Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Agnumamad | März 2010
Agnumamad, Gott
von Hank (derhank)

Es wurde kalt, als Agnumamad die Hackeschen Höfe betrat. Er wickelte den Seidenschal enger und knöpfte seinen Kaschmirmantel zu. Wohlwollend betrachtete er ein teures Gemälde der Galerie Aedes.
Neben dem Torbogen fischte ein alter Mann leere Flaschen aus einem Papierkorb. Der Kerl trug einen geflickten, schmutzigen Anzug, abgewetzte Schuhe und einen altmodischen Hut. Sein langer, weißer Bart war verfilzt und zottelig und zog an ihm wie eine Last.
»Gott!«, rief Agnumamad, »was für eine Überraschung! Du in Berlin?«
Der Alte hatte Mühe, Agnumamad zu erkennen.
»Und selbst?«, krächzte er heiser. Seine müden Augen sahen zu Agnumamad auf. »Siehst gut aus, groß, stattlich, so schön frisiertes schwarzes Haar, braun gebrannt. Mensch, Lucifer ...«
»Agnumamad! Ich heiße jetzt Agnumamad!«
»Für mich immer noch Lucifer, wandelbare Schlange!«
»Ach Väterchen«, sagte Agnumamad, »die Zeiten ändern sich.«
»Was soll denn das bedeuten, 'Agnumamad'?«
»Einst hieß es 'Agnus Dei'. Aber was sollen die Leute noch mit einem Lamm Gottes? Ich bin das Lamm des Mammon! Denn das Geld ist es, woran die Menschen glauben, nicht Gott! Das Geld selbst ist Gott geworden!«
»Gott? Niemals! Es steht geschrieben: 'Du sollst neben mir keine anderen Götter ...'«
»Oh doch, schon Brüderchen hat gesagt: 'So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist ...'. Der Kaiser aber, das bin jetzt ich, Gottkaiser ...«
»Du bist immer noch mein Sohn! Wenn auch der missratenste, den ich je hatte!«
»Dein Sohn ... Verstoßen hast du mich!«
»Und doch bin ich dein Herr, der einzige, wahrhaftige Gott der Welt!«
»Du glaubst noch immer, dass du das alles hier erschaffen hast?«
»Ich BIN der Schöpfer!«
Agnumamad lachte schallend, »Du bist ein Kind der Kultur, eine Erfindung wie das Rad oder Hypothekenzinsen. Du bist die Schöpfung der Menschen!«
Gott sank in sich zusammen, »Du aber auch!«
»Aber ich stehe dazu!«, Agnumamad machte eine ausladende Handbewegung, »Und ICH herrsche jetzt. Alle sechs Milliarden sind mir hörig! Keiner kommt mehr ohne mich aus!«
»Ohne mich erst recht nicht!«, schimpfte der Alte.
»Väterchen ...«, Agnumamad tätschelte ihm auf den verbeulten Hut, »Ich war mal dein Sohn. Und Jesus mein Bruder. Aber das ist Legende. Ich habe mich adoptieren lassen ...«
»Falsch wie du bist!«
»Falsch? Ich bin!«
»Papierschnipsel, Blechtaler, Plastikkarten ...«, lamentierte der Alte.
»Woran sie alle glauben! Nur ihr Glaube macht mich so wertvoll.«
»Dich kann man nicht essen, nicht trinken, nichts ...«
»Und dich noch viel weniger!«, konterte Agnumamad.
»Ich bringe die Hoffnung!«
»Hoffnung? Worauf? Auf ein ewiges Halleluja in deinem abgehalfterten Jenseits?«
»Ich rette!«, Gott stampfte mit den Füßen aufs Pflaster, »Scheiße!«
»Du?«, Agnumamad grinste, »ICH rette! Meine Versprechen sind echt: Kleinwagen und Lebensversicherungen. Das täglich Brot bin ich, nicht du!«
Der Alte streifte sich den Fuß an der Bordsteinkante ab, »Deine Versprechen ... Krankheit und Tod machen sie zunichte! Wie viele Kriege werden für den Mammon geführt?«

Agnumamad ließ den Alten grollen. Sie gingen ein Stück zusammen, spazierten durch die Friedrichstraße mit ihren luxuriösen Schaufenstern.
»Hier glaubt niemand mehr an dich!«, frohlockte Agnumamad.
An einer Straßenlaterne blieb Gott stehen. Er betrachtete einen Aufkleber: arabische Schriftzeichen und stilisierte Krummsäbel. Sein Antlitz leuchtete auf.
»Heiliger Krieg ...«, flüsterte Gott.
»Heiliger Bimbam!«, Agnumamad verdrehte die Augen.

