe oft den Verdacht, daß sie diesen Termin mit sich selbst nur erfindet, um mir die Beendigung des Besuches zu erleichtern, aber ich frage nie nach, erhebe mich, bringe das benutzte Geschirr in die Küche zurück, sortiere es in die Spülmaschine, verabschiede mich mit einem kurzen "alsobisdanntantekäte" und sie "jabisbaldmeinkindundbleibgesund" und die Wohnungstür fällt hinter mir ins Schloß.

… … …

Wenn sich Tante Käte grundsätzlich für andere Leute, also auch für mich interessierte, könnte ich ihr besonders in diesen letzten Monaten Neues von mir erzählen. Offensichtlich liegt das Problem mit den Gelenken bei uns in der Familie, man hat bei mir eine Arthrose im Anfangszustand diagnostiziert, mir zunächst eine aufwendige Behandlung verabfolgt und mich jetzt mit umfassenden und zeitraubenden Therapievorschlägen versehen in die Eigenverantwortlichkeit entlassen. Es liegt, so wie es zum gegenwärtigen Zeitpunkt aussieht, lediglich an mir, gravierendere Folgen der Krankheit zunächst einmal hinauszuschieben. Ich muß mir nur Mühe geben, am Ball bleiben, Einsatz zeigen.

Ich bin etwas bedrückt, weil ich weiß, daß die Zeiten, die auf mich zukommen, nicht einfach sein werden.

Um so mehr brauche ich meine Rituale.

Morgen ist wieder Besuchszeit bei Tante Käte.

Letzte Aktualisierung: 20.02.2010 - 17.56 Uhr
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