Ganz schön bissig ...
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Agnumamad | Mrz 2010
Rot und gelb mit blauem Blut
von Anne Zeisig

Margarethe, Prinzessin zu Nieder und Gräfin vom Rhein, stöckelte die Außentreppe empor. Sie stellte ihr Handgepäck ab, drehte sich auf den Absätzen ihrer gelben Schuhe herum und blickte in den weiträumigen Park. Die gelben Seerosen namens „Yellow-Submarine” bildeten zum Grünblau des Teichwassers einen geschmackvollen Kontrast. Sie schnalzte mit der Zunge und sah an sich hinab: „Modezar Gassi, der Lump. Da hat er tatsächlich mit der Schuhfarbe exakt das Gelb der, äh, Seerosen getroffen.”
Sie sog die würzige Luft tief ein. Wie lange war sie seit dem Tod ihres Mannes nicht hier gewesen.
„Küss die Hand gnä´ Frau, Kompliment, ihr Blut ist so blau. Wenn i bitten dürft?”
Er nahm ihr die gelbe Reisetasche ab.
„Vorsichtig!”, zischte sie. „Ein, äh, Unikat von `Gassi´.”
Der Diener nickte.
Margarethe nahm ihre Sonnenbrille ab. „Ich hoffe, es ist alles hergerichtet. Die, äh, Tools liegen bereit?” Sie blickte auf das Messingschild. Darauf stand in königsblauen geschwungenen Lettern: Willkommen zum Event: AG-NU-MA-MA-D
Sie gingen hinein.

. . .


Wenig später schritt Freifrau Theresia von Auabach-Anhalter in ihrem roten `Gassi´-Kostüm das ausladende Treppenportal hoch. Rechts und links des Eingangs thronten zwei Löwen. Sie nickte wohlwollend mit dem Kopf. Ja, ihre Silikonbusenfreundin Margarethe, Prinzessin zu Nieder und Gräfin vom Rhein, hatte nicht zu viel versprochen. Das Entree traf ihre Erwartungen zur vollsten Zufriedenheit. Ein anerkennender Pfiff entglitt ihren Lippen, obwohl das höchst unschicklich war. Sie schaute sich um, ob niemand diesen Faux pas bemerkt hat. Die voll erblühten roten Rosen harmonierten zum dunklen Grün des englischen Rasens. „Die Mode-Ikone Gassi hat exakt das Rot meines Kostüms auf die Rosen abgestimmt.”
„Küss die Hand gnä´ Frau Kompliment, ihr Blut ist so blau. Wenn i bitten dürft? Den Lift finden s´ linker Hand.”

. . .

Es hatten sich bereits einige Damen eingefunden. Sie gingen zögerlich zwischen den Tischen umher, auf denen Werkzeug und Malerbedarf ausgebreitet waren.
Ein Raunen und Gemurmel durchzog den Saal. Die dunkelroten Samtvorhänge waren zugezogen und auch die Schabracken hatte man heruntergelassen. Im Licht der irisierenden Kristall-Lüster schimmerte die Brokattapete perlmuttfarben.
Margarethe, Prinzessin zu Nieder und Gräfin vom Rhein klatschte in die Hände: „Herzlich willkommen! Wir sind hier, um unserer, äh, Kreativität zu frönen. Werft Konditionen, äh, Konfektionen ab!”
„Und wo, meine Liebste, befindet sich die Umkleide?”, fragte Freifrau Theresia von Auabach-Anhalter.

„Ist das Auskleiden vonnöten?” Eine ältere Dame drückte ihr Krokotäschchen mit der rechten Hand vor die Brust, und fuhr sich mit der linken durchs wasserstoffblonde Haar.

