Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Tante Käthe | Februar 2010
Der große Wurf
von Robert Poleschny

„Wieso sagst du Susanne nicht einfach die Wahrheit?“
Hannes, der gerade den Joint fertig drehte und die Gummierung des Blättchens anleckte, hielt inne.
„Was meinst du?“ Er schaute Frank verwundert an.
„Na von deiner Aufzucht. Mensch, selbst Marilyn Monroe hat gekifft.“
Hannes schnaubte und beendete sein Meisterwerk.
„Spinnst du? Soll ich etwa hingehen und sagen“, dabei zog er eine Seite seiner Lippe so hoch, dass sein Mund dem eines Billy Idols in nichts nachstand,
„ ‚Hallo Schatz, was ich dir noch sagen wollte. Ich baue illegal Marihuana im Gewächshaus deiner verstorbenen Tante an und im Gedenken an sie habe ich die Züchtung netterweise nach ihr benannt. Ach, und ab und zu kiffe ich auch selbst ganz gerne. Möchtest du nicht mal probieren?’ “
Er sah die anderen an, brachte seinen Mund in Normalposition und schüttelte den Kopf.
„Ich hab’ echt keine Lust, obdachlos zu werden!“
Alle lachten lauthals bei dieser Darbietung.
Hannes hatte Recht. Susanne, in ihrer kleinbürgerlichen, korrekten aber auch sensiblen Art, würde so etwas niemals dulden.
Er steckte sich mit einem Grinsen die Tüte in den Mund, entzündete sie und inhalierte genüsslich den Rauch. Das leichte Schwindelgefühl, das er so liebte, überkam ihn. Dann gab er den Joint weiter und verteilte die Karten. Er war überzeugt, dass es Geheimnisse zwischen Ehepartnern geben durfte, und sicherlich hatte Susanne auch welche.

Am nächsten Morgen saß Hannes auf der Terrasse und genoss die Ruhe um sich herum. Er fühlte sich noch leicht benebelt und versuchte seinen Kopf mit tiefen Atemzügen freizubekommen. Mit geschlossenen Augen dachte er daran, dass der Ausdruck ‚Mir qualmt der Schädel’ in diesem Zusammenhang eine ganz neue Bedeutung bekam. Er musste schmunzeln.
Kurz darauf wurde die Stille durch Susannes Schritte unterbrochen. Manolos und Terrakotta-Fliesen passten einfach nicht zusammen. Hannes griff nach der Zeitung und sank noch tiefer in den Stuhl.
Als sie auf der Terrasse angekommen war, blieb es wider Erwarten verdächtig ruhig. Hannes linste über den Rand der Gazette. Er schaute in ein blasses Gesicht mit aufgerissenen Augen, die zwischen ihm und dem Zettel, den sie in den Händen hielt, hin- und her wanderten. Sein erster Gedanke war, dass sie die zugesandte Rechnung ihres letzten Einkaufsbummels verdauen musste, und ein erneutes Schmunzeln machte sich in seinem Gesicht breit. Glücklicherweise war seine untere Gesichtshälfte immer noch verdeckt, sodass Susanne nichts bemerkte. Dann riss er sich zusammen.
„Schatz, was hast du? Du siehst aus, als wenn du ein Gespenst gesehen hättest.“
Susanne bewegte den Mund, wie ein nach Luft schnappender Fisch. Sie drehte das Blatt Papier zu Hannes. Darauf tummelten sich ausgeschnittene Buchstaben in allen Farben.

Hannes’ Wahrheit kommt ans Licht

Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Von welcher Wahrheit war hier die Rede?
Instinktiv ging er alle Lügen, die er Susanne jemals aufgetischt hatte, im Geiste durch. Plötzlich hielt er inne und dachte an den gestrigen Dialog mit Frank. War das Verschweigen einer Tatsache mit einer Unwahrheit gleichzusetzen? Die Temperatur um ihn herum schien schlagartig um mehrere Grade anzusteigen.
„Was hat das zu bedeuten?“, holte ihn Susanne in die Realität zurück.
Er sprang auf, hechtete zu ihr und nahm ihr den Brief aus der Hand, um alles noch einmal aus der Nähe und bunt auf weiß zu betrachten. Vielleicht konnte er erkennen, wer diesen Schund zustande gebracht hatte und demjenigen kräftig einen einschenken. Nach mehrmaligem Lesen und Wenden des Papiers gab er auf. Nichts, was ihm einen Hinweis auf den Absender gab. Dann sah er Susanne ins Gesicht. Er würde versuchen, sie zu beruhigen.
„Ich weiß nicht, was das soll. Wahrscheinlich erlaubt sich irgendein Vollidiot einen schlechten Scherz. Mehr nicht.“
Susanne sah ihn stirnrunzelnd an, als ob sie nicht verstand, wie er das Ganze so auf die leichte Schulter nehmen konnte. Hannes musste sie überzeugen, dass dieser Wisch nichts zu sagen hatte.
„Sieh mal“, dabei nahm er Susanne in den Arm, drückte sie fest an sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, „das Ganze ist lächerlich. Welche Wahrheit kann es geben, die du nicht schon kennst?“
Er räusperte sich und hoffte im selben Moment, dass Susanne diese Übersprungshandlung nicht bemerkt hatte. Sie war jedoch in ihre eigenen Gedanken vertieft. Seine Ansprache schien Wirkung zu zeigen.
„Sicherlich hast du Recht. Wir sollten uns diesen Tag nicht durch einen Geisteskranken vermiesen lassen.“
Sie atmete tief ein, setzte sich an den Tisch und schnitt ihr Brötchen auf.

