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Agnumamad | März 2010
Kein Maulwurf
von Gisela Reuter

Das unflätige Fluchen unseres Nachbarn stört mich beim Schlafen und ärgerlich schiele ich aus meinem Liegestuhl zu ihm hinüber.
„Scheiß Viehzeugs“, brüllt er unwirsch und rammt seinen Spaten in den Rasen. „Maulwurfhügel, wohin man schaut!“, donnert er lautstark, „kommt nur hervor, ihr Blindgänger!“
Einen Klumpen Erde nach dem anderen schaufelt er wütend und in hohem Bogen hinter sich, aber – hoppla, was ist denn das? Der Nachbar springt entgeistert einen Meter zurück.
Etwas Grünes, Dickes, Langes, schlängelt sich aus der Erde.
Herr Nachbar starrt atemlos auf das, was sich da aus dem feuchten Boden hervorgräbt. Ich starre ebenfalls. Es ist kein Maulwurf. Es sieht eigenartig aus. Mit seiner grünlich schimmernden Haut ähnelt es einem Reptil. Einer überdimensionalen fetten Echse.

Herr Nachbar hat sich schnell wieder gefangen. Geistesgegenwärtig umklammert er seinen Spaten und holt aus.
Das grĂĽne Etwas windet sich elegant zur Seite.
Herr Nachbar schlägt mit aller Wucht zu, verfehlt sein Opfer um Haaresbreite und verliert das Gleichwicht. Lang ausgestreckt liegt er mitsamt seinem Spaten auf dem Rasen und ich unterdrücke ein Lachen. Das grüne Ungetüm nähert sich ihm lüstern. Geschieht dir Recht, du Maulwurfhasser. Ein wenig schadenfroh meine ich zu erkennen, wie Angstschweiß auf seine Stirn tritt. Herr Nachbar wischt sich verstört mit dem Hemdärmel über die Stirn, als ein gellender Schrei die Nachmittagsruhe zerreißt.
Frau Nachbarin steht kreischend auf der Terrasse, starrt auf ihren Gatten und auf das grüne Tier, das sich ihm nähert. „Willi!“, brüllt sie hysterisch, „Was ist das? Willi, steh auf und tu das weg!“
Willi sammelt sich augenblicklich, rollt behände zur Seite, springt hoch und ohne den Boden zu berühren, steht er eine Sekunde später neben ihr. „Ein Reptil“, keucht er, „ein Ungetüm. Ein Riesenmonster. Mathilde, bring dich in Sicherheit! Ich rufe die Polizei!“ Gespannt richte ich mich in meinem Liegestuhl auf. Riesenmonster? Nun ja. Es ist höchstens so groß wie ein Unterarm. Aber immerhin. Ich staune. Solch ein Tier habe ich noch nie gesehen.

Die durch Mathildes Schrei herbei geeilte übrige Nachbarschaft hat sich durch geschickte und waghalsige Sprünge über die Jägerzäune in unserem Garten versammelt, stiert vorwitzig auf das Nachbargrundstück und trampelt rücksichtslos in meinen Blumenbeeten herum. Man staunt nicht schlecht und augenblicklich beginnt eine rege Fachsimpelei.
„Dat issn Monsterfrosch!“ kräht Frau Schmittgen von Hausnummer 3, reckt den Hals und schubst ihren Gatten beiseite, um besser sehen zu können.
Der Rentner von Hausnummer 5 belehrt sie übereifrig: „Nein, Frau Schmittgen, das ist eine Rieseneidechse. Erkennt doch jeder.“
Frau Schmittgen schmollt und der neu zugezogene Herr Meierken im feinen Anzug meldet sich mit erhobenem Zeigefinger zu Wort:
„Nein, meine Herrschaften, das ist keine Eidechse, das ist eine saudiarabische Giftechse. Man nennt sie auch Agnumamad.“
Ein Raunen geht durch die Menge.
Agnumamad! Giftechse!
Ă„ngstlich weicht man einen Schritt zurĂĽck.
Herr Meierken streckt seinen Zeigefinger weiterhin beharrlich in die Luft. „Die saudiarabische Giftechse“, doziert er mit wichtigem Gesichtsausdruck, „ist höchst aggressiv und versprüht ihr Gift über die Haut. Wenn Menschen mit ihr in Berührung kommen, sterben sie sofort“.
„Ohhh!“, schallt es furchtsam wie aus einem Munde.
Frau Schmittgen wird augenblicklich ohnmächtig und kippt hintenüber in meine Radieschen. Die saudiarabische Giftechse kriecht derweil lässig durch Willis angehäuften Dreckhaufen. Agnumamad. Saudiarabische Giftechse. Lächerlich. Die gibt es höchstens in Saudi-Arabien. Sagt doch schon der Name.

Herr Meierken beauftragt Herrn Schmittgen, das Tier nicht aus den Augen zu lassen und eilt los, um seinen Fotoapparat zu holen.
Während ich noch überlege, wer von den Herrschaften wohl meine Beete wieder in Ordnung bringen wird, erscheinen Willi und Mathilde mit einem ausgedienten Hamsterkäfig auf der Terrasse.
Die Polizei sei bei einem GroĂźeinsatz, berichtet Willi ĂĽbereifrig, man solle die Riesenechse einfach einfangen und dem hiesigen Tierheim ĂĽbergeben.
„Aber erst, wenn Herr Meierken das Foto gemacht hat!“, meldet sich Herr Schmittgen pflichtbewusst zu Wort.
„Natürlich“, nickt Willi artig.
„Abba, die is doch giftig“, ertönt es aufgeregt aus dem Radieschenbeet. Aha! Frau Schmittgens Herzschlag hat wieder eingesetzt. Umständlich wuchtet sie sich hoch und wischt die Dreckkrümel von ihrer Schürze. Die Radieschenblätter liegen plattgewalzt auf dem Mutterboden und meine Geranien lassen traurig die abgeknickten Köpfe hängen. Die Tomatenstauden haben Schieflage und wenn dieses Szenario nicht bald ein Ende hat, werde ich eigenhändig nach Saudi-Arabien reisen, sämtliche Agnumamad-Brüder einsammeln und gleichmäßig auf die angrenzenden Gärten verteilen.

Die Nachbarschaft blickt derweil etwas ratlos und verunsichert drein und Herr Meierken erscheint mit seiner Kamera. Er lässt sich vom Rentner aus Haus Nummer 5 über den neuesten Sachverhalt aufklären und übernimmt augenblicklich und energisch das Kommando:
„Frau Mathilde, Sie halten den Käfig! Herr Willi, Sie nehmen die Schaufel und heben das Agnumamad vorsichtig hinein – aber halt!“ Mathilde und Willi zucken zusammen. „Alle Umstehenden treten noch einen Schritt zurück – nur die rechtmäßigen Finder kommen aufs Foto.“

Mutig greift Willi nach der Schaufel. Mathilde hält etwas ängstlich den Käfig mit einem Arm weit ausgestreckt von sich weg. Mit der freien Hand versucht sie noch schnell, ihre Frisur in Form zu bringen.
Während Frau Schmittgen beleidigt „Das ist gemein! Wir wollen alle aufs Foto!“ keift, und Herr Meierken böse „Schschscht – Ruhe!“ zischt, werfe ich hinterhältig ein klitzekleines Steinchen über den Zaun. Die Giftechse zuckt zusammen, windet sich einmal um sich selber und schraubt sich anschließend, unter enttäuschten „Ooooch“-Rufen, in eines der Maulwurflöcher. Buff. Das war’s. Betretenes Schweigen setzt ein.

Ich schaue entgeistert auf meine ramponierten Beete und beschließe arglistig, die gesamte Bande morgen zu einem kleinen Umtrunk in meinen Garten einzuladen. Ganz nebenbei werde ich Schaufeln, Harken und Blumenknollen verteilen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich das grüne Etwas noch einmal zeigen sollte, leihe ich mir zur Sicherheit den Dobermann meines Kollegen aus. Der hat schon ganz andere Tiere zerlegt. Außerdem kann er die Nachbarn in Schach halten, damit vernünftig gearbeitet wird. Eine Schubkarre voller Setzlinge werde ich besorgen. Hecken und Bäume müssen dringend geschnitten werden und der Rasen ebenfalls. Herrn Willi könnte ich zum Planieren der Maulwurfhügel rekrutieren und käme insgesamt, auf diese Art und Weise, zu einer recht kostengünstigen Gartenrenovierung. Ich gratuliere mir zu diesem spontanen Einfall und sinke relativ entspannt in meinen Liegestuhl.

Die Nachbarschaft stiert noch immer ängstlich und nichts Böses ahnend in die Maulwurflöcher. Ich selber bezweifele ja, dass es diese Agnumamad-Echse tatsächlich gibt. Ich tippe eher auf einen getarnten Maulwurf, der Herrn Willi lediglich zeigen wollte, was eine Harke ist.

Letzte Aktualisierung: 27.03.2010 - 20.41 Uhr
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