„Gnädigste!” Die Gastgeberin hob beide Arme. „In der, äh, Einladung war ausdrücklich erwähnt, dass das Ablegen der, äh, ja - .”
„Nun ma ran anne Buletten”, meldete sich eine junge Dame im Nerzmantel und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihr Pferdeschwanz wippte hin und her. „Soll ich ´nen Hitzschlach kriegen? Runter mit die Klamotten.”
„Wer ist das?”, flüsterte Freifrau Theresia ihrer Silikonbusenfreundin Margarethe zu.
Diese hielt sich die Hand seitlich vor den Mund: „Neureich. Kein, äh, Stammbaum. Keine Traditionen. Nicht promi, äh, nent.”
„Aber das Motto des Events lautet doch ...”
Margarethe ließ ihre Freundin stehen und dirigierte die Gäste in den angrenzenden Umkleideraum. Sie kehrte zu Theresia zurück und flüsterte: „Das ist die, äh, Mätresse vom Prinzen Sein und Würde zu Hammerstein. Der hat die, äh, Tools gesponsert. Sein Vetter vierten Grades, äh, mütterlicherseits ist der Ur-Ur-Urenkel aus der Linie der Hohentannen. Und der handelt weltweit mit, äh, Designer-Werkzeug aus Italien von `Tolani´.” Sie zeigte auf die Tische.
Theresia zog ihre tätowierten Augenbrauen hoch: „Der ältliche Prinz Sein und Würde zu Hammerstein und so was Blutjunges?”
„Ältlich? Gebrechlich ist er und von, äh, Krankheit gezeichnet.” Margarethe winkte ab.
„Wir lassen uns mit Botoxspritzen quälen, verbringen das halbe Leben beim Friseur und der Maniküre. Aber die Herren der Gesellschaft belustigen sich mit jungem Gemüse.” Sie zeigte auf Margarethes Busen. „Und du hast dich auch noch unters Silikonmesser gelegt.”
„Die feinen Herren umgeben sich mit, äh, niveaulosen Frauenzimmern”, stimmte Margarethe zu. „Da sind innere, äh, und eine ausgereifte, äh, Persönlichkeit nichts wert.”
Theresia stöhnte: „Was sind das für Zeiten.”
. . .

Wenig später glucksten und kicherten die Damen nackt um die Tische herum. „Primitive Nägel in ein Brett schlagen?”
„Gnädigste! Die Nägel von `Tolani´ sind aus 750er Gelbgold. Und das Brett ist aus sibirischer Silbereiche gefertigt.”
„Oh! Dieser Hammer hat den `Tolani´ Schriftzug eingraviert.”
„Man beachte die eingearbeiteten Swampovski-Kristalle am Stiel.”
Einige hielten sich scheu ihre Hände vor den Busen und die Scham.
„Wozu hat der Herrgott Schönheitschirurgen erschaffen? Damit der Erdanziehung Einhalt geboten wird”, säuselte Freifrau Theresia den Damen zu. „Ästhetisch
Operiertes ist jederzeit appetitlich anzusehen.” Sie zeigte auf die Brust ihrer Freundin Margarethe.

„Imma langsam mit die jungen Pferde”, entgegnete die Neue vom Prinzen Sein und Würde zu Hammerstein, „jede hat dat recht, in Würde zu altern. Auch icke und die da auch.” Sie zeigte auf die schamvollen Damen.


„Bei mir ist alles Natur.” Freifrau Theresia von Auabach-Anhalter glitt mit ihren Händen über ihre knabenhafte Figur.

„Dat is keene Brust. Dat is, Vorsicht Pocke, nich knibbeln.”

Margarethe, Prinzessin zu Nieder und Gräfin vom Rhein hob abermals beschwichtigend die Arme: „Aber, aber. Wer wird denn mit, äh, Fingern auf ausgezogene Damen zeigen.” Sie erhob ihre Stimme: „Drüben auf dem Tablett steht der, äh, Champagner!”

. . .