Zwei Stunden später saß Hannes in seinem Büro und sah die restliche Post durch.
Er würde die nächsten Wochen höchstpersönlich die Briefsendungen ins Haus holen, um solche Vorfälle zu vermeiden. Darüber hinaus war es an der Zeit, ‚Tante Käthe’ zu ernten. Eigentlich hätte ‚sie’ noch ein paar Tage gedeihen können, aber er wollte kein unnötiges Risiko eingehen.
Beim Durchsehen entdeckte er einen Brief, der schwer in seiner Hand lag und keinen Absender aufwies. Kurz hielt er inne. Dann öffnete er ihn mit einer unangenehmen Vorahnung.

Wenn Sie mir nicht innerhalb von sechs Tagen hundert Gramm Ihres Grases zukommen lassen, erfährt Ihre Gemahlin, welchen illegalen Aktivitäten Sie nachgehen.
Nehmen Sie am Samstag um 14:34 Uhr den RB14 Richtung Senftenberg. Kurz hinter Schönwalde steht ein Wasserturm, auf dessen Höhe Sie das Päckchen aus dem Fenster werfen. Als Beweis, dass ich alles belegen kann: Hier ein paar unmissverständliche Bilder, deren Abzüge schon in frankierten Umschlägen auf ihre Abreise warten, sollten Sie meine Anweisungen nicht befolgen.
Also, ... enttäuschen Sie mich nicht.


Er sah in das Kuvert und zog mehrere Fotos heraus, die ihn in Großaufnahmen dabei zeigten, wie er durch seine Plantage schritt, fürsorglich die Pflanzen hegte und pflegte und, umgeben von einer Rauchwolke, voller Leidenschaft einen durchzog,.
Hannes’ Knie wurden weich. Wer um alles in der Welt wollte ihn in die Scheiße reiten? Die Zeit war knapp und hundert Gramm eine Menge Stoff. Hannes beschloss, wohl oder übel, auf die Forderungen dieses Schufts einzugehen. Was hatte er für eine Wahl? Er ließ alles stehen und liegen und machte sich auf den Weg ins Gewächshaus.

Am Stichtag saß Hannes überpünktlich auf dem Bahnsteig und wartete mit einem Päckchen unterm Arm auf die Bahn. Er schaute auf die Bahnsteiguhr, die in diesem Moment auf 14:33 Uhr sprang. Dann blickte er die Schienen entlang und sah, dass der RB14 in Sichtweite war. Sein Magen rebellierte.
Zwei Minuten später lief er durch den Zug und prüfte die Abteile. Das hinterste Coupé war leer. Er ging zum Fenster. Es ließ sich problemlos öffnen. Den passenden Augenblick durfte er nicht versäumen. Wenn jetzt niemand kam, wäre alles optimal, abgesehen von dem Verrückten, der ihm im Nacken saß. Er ärgerte sich noch immer über die Dreistigkeit der ganzen Aktion. Dieser Typ hatte ihn in der Hand. Vielleicht war es an der Zeit, Susanne die Wahrheit zu sagen.
Zwanzig Minuten später fuhr der Zug aus dem Bahnhof Schönwalde. Hannes ging zum Fenster und öffnete es. Plötzlicher Lärm schlug ihm entgegen und der Wind zerzauste sein Haar. Er steckte den Kopf hinaus, um frühzeitig den Wasserturm erkennen zu können. Kurz darauf war dieser in Sichtweite. Hannes’ Herz schlug schneller. Er machte sich bereit und nahm das Päckchen fest in beide Hände. Dann warf er es mit Schwung hinaus. Gerade in diesem Moment sauste der Turm an ihm vorbei. Er hatte es geschafft.
„Sie können doch nicht einfach Ihren Müll aus dem Fenster werfen.“
Der Schreck saß tief, als Hannes den Schaffner am Ende des Waggons erblickte.
„Wissen Sie, es ist nicht so, wie es aussieht. Ich habe nicht meinen Müll entsorgt, sondern ...“
Hannes fiel spontan nichts ein, um die Situation zu entschärfen.
Der Kontrolleur sah ihn abfällig an und zückte sein Funkgerät.
„Wir haben hier einen Umweltsünder ...“

Am Samstagabend saßen Susanne und ihre Freundinnen am Tisch und spielten wie jede Woche Bridge.
„Zeig mir bitte noch einmal das Schreiben.“ Petra hielt die Hand ausgestreckt und grinste Susanne an. Diese reichte den Zettel hinüber, während sie ein kleines Kästchen öffnete, das vor ihr stand.
Dann fragte Anna: „Meinft du nifft, daff daf ein biffchen kraff war?“
„Nein, das war es nicht.“
Susanne schaute leicht belustigt zu Anna. Seitdem die Übervierzigjährige eine Zahnspange trug, waren ihre Bridgeabende um ein Vielfaches lustiger geworden. Trotzdem ärgerte sie die Frage ein wenig.
„Wenn Hannes der Meinung ist, er muss so etwas Wichtiges vor mir
verheimlichen, dann kann er ruhig mal etwas Panik vertragen. Auch wenn eine saftige Geldstrafe damit verbunden war. Na und! Vielleicht überlegt er es sich ja und erzählt mir nun doch davon.“
Dann schaute sie auf Annas Stuhl und fing an zu schmunzeln.
„Sag mal, was ist das eigentlich, worauf du da sitzt?“
Anna sprang irritiert auf und sah an sich herunter. Sie verstand nicht gleich, was Susanne meinte. Dann sah sie das Sitzpolster.
„Ein Kiffen.“
Susanne sah in die Runde.
„Aha“, sie konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, „Ihr alle habt es gehört! Ich bin nicht diejenige, die immerzu einen kiffen will. Anna ist der Gierschlund.“
Die Freundinnen gackerten im Chor.

Letzte Aktualisierung: 25.02.2010 - 20.49 Uhr
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