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Agnumamad, war ich da nicht schon mal? Ist das nicht diese kleine laute Stadt in der Provinz Fars, hart am Gebirge, über dem sich wuchtig die Wolken ballen, als wollten sie in den Kampf ziehen? Die Esel aber tragen stoisch ihre Last.
Nein, es war nicht im Iran. Mit der Zeit verwischt sich alles. Es muss im Irak gewesen sein, in Bagdad, im blutenden Irak. Eine Streubombe hat sein Wohnviertel getroffen, Nadscha Munir Dschumma hat es den Bauch aufgerissen, ein Auge hat er verloren. Die Ärzte wissen nicht, ob sie ihn retten können, sie wissen nur, dass Nadscha Munir nie mehr wird arbeiten können und seine fünf Kinder ernähren. Im Agnumamad-Krankenhaus ist der Tod Alltag. Oder hieß das nicht anders? Nichts ist sicher. Warum auch musste ich dabei sein? Bilder liefern ins traute deutsche Heim zum Abendessen? Pflicht des Berichterstatters? Dass ich nicht lache. Vermehrung des Bilderbreis, mehr nicht. Gib es zu, es ist dein Job. Er bringt dir die Brötchen, du kannst nichts anderes. In meinen Unterlagen finde ich: Numama-Krankenhaus. Ohne ein Wort Persisch dort hinzugehen, war kühn.
Sie haben mich gefragt, ob ich mit dem Namen Agnumamad etwas anzufangen wisse? Oder ist es ein Begriff? Ein Ort? Ein Ding? Wieso haben Sie gerade mich ausgesucht? Die Bar war doch voller Menschen, auch solcher, denen man die exotische Herkunft ansehen konnte. Diese Stadt ist voll von Studenten. Und ich habe mich darauf eingelassen. Der Wein hatte mich zugänglich gemacht. Wie sonst hätte es dazu kommen können, dass ich mir eine Nacht lang mit einem Unbekannten den Kopf darüber zerbreche, was sich hinter diesem ominösen Agnumamad verbergen könnte.
Zum Wein war ich an diesem Abend gekommen, weil Ondine mir eine ihrer von keiner Frau je erreichten Szenen gemacht hatte. Transsilvanisch nannte ich ihren Furor. Hilflos, wie ich war, fiel mir nichts anderes ein. Nur weil sie von dort stammte, billig, ich weiß. Sie aber erreichte eine selten gesehene, selten gehörte Klimax und trieb mich mit den High Heels ihrer schwarzen Stiefel durch die Zimmer. Das Telefon klingelte, welches Telefon klingelt heute noch, jedenfalls dieses eklige Dingeldingelding, das sie gegen meinen Wunsch durchgesetzt hatte, also das Telefon ließ sie, auch da ganz Frau, für einen Augenblick innehalten, einen Augenblick, den ich zur Flucht nutzte, Gottseidank, die Tür war nicht abgeschlossen. Ein paar Sekunden später und der Ausweg wäre versperrt gewesen.
Diesem Kerl von der Bar jedenfalls war es gelungen, dass Agnumamad meinen Kopf bis in die tiefsten Winkel besetzte, mama mia. Mama Agnu? Eine abgedunkelte Mama Agnes? Oder Agnus Mama mit vergessener Genitivflexion? Ein weiblicher Agnus Dei? Eine Agna Dei, qui tollit peccata mundi? Alles vermengt sich, wird schwer und verklebt die Synapsen. Ich muss was dagegen tun, bevor es zu spät ist. Alte bulgarische Volksweisheit, oder stammt sie aus Rumänien?, also die Weisheit sagt: Ist verklebt Synaps, trink du harte Snaps. Volksgut immer gut!
Es ist keine Magie, nichts Übersinnliches à la mode. Auch wenn der Typ so tiefgründelnd redete, die Augenlider hängen ließ wie ein Basset die Ohren. Erst die kryptische Wortwahl. Leute wie den meide ich wie Pest und Cholera. Dass ich mich auf ihn einließ, der Alkohol allein kann es nicht gewesen sein, auch nicht die transsilvanische Eruption. Vielleicht war es die mir anhaftende Eigenschaft, kein Ding, das mir, dem ich begegnete, unerklärt zu lassen. Ich weiß, ich weiß, man hat es mir oft genug gesagt, ich sei ein Mischwesen aus Wagner und Faust, allerdings mit überwiegend wagnerischen Genen. Danke!
Ein Palindrom vielleicht, wie ich es schon als Kind geliebt habe. Kinder heulen – Hinterkeulen. Damamunga, hama Hunga! Numa agnuma. Aber das ist bayrisch, basst net. Gama Munga ist was für Münchner. Anagrammier, so oft und wie du willst, macht Spaß, bringt nix.
Ondine hat noch nicht angerufen. Will mich schmoren lassen. Ich mag’s lieber à point. Zwei Teufelskinder, sie konnten zusammen nicht kommen. Gut, eine eigene Wohnung zu haben, rückwärtiges Gebiet, Hauptverbandsplatz, Wunden lecken. Aber doch ist jedes Zimmer kontaminiert von ihr. Ein zerknautschter Pyjama , ich lege ihn unter meinen Kopf. Schuhe, verstreut auf dem Boden, High Heels. Überall Stücke ihrer Häutung. Ein Lippenstift, noch rot herausgeschoben. Ein angebrochener Blister. Agnucaston. Agnu! Ich denke nicht, ich reagiere, funktioniere. Also lese ich den Beipackzettel. Blablabla. Wiederherstellung des hormonellen Gleichgewichts. Linderung des Schweregefühls der Brüste, wie ich das liebe. Nachlassen der Reizbarkeit, das ist es! Sie hat ihre Tabletten nicht gehabt, daher der Furor Ondinae. Soll ich ihr den Blister schicken, ohne Kommentar?
Agnucaston. Auch die Namenerfinder denken sich was, nein, sie denken sich sehr viel. Das ist ein Beruf mit großer Zukunft. Da wird nichts dem Zufall überlassen. Unsere Philosophie, jeder hat heute so was, die Philosophie unserer Hähnchenstation zum Beispiel, also, unsere Philosophie ist die professionelle Entwicklung von schützfähigen Markennamen. Vielleicht war der Typ ja ein Namenstester? Die lassen ja ganze Kompanien ausschwärmen in der Projektphase. Unsinn, Agnumamad ist viel zu lang, schwer auszusprechen, international unbrauchbar, womöglich mit gefährlichen Konnotationen im arabischen Raum. Du siehst, wie weit es mit dir gekommen ist.
Ich müsste den Typ noch mal fragen können. Ich weiß nicht, wie er heißt, nicht wo er wohnt, nichts. Ein Phantom. Eine alkoholgenerierte Einbildung. Red dir nur so was ein, es wird dir nicht helfen. Auch nicht, dass du die Wände vollgeschmiert hast mit Agnumamad – Agnumamad – Agnumamad. In allen Farben, in allen Schriften, die du kennst. Das Menetekel an der Wand. Du wurdest auf einer Waage gewogen und für zu leicht befunden. Du hast die Prüfung des Unbekannten nicht bestanden.
Letzte Aktualisierung: 13.03.2010 - 19.57 Uhr Dieser Text enthält 5891 Zeichen.