Sie bogen in die Oranienburger Straße ein und wären beinahe mit einem der Mädchen zusammengestoßen, die hier standen.
Sie stritt gerade mit den anderen, schrie »Scheiße, Russen, Scheiße!«, und die Beschimpften kreischten zurück: »Das nix deine Platz! Verschwinde, unsere Platz, nix deine!«
Agnumamad breitete die Arme aus: »Meine Damen ...«
Das Mädchen wandte sich den beiden Männern zu. Sie hatte blutige Kratzer im Gesicht, die blonden Locken waren zerrauft und ihre Netzstrümpfe zerrissen. Nur ein Fuß steckte noch im goldfarbenen Pumps, der andere stakste auf Zehenspitzen übers Pflaster.
Ein Geländewagen hielt mit tuckerndem Motor neben ihnen.
»Helfen bitte!«, wimmerte sie, »das großen Ärger machen, das Mann mich totschlagen!«
Der Allmächtige baute sich vor dem aussteigenden Luden auf, »Weiche zurück, du Sünder, ich ...«
Der Kerl stieß Gott beiseite und stürzte sich auf Agnumamad. Der aber zückte nur ein dickes Bündel Scheine. Das reichte. Einen Augenblick später waren das Mädchen, Gott und Agnumamad unter sich.
»Ich keine Mann hier gehören, hier russisch, ich aber Polin«, erklärte sie, »doch Sie sind guter Mann, Sie gute zwei Mann, Sie helfen. Wo ich gehen? Ich kein ... Wohnung, kein Schlafplatz, ich nur Bett, wenn machen Liebe!«
»Machen Liebe?«, Gott runzelte die Stirn.
»Ja ...«, sie sah ihn an, »Sie wollen, ich Liebe machen? Ich machen, aber Sie helfen!«
»Nein, nein, nein! Ich mache keine Liebe!«, Gott wurde rot, sah Agnumamad hilflos an und zischte ihm zu: »Lass uns verschwinden!«
»Verschwinden? Und das Mädchen ihrem Schicksal überlassen? Du, der Barmherzigste der Barmherzigen?!«
Gott sah zu Boden. »So war das nicht gemeint, ich, äh, ich, wir könnten ihr ein bisschen Geld ...«
»Geld?!«, fragte Agnumamad.
»Na, du hast doch ...«
»So kläglich räumt der Herr das Feld?«, schimpfte Agnumamad, »Erst verstößt du mich, und dann soll ich deinen Job machen?«
Gott knirschte mit den Zähnen. Das Mädchen hatte Mühe, der Unterhaltung zu folgen. Ihr Blick wanderte zwischen den beiden hin und her, doch schien sie die Nähe des Alten zu bevorzugen.
»Du helfen arme kleine Jodwiga! Ich in Not! Große Not, ich nix machen kann!«
»Also gut ...«, Gott räusperte sich, »ich kümmere mich um dich ...«
Sie fiel ihm um den Hals und jauchzte, »du nix bereuen, ich dich glücklich machen!«
»Wenn das so ist«, raunte ihm Agnumamad zu und grinste, »dann regle ich das Finanzielle natürlich gerne ...«

In einer Nebenstraße fanden sie ein Hotel. Während der Alte mit seiner Anvertrauten ein kleines Zimmer bezog, hüllte sich Agnumamad schweigend in seinen Mantel und verharrte auf dem Flur.
Aber der Teufel wäre nicht der Teufel, triebe ihn nicht die Neugier. Bald löste er sich aus seinem Schatten und schlich vor die Zimmertür. Von innen hörte er Jodwigas gespieltes Stöhnen und die überhaupt nicht gespielte Reaktion ihres vermeintlichen Erlösers. Agnumamad schaute durchs Schlüsselloch: Voller Hingabe lag der Allmächtige unter dem baumelnden Elfenbeinkreuz des nackten Mädchens.
»Ich bin dein Herr, dein Gott!«, keuchte er, »glaube an mich und gehe ein in mein Reich, gebenedeit seist du ...«
Jodwiga hielt inne und sah ihn mit großen Augen an.
»Was ist ...?«, fragte der Alte.
»Du nix Witze machen über Religion! Ich katholisch, ich gläubig! Ich machen Liebe aus Not! Mein Mann Gefängnis! Gut Mann, nix böse! Unschuldig! Du keine Witze machen über Gott!«
»Aber ich BIN Gott!«
Sie schrie auf, strampelte mit den Beinen und schlug dem armen Weißbart ins Gesicht. Gestärkt von so viel religiöser Inbrunst bäumte der sich auf.
»Mensch, Gott«, sagte Agnumamad und brach durch die Tür.
Das Mädchen eilte in seine Arme. »Du helfen! Dies Mann verrückt! Dies Mann Sekte! Ich nix Sekte, ich nur Geld brauchen. Helfen mein armer Mann!«
Sie begrub den Kopf in Agnumamads Schultern und schluchzte.
»Schsch...!«, machte der, »Ich helfe dir ja!«
Amüsiert bemerkte er ihre tastende Hand in seiner Manteltasche und zeigte Gott die Siegerfaust.
Dessen Geduld war zu Ende. Wutschnaubend richtete der himmlische Vater sich zu seiner vollen Größe auf, und nur der lange Bart bedeckte seine Blöße.
»Genug!«, donnerte er, dass das ganze Haus erzitterte, »du hast mich lange genug zum Narren gehalten, ich stoße dich zurück, dahin, wo du hingehörst ...«
Agnumamad schob das Mädchen sanft aber bestimmt zur Seite. Und schon fiel Gott brüllend über ihn her. Polternd stürzten sie zu Boden und rangen miteinander. Jodwiga starrte ungläubig auf den Kampf. Dann kleidete sie sich an und raffte die aus dem Getümmel herausflatternden Geldscheine zusammen. Triumphierend küsste sie ihr Kreuz und huschte aus dem Zimmer.

Zurück blieben die Menschensöhne. Ächzend und keuchend wälzten sie sich in ihrem Schweiß, eng umschlungen wie Liebende.

Letzte Aktualisierung: 21.03.2010 - 21.30 Uhr
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