„Hicks!” Theresia fiel ihrer Busenfreundin lallend um den Hals: „Ich bin frei!” Sie tauchte den Pinsel in den roten Farbeimer, bemalte eine Bohrmaschine und hielt sie hoch: „Mein Werk! Rot wie die Rosen im Park!”
Margarethe ordnete ihr Haar und zog einen Schmollmund: „Aber ein `Gassi´-Rot ist es nicht.”
Die älteren Damen hatten ihre Scheu verloren und bearbeiteten einen der Tische mit Axt und Bohrhammer. Margarethe eilte hinzu, um das Schlimmste zu verhindern: „Bitte nicht die, äh, Tische, meine Damen! Die stammen aus der Epoche, äh, Ludwigs des Sechzehnten.” Doch einer der vier geschnitzten Löwenköpfe fiel bereits polternd zu Boden.
Die Neureiche hielt einen Fuchsschwanz hoch: „Ey! Kiekt ma! Hellblau und da drauf mit die rosa Tupfen gekleckst.” Ihr Körper war übersäht mit Farbe in allen Schattierungen.
„Body-Painting!”, rief Theresia und goss der Neuen vom Prinzen Sein und Würde zu Hammerstein den Rest der roten Farbe über den Kopf.
Hinten im Raum hatten einige Damen mit den Scheren Lochmuster in die Samtvorhänge geschnitten.
Margarethe eilte hin und erklärte ihnen, man solle doch bitte ausschließlich und „Explizit, meine, äh, Damen!”, das Material auf den Tischen malträtieren. Eine von ihnen löste sich aus der Gruppe, lief hinüber zur Neuen vom Prinzen und schnitt ihr mit einem Schnipp den Pferdeschwanz ab.
„An euch jungen Dingern sieht Kurzhaar sportlicher aus!” Sie lachte und klopfte sich mit der Schere auf die Schenkel.
Margarethe schoss quer durch den Raum, stieß sich an den Tischkanten und riss der Frau die Schere aus der Hand: „Kontenance, meine, äh, Liebe!”
Theresia kicherte: „Ich dachte immer, Silikonbusen hüpfen nicht beim Joggen.”
Margarethe verschränkte die Arme vor ihre Brust und zog einen schiefen Mund.
Die Pferdeschwanzbesitzerin bückte sich, hob ihr Haar auf und hielt es hoch: „Für die Versteigerung bei der nächsten Benefiz-Gala!”
Alle klatschen. „Runter mit den alten Zöpfen!”

Theresia hob den hölzernen Löwenkopf auf und warf ihn vor die Wand: „Nieder mit dem `Ludwig dem Sechzehnten Mief!” Sie hatte den Spiegel getroffen. Sein Klirren
schmerzte in Margarethes Ohren. Sie presste ihre Hände darauf und schloss die Augen.
Plötzlich waren alle still und blickten zu ihr hinüber, wie sie da so stand: In einer gelben Lacklache.
„Ich ersetzte den Schaden. Werde einen neuen kaufen”, flüsterte Theresia ihr ins Ohr.
„Jute Idee!”, meldete sich die Neureiche zu Wort. „Icke kenne son Trödelfritze. Der is froh, wenna `n ollen Spiegel für viel Zasta verkoofen kann.”

Margarethe ließ ihre Arme sinken, öffnete ihre Augen und blickte hinab, denn unter ihren Fußsohlen fühlte sie die kleberige Nässe. Sie holte tief Luft, stöhnte kurz und flüsterte: „Schade. Das Gelb der Lackfarbe passt überhaupt nicht zu meiner gebräunten Haut.”
Alle nickten zustimmend.
„Na kiek ma!” Die junge Frau nahm flink eine Lackdose vom Tisch und goss sie in einem Schwall Margarethe, Freifrau zu Nieder und Gräfin vom Rhein über die Füße. „Braun dazu und schon is et passend.”
Die Neue vom Prinzen von Sein und Würde zu Hammerstein klopfte Margarethe auf die Schulter: „Und wat icke noch wissen wollte. Wat bedeutet dieset Agnu-mama-dingsda eijentlich?”
Margarethe blickte konsterniert zur Seite und trat aus der Farblache heraus: „Adelige, äh, nudistische Material, äh, Malträtierer Deutschlands.”

Anne Zeisig, März 2010

Letzte Aktualisierung: 21.03.2010 - 11.35 Uhr
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