Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Die Hand auf der Klinke blieb er stehen und starrte sein eigenes Spiegelbild an, das ihm aus der Milchglasscheibe seiner Bürotür entgegenblickte. Quer über seine Nase verlief das Wort, das in dicken goldenen Lettern an der Scheibe prangte. „AGNUMAMAD!“ Das las er dort. Er schloss die Augen, ohne die Türgriff loszulassen; spürte deutlich die beruhigende Kühle des Metalls. Im Hintergrund hörte er gedämpft die vertrauten Geräusche aus den anderen Büros, das Summen der Computer, leise Stimmen und hin und wieder ein Lachen. Langsam öffnete er die Augen wieder. Quer über der Nase! Er schielte den Gang entlang ohne sich umzuwenden. Niemand da. Sein Blick kehrte zur Tür zurück. Suchte das Namensschild, das an der linken Seite angebracht war. Rainer Schuhmann - Abteilungsleiter und, wie er in Gedanken hinzufügte, auf dem Sprung ins gehobene Management. Entschlossen drückte er den Griff hinunter. Im Zimmer hängte er seine Jacke an den Haken und spulte seine tägliche Routine ab, doch ohne das wohlige Gefühl, das er sonst dabei verspürte. Er setzte sich. Langsam wanderten seine Augen vom Tisch zur Tür und dann hinauf, bis er die Buchstaben sehen konnte. Sie waren da! Ohne jeden Zweifel! Auch wenn er sie von dieser Seite nur spiegelverkehrt sah. „DAMAMUNGA!“ Das sagte ihm genauso wenig. Er googelte das Wort. Ohne Erfolg! Also auf die altmodische Art. Er griff zum Telefon und wies seine Sekretärin an ihm den Duden zu bringen. Den Rechtschreibband und zur Sicherheit auch das Bedeutungswörterbuch. Wie immer pochte sie mit dem Gelenk eines Fingers gegen den Holzrahmen. Er schrak auf. Würde sie ihn auf den Buchstabensalat ansprechen? Vielleicht wollte sie von ihm wissen, was das Wort zu bedeuten hatte? Und dann? Schweiß brach ihm aus. Keine Antwort haben und sie mit dem Duden in der Hand. Sie würde die richtigen Schlüsse ziehen und… Pock!
„Herr Schuhmann? Ist alles in Ordnung?“
Er richtete seine Krawatte. Diese penetranten Nachfragen hatte er ihr nie abgewöhnen können. Ob sie das auch noch wagte, wenn er die nächste Stufe auf seiner Karriereleiter erklommen hatte? “Kommen sie!“ Er bemühte sich seine Stimme barsch klingen zu lassen. Manchmal hielt sie das davon ab, Fragen zu stellen. Sie trippelte neben den Tisch und legte die beiden Bücher vor ihn. „Bitte!“ Mit einem freundlichen Nicken zog sie sich zurück. