Der himmelblaue Schmengeling
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Tante Kthe | Februar 2010
Die alte Kiste
von Regina Lange

Meine Tante wurde von ihrem Adoptivsohn ins Altersheim abgeschoben. Jedenfalls erzählte sie mir das sehr oft. Angeblich sei sie zu gebrechlich und könne sich nicht mehr alleine versorgen. Ihr war es nicht recht, im Seniorenheim zu leben. Immer wenn ich sie besuchte, nörgelte meine Tante. Sie mäkelte an dem Essen herum. Das Zimmer wurde nicht ordentlich gereinigt, und zu guter Letzt tadelte die Frau mich auch noch, wenn zwischen den Besuchen ein paar Tage vergangen waren. Meine Anverwandte kannte nur ein Gesprächsthema: Zynisch über ihren Adoptivsohn reden. Sie drohte, ihn zu enterben. Ob ich im Testament bedacht worden bin?

Ich wachte morgens mit Kopfschmerzen auf. Ich hatte immer einen schweren Kopf, wenn ich zu Besuch bei meiner Tante war. Wieder stand mir ein anstrengender Tag bevor. Nach einem starken Kaffee machte ich mich auf den Weg ins Büro. Da stand sie. Diese alte Kiste, die mich irgendwie an meine Tante erinnerte. Bockig und starrsinnig. Natürlich hinkt der Vergleich, aber dennoch musste ich schmunzeln. Leise schlich ich mich an meinen Arbeitsplatz. Im Moment befand sie sich im Ruhezustand. Bloß keine Erschütterung erzeugen.

Manchmal komme ich mir eben richtig wie auf den Arm genommen vor. Vor Kurzem war die Verbindung des Druckers gekappt. Nichts tat sich. Alle Möglichkeiten waren erschöpft. Auf einmal kreuzte Herr Klein auf, zog an einigen Kabeln herum, und was geschah? Drucken wurde meiner Person wieder erlaubt.
„Sie müssen nur Geduld haben, dann geschieht alles wie von selbst“, sagte er grinsend und verschwand aus meinem Büro.
„Pah.“ Typisch, der Drucker lief wieder und die alte Kiste schnurrte wie ein Kätzchen.
Gestern gerade. Widerspenstig die Selbige. Habe den ganzen Tag verplempert. Stecker rein, Stecker raus. Keine Reaktion.
Zähneknirschend rief ich Herrn Klein an: „Könnten Sie mal in mein Arbeitszimmer schauen?“
„Wieder Probleme?“, gab er zurück.
„Ja.“
„Werde mal sehen, wo die Problematik liegt.“
Ein, zwei Handgriffe und sie säuselte still vor sich hin. Immer das Gleiche. Funktionierte bei meinem Kollegen tadellos.
Vor einiger Zeit stand Erwärmung als Folge von Überlastung an. Keinesfalls sofort voll aufdrehen, hieß es. Langsam hochfahren und warten. Worauf?
„Beobachten und die Temperatur regeln“, bemerkte mein Arbeitskollege.
„Wie …?“ Meine Wenigkeit hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Wahrscheinlich wieder nur eine neue Macke. Kennzeichnend für die alte Kiste.
„Dann kühlen Sie halt nur. Versuchen Sie es!“, zischte er und verließ mich.
Für Kühlung sorgen? Nur wie? Ich befeuchtete ein Geschirrtuch und legte es auf das Gehäuse. Meine Geduld stand nun auf dem Prüfstand. Ich trommelte mit den Fingern auf meinem Schreibtisch herum. Sah gelangweilt aus dem Fenster. Meine Wenigkeit schenkte der Kiste einfach keine Beachtung. Aber einen Blick wollte ich dennoch riskieren. Kühler? Nicht die Spur.
„HERR KLEIN!“, brüllte ich und er kam sofort angerannt.
„Was ist denn jetzt wieder?“, fragte er.
„Immer noch überhitzt und die Abkühlung nützt nix!“
Herr Klein starrte auf den nassen Lappen.
„Frau Schulze, spinnen Sie?“
„Nein“, entgegnete ich schnaubend. „Kühlen haben Sie gesagt!“
„Aber doch nicht so!“
Er faselte etwas von Eventviewer und Temperaturkontrolle im Bios.
„Sie sind ein hoffnungsloser Fall!“ Er schüttelte den Kopf.

„Das ist die Höhe. Da gebe ich mir die größte Mühe und …“
„Na, beruhigen Sie sich mal. Das ist kein Thema für mich.“
Herr Klein fummelte hier und da. Auf einmal lief alles wieder wie geschmiert.
„Danke“, sagte ich verlegen. Er sprach noch von ‚Ram’. Würde eventuell besser laufen und man hätte einen schnelleren Zugriff. Eine Musik-CD? Na, von mir aus. Zum Glück liebe ich Rockmusik von ‚Paul McCartney’ und hatte die passende Silberscheibe zu Hause. Ich legte sie ein und tatsächlich. Das richtige Rezept zum Besänftigen.
„Herr Klein, läuft jetzt prima. Guter Tipp mit ‚Ram’!“
„Oh, haben Sie das selbst hingekriegt?“
„Na klar!“
Er neigte den Kopf zur Seite und sah mich ungläubig an.
Scheinbar hatten wir uns aneinander gewöhnt. Die Musik lief im Hintergrund und ich trällerte vergnügt mit. „Ram on, give your heart to somebody, soon right away, right away …”
Zum Glück tauchten keine neuen Macken mehr auf. Wunderbar. Wir verstanden uns prächtig. Keine Probleme mehr. Bis auf …
… vor ein paar Tagen. Ein neues Programm musste installiert werden. Compact Disc rein, keinen Muckser. Null.
„Spuck die CD wieder raus!“ Ich hämmerte auf das Gehäuse ein. Da wurde es plötzlich stockdunkel. Stromausfall. Kurzschluss vermutlich. Auch das noch.
Herr Klein lief aufgeregt mit der Taschenlampe umher und suchte nach den richtigen Sicherungen. Es ward wieder Licht.
„Was machen Sie denn bloß immer?“, fragte er mich ärgerlich. „Seien Sie mal freundlich. Das klappt bestimmt.“
Warum habe ich eigentlich bei ihm immer das Gefühl verblödet zu sein? Ich bin schon in der Lage, ein derartiges Programm zu installieren. Allerdings braucht meine Person nur ein wenig Mithilfe …
„Alles paletti. Läuft wieder!“, berichtete mein Kollege.
„Auch das Programm …?“, flüsterte ich.
„Natürlich. Es mangelt Ihnen an der richtigen Denkweise. Und beenden Sie es richtig!“
Richtig beenden? Wie denn? Ob der Stecker gezogen werden muss …? Nein das geht nicht. Bloß keine weiteren Scherereien heraufbeschwören.

***

Meine Tante saß mir auch täglich im Nacken. Sie rief mich dauernd im Büro an.
„Ich will mein Zimmer neu einrichten. Du hilfst mir doch sicherlich?“
„Was ist denn mit deinem Sohn?“, erkundigte ich mich.
„Ach, der hat keine Zeit, wie immer …“
Zähneknirschend opferte ich ein paar Urlaubstage, um ihr dabei behilflich zu sein. Nach tagelangem Aussuchen, Herumkutschieren und Schleppen von Einrichtungsgegenständen, war ich froh, wieder arbeiten zu können. Obwohl ich nicht wusste, inwieweit ich mich besser fühlen sollte, denn dort erwartete mich Tante Käthe …

***

Nach dem Urlaub schlenderte ich ins Büro und starrte auf meinen Platz. Tante Käthe war verschwunden. Einfach weg.
„Ach, hallo Frau Schulze. Hab’ eine Überraschung für Sie.“
Herr Klein hielt seinen Zeigefinger in die Richtung meines Schreibtisches und strahlte.
„Was ist das? Und wo ist Tante Käthe?“
„Tante Käthe … Ich verstehe nicht …“
„Meine alte Kiste …“ Meinereiner starrte ihn mit offenem Mund an.
„Falls Sie es noch nicht bemerkt haben, dort steht ein nagelneues Laptop, fertig installiert und funktioniert top!“
„Aber wo ist Tante Käthe geblieben?“
„Die ist doch im Altersheim!?“

Letzte Aktualisierung: 25.02.2010 - 20.52 Uhr
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