Burgturm im Nebel
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"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Agnumamad | März 2010
Elf Freunde
von Ute Jürgens

Agnumamad. Wenn er seinen Namen sagte, klang das wie eine Melodie. Wenn wir es versuchten, klang es wie Kartoffelknödel im Mund. Also ließen wir es und nannten ihn Aggi. Das klang wie Andi, aber eben nicht genau so; das passte.

Aggi kam 1970 zu uns in die Jugendmannschaft des FC. Unser Trainer hatte ihn bei einem Afrika-Urlaub gesehen, wie er mit irgendwelchen Jungs herumbolzte. Uns hat er immer erzählt, es sei „wie eine Offenbarung“ gewesen: Dieses Ballgefühl, so was habe er noch nie gesehen! Er und sein afrikanischer Freund haben sich dann mit den Leuten unterhalten und später so eine Art Deal gemacht: Aggi kommt zu uns in die Mannschaft, kriegt dafür eine gute Schulausbildung und die Familie bekommt einen monatlichen Unterhalt. Da war Aggi gerade fünfzehn.

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie Aggi sich bei seiner Ankunft in Deutschland gefühlt hat. Ziemlich scheiße, schätze ich; schließlich war es ein saukalter Winter und er verstand kein Wort. Also, ich weiß, wie ich mich da gefühlt hätte. Aber vielleicht war er auch nur total neugierig aufs Fußballspielen hier, wer weiß. Wir waren jedenfalls total neugierig auf ihn, immerhin war er damals der erste Schwarze in unserem Verein. Und unser Trainer ging uns nun schon seit Wochen auf die Nerven mit seiner Lobhudelei: Diese Beweglichkeit – geradezu tänzerisch – und dabei diese Präzision – und erst seine Torschüsse – Jungs, ihr werdet Augen machen... Mann, hatten wir das satt.

Augen machten wir dann aber trotzdem. Junge, hatte der kleine dünne Kerl es drauf!
Guckt dich gerade noch ganz lieb an – und im nächsten Moment ist er an dir vorbei, lässt den besten Abwehrmann mit einem Hackentrick stehen und wumms! ist der Ball im Netz, bevor der Torwart auch nur kapiert hat, in welche Ecke er jetzt hätte springen müssen.
Und nach dem Spiel war er dann wieder der fröhliche kleine Kerl, der einfach nur versuchte, uns und das alles hier zu verstehen. Er lernte die Sprache total schnell, deshalb war uns bald kaum noch bewusst, dass er irgendwie fremd war. Wie schwer das für ihn gewesen sein muss, haben wir damals gar nicht kapiert.

Manchmal war er aber auch wirklich komisch.
Einmal hat er unseren Trainer wohl kurz vor den Herzinfarkt gebracht. Das war bei einem echt wichtigen Auswärtsspiel; es stand 1:1 und wir hatten noch eine Viertelstunde, also richtig Druck. Ausgerechnet so kurz vor Schluss gelang dem gegnerischen Linksaußen ein Wahnsinnstreffer aus zwanzig Meter Entfernung, keine Chance für unseren Torwart. Frustriert und nervös versuchten wir uns zu sammeln, während unser Trainer eine letzte Auswechslung probierte, um Zeit zu gewinnen und noch mal ´nen Kick in die Mannschaft zu bringen.

Wir stehen also da, Blick auf den Trainer – als der plötzlich nach links guckt, rot anläuft und den Mund aufsperrt. Da links ist Aggi – und läuft zu dem gegnerischen Torschützen, brüllt irgendwas Unverständliches und hat die rechte Faust in die Luft gereckt. Scheiße, was macht der da, der wird doch nicht … Der Schiri wird jetzt auch ganz hektisch und rennt zu den beiden, die Hand schon an der Hemdtasche; der Linksaußen guckt nur mit großen Augen und duckt sich leicht zusammen.
Und Aggi? Packt den Kerl an den Schultern, lacht übers ganze Gesicht und führt ein Freudentänzchen auf! Dem Schiri fällt die Pfeife aus dem offenen Mund. Aggi klopft dem Gegner ein paar Mal auf die Schultern, „Tor guuut, du guuut“ ruft er begeistert über den halben Platz.

Nach einer ewig langen Minute gab der Schiri das Spiel wieder frei und wir trabten noch halb benommen wieder an. Aggi aber wetzte gleich los, verwirrte die gegnerische Verteidigung noch ein bisschen mehr, sprang elegant über den aus Verzweiflung hingestreckten Fuß der Abwehr und zack! war der Ausgleichstreffer im Netz. Aggi hielt dem Linksaußen von eben wieder freudestrahlend die Hände entgegen; offenbar erwartete er, dass der nun auch ihn ausgiebig feiern würde. Der aber starrte ihn nur wutentbrannt an – und spuckte Aggi auf die Füße.

Der Linksaußen wurde dafür vom Platz gestellt und mit einem Mann in Überzahl schafften wir sogar noch das entscheidende Tor zum Auswärtssieg und damit letztlich sogar den Aufstieg. Aber Aggi – für ihn war das Spiel in dem Moment vorbei.
Auf der Rückfahrt sprach er kein Wort, schaute nur aus dem Fenster in den Regen hinaus. Am nächsten Tag kam er nicht zum Training, am übernächsten auch nicht.

Allmählich hatten wir so was wie ein schlechtes Gewissen. Wir hätten ihn gerne besucht, mal gehört – Mensch Aggi, was ist los? Aber jetzt fiel uns auf, dass keiner von uns wusste, wo er eigentlich wohnte. Wir hatten uns immer nur auf dem Platz getroffen. Schließlich fragten wir unseren Trainer, was mit Aggi war.
Der seufzte. „Wisst ihr … Agnumamad hatte Heimweh … er ist gestern zu seiner Familie nach Hause geflogen.“
„Kommt er denn zur nächsten Saison zurück?“ fragte einer ganz vorsichtig. „Ehrlich gesagt – ich weiß es nicht.“ Betreten schauten wir auf unsere Füße.

Es war Spielpause, es waren Ferien. Wir fuhren nach Kärnten in den Urlaub, ich lernte Surfen und dachte irgendwie kaum an Fußball. Bis zum ersten Training nach den Ferien. Immer noch kein Aggi. Also stellten wir uns ohne ihn auf.

Wir waren noch beim Aufwärmen, als wir einen vertraut-fremden Schrei hörten: Aggi
lief auf den Platz, ruderte euphorisch mit beiden Armen und grinste übers ganze Gesicht. Mann, war das ein Gejohle!
„Aggi, Mensch, wir dachten schon, du kommst nicht zurück!“
„Muss ich aber doch, für Freunde!“
Hä? Fragend schauten wir ihn an.
„Habt ihr doch gesagt: Elf Freunde müssen sein. Also wir Freunde. Also ich komme zurück – Freunde lässt man nicht alleine, oder?“
Wir waren Jungs, fast schon Männer, und als solche heulten wir natürlich nicht wie irgendwelche Mädchen. Aber ich schwöre, ich hab feuchte Augen gesehen in dem Moment …

Letzte Aktualisierung: 27.03.2010 - 14.40 Uhr
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