Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Agnumamad | März 2010
Die goldene Feder
von Sylvia Seelert

„Das ist Agnumamad – die goldene Feder der Musen“, flüsterte der Antiquitätenhändler ehrfurchtsvoll und hielt Urs Takistus eine Schreibfeder unter die Nase. Nun war diese Feder jedoch weder golden noch erzeugte sie bei Urs ein Gefühl von göttlicher Verzückung, in das der Händler anscheinend gefallen war. Der Federhalter aus Holz war matt und voller Flecken, als ob jemand damit im Garten Löcher für Setzlinge gegraben hätte. Und so schartig wie die Feder aussah, hatte schon lange keiner mehr mit ihr geschrieben. Daher quittierte Urs das Schreibgerät nur mit einem gebrummelten „Hmm, hum“, wobei er die Luft scharf durch seine Nase einzog.
„Golden?“
Urs zog seine linke Augenbraue nach oben und blickte auf den zwergenhaften Händler, dessen Augen durch die dicken Gläser der Nickelbrille riesig wirkten.
„Sobald die reine Freude der Inspiration durch die Feder fließt, verändert sie ihre Patina. Probieren Sie es nur aus!“
Und schon drückte der Händler Urs die Schreibfeder in die Hand. Ganz klein und unscheinbar sah sie in seiner Pranke aus. Vorsichtig umschloss er sie mit seinen Fingern, bis sie kaum noch zu sehen war. In seiner Kindheit hatte er Stifte sehr schnell zerbrochen und noch heute konnte es passieren, dass ein zarter Gegenstand zerbarst, wenn er unkonzentriert und abgelenkt war oder ihn der Eifer überkam. Tapsie Tollpatsch hatten die Kinder ihm immer hinterher gerufen und ihn doch wegen seiner Bärenstatur gefürchtet und gemieden.
„Hum“, brummelte er erneut, doch diesmal eher überrascht. Denn die Feder lag angenehm in seiner Hand und fühlte sich nicht zerbrechlich an.
„Sie ist wie für Sie geschaffen“, freute sich der Händler und nickte ihm lächelnd zu.
„Eigentlich war ich eher auf der Suche nach einer Brosche für meine Mutter, als ich Ihnen sagte, ich suche etwas Besonderes.“
„So, so …“
Der Verkäufer rückte ein wenig von ihm ab und musterte sein Gesicht.
„Gefällt sie Ihnen nicht? Hier ist Tinte und Papier. Schreiben Sie, schreiben Sie ruhig damit!“
Schon stand ein Glas mit schwarzer Tinte auf der Theke und daneben lag ein Stück Pergamentpapier. Als ob sie die Tinte gerochen hätte, ging ein Ruck durch die Feder und zog Urs’ Hand in Richtung des Glases. Schon tauchte Urs sie in das Gefäß und schrieb anschließend erste Worte auf das Papier.

Sigurd fürchtete den Schatten, der ihn seit Tagen verfolgte. Etwas Finsteres, Namenloses hatte sich an seine Fersen geheftet, seit er das Skriptorium des Klosters fluchtartig verlassen hatte. Raben krächzten am Himmel, der wie Blei über seinem Kopf hing. Welchen Fluch hatten sie nur in ihrem Eifer heraufbeschworen?

Urs stoppte abrupt und blickte erstaunt auf das, was er geschrieben hatte. Sein Herz schlug heftig in der Brust, als sei er auf der Flucht und nicht Sigurd. Er hob den Kopf und schaute nach dem Händler, der in einer Kiste mit Broschen kramte.
„Hier hätte ich ein schönes Stück im Jugendstil mit geschweiftem Blattwerk und zwei roten Steinen besetzt. Schwebte Ihnen so eine Brosche vor?“
„Brosche? Ich will keine Brosche, ich will diese Feder!“, sprach Urs und holte seinen Geldbeutel heraus. Papier und Tinte bekam er kostenlos hinzu. Zu Hause breitete er hastig das Papier aus, tunkte die Feder in die Tinte und schon eilte sie über das Blatt.

Sigurd und Augustinus waren im gleichen Jahr eingetreten. Beide waren sie letztgeborene Söhne, die kein Anrecht auf das Erbe des Vaters hatten. Und so blieb nur der Weg ins Kloster, um nicht zu verhungern. Gemieden von den Adelssöhnen, die auf sie herabblickten, taten sie sich sogleich zusammen. Eine innige Freundschaft entstand, die auch die körperliche Ebene mit einbezog. Doch Augustinus war nun tot.

Von tiefer Trauer übermannt, hielt Urs inne. Er weinte um Augustinus, der nicht mehr an Sigurds Seite war. Schluchzend legte er die Feder zur Seite. Kaum hatten sich seine Finger von ihr gelöst, wunderte er sich über diese Gefühlsduselei. Das war nicht seine Art. Er hatte gelernt hart zu sein. Tränen zeigten Schwäche und als schwach wollte er nicht gelten.
Dies hatten auch seine Mitschüler merken müssen, denen er nach der Schule aufgelauert und sie mit seinen Bärenkräften niedergerungen hatte. So war es jedem ergangen, der am Tag zuvor über seine Tollpatschigkeit gelacht hatte. Schon bald lachte keiner mehr. Und Urs wurde einsamer denn je.
Seufzend griff er wieder zu der Schreibfeder. Die Flecken auf dem Holz schienen nun blasser zu sein und die Mattigkeit war einem leichten Glanz gewichen. Seltsam, vielleicht hatte die Wärme seiner Hand diese Änderung bewirkt. Urs zuckte mit den Schultern. Ihn dürstete danach, mehr über Sigurd zu wissen, und so tauchte er die Feder erneut ins Tintenfass.

Sigurd liebte die Arbeit im Skriptorium. Das Rascheln der Blätter, den Geruch von Tinte, das Kratzen des Gänsekiels auf Pergament. Mit höchster Konzentration kopierten sie Schrift um Schrift. Aber mehr noch begeisterte ihn die Bibliothek. Nachdem ihn die Mönche in die Welt der Bücher eingeführt hatten, konnte er nicht mehr von ihr lassen. Oft schlich er sich heimlich dort ein und durchstöberte sie nach Schätzen. Denn im Skriptorium kopierten sie nur langweilige, meist profane juristische oder biblische Texte.
Er verschlang das Nibelungenlied und kämpfte in Gedanken selber mit dem Drachen. Mit Tristan und Isolde litt er, bis sie den letzten Atemzug taten. Weiter wanderte er zu den griechischen Tragödiendichtern Aischylos, Sophokles und Euripides, machte aber auch nicht vor den Minnegesängen Halt. Alles verschlang er, solange er sich nur in fremden Welten bewegen konnte.
Eines Tages fand er, versteckt in einer Ecke, einen staubigen Band, dessen Leder alt und rissig war. Er war durch Kette und Schloss versiegelt und trug keinen Titel. Sigurd wollte das Rätsel des Buches lösen, und so steckte er es unter seine Kutte, um es Augustinus zu zeigen.


Müde rieb sich Urs die Augen. Es war spät geworden und sein Magen knurrte. Seit er an dieser Geschichte schrieb, hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Nie hätte er gedacht, dass er fähig war, sich eine eigene Welt nur mit Worten zu schaffen. Er hatte geradezu gesehen, wie Sigurd in der Bibliothek an den Regalen voller Bücher entlang wandelte und auf dies geheimnisvolle Buch gestoßen war. Wohin diese Geschichte wohl führen würde? Er wusste es selber nicht, überließ sich ganz der Kraft der Schreibfeder.
Wie gerne hätte er jetzt einen Freund gehabt, dem er das neue Schreibgerät vorstellen und diese Geschichte zeigen könnte.

Augustinus war zunächst wütend auf Sigurd. Denn er fürchtete, dass der Diebstahl des Buches für sie gefährlich werden konnte. Der Abt war ein harter Mann und duldete keine Fehltritte seiner Mönche. Doch am Ende war Augustinus genauso neugierig wie Sigurd und gemeinsam zerbrachen sie die Kette und öffneten das Buch.
Ein ungewöhnlicher, dünner Holzpflock mit einer Stahlspitze lag im ausgehöhlten Mittelteil. Darunter befand sich ein altes, fleckiges Stück Leder, auf dem hastig gekritzelte Worte standen.
Hüte dich, entzifferten sie mühsam. Agnumamad hat sie verflucht und so ist ihre Kraft unberechenbar. Schreibe niemals mit ihr, denn du weißt nicht, was du am Ende heraufbeschwörst.
Sigurd und Augustinus bekreuzigten sich hastig und klappten das Buch wieder zu.


Urs keuchte auf und warf die Feder weit von sich. Was war hier los, fragte er sich laut und dabei rann ihm ein Schauer den Rücken herunter. Mit einem Fluch wollte er nichts zu tun haben. Diese Schreiberei schien ihn jenseits aller Grenzen zu tragen.
Da lag nun das Schreibwerkzeug, das Sigurd gerade gefunden hatte, hier auf seinem Boden und Urs traute kaum seinen Augen. Ein goldener Schimmer lag darauf. Von dem hässlichen, abgenutzten Gerät war nichts mehr übrig geblieben. Es war wunderschön, Urs konnte nicht anders, als es wieder in die Hand zu nehmen. Der Händler hatte Recht behalten. Die reine Freude der Inspiration floss durch die Feder. Es war die beste Geschichte, die er je erfunden hatte. Und so beugte er sich wieder über das Papier.

„Es ist also zum Schreiben da“, murmelte Sigurd und fingerte an dem Buch herum. „Das kann doch nichts Schlimmes sein, oder, Augustinus? Wie es wohl funktioniert?“
Sie kannten nur zugespitzte Kiele von Vogelfedern. Aber diese hatte einen Kiel aus Stahl und einen Federhalter aus Holz.
Schließlich siegte die Wissbegierde und sie schlichen mit dem Buch in das nächtliche Skriptorium. Dort öffneten sie ein Tintenfass und tauchten das rätselhafte Schreibgerät hinein. Schon bald flogen die Worte über das Papier und die Feder glühte dabei, tauchte den Raum in goldenen Schimmer. Sie lachten über die Geschichten, die sie schrieben und weinten über die Tragödien, die mit ihr geboren wurden. Immer wilder wurde ihre Fantasie und sie schufen Monster, die kein Dichter je zuvor beschrieben hatte. Je länger die Nacht dauerte, desto dunkler wurden die Schatten, die sie umgaben. Sie liefen flackernd an den Wänden entlang, wurden immer größer.


Urs blickte auf. Schatten lagen tief und finster in den Ecken, blickten kalt ins goldene Licht. Er schrieb weiter, wissbegierig, wie es enden würde.

„Was geschieht hier?“, schrie Sigurd und wies auf klauenbewehrte Schattenhände und aufgerissen Mäuler an den Wänden.
„Agnu-ma-mad … Agnu-ma-mad …“, fauchte und knurrte es von allen Seiten. Ein Schatten sprang Augustinus an und er verschwand in der Schwärze, tauchte daraus nicht mehr hervor.
Sigurd floh, von Grauen geschüttelt, aus dem Skriptorium …


„Was geschieht hier?“, schrie Urs und flüchtete aus seiner Wohnung. Er spürte, etwas hatte sich an seine Fersen geheftet.

Letzte Aktualisierung: 27.03.2010 - 14.37 Uhr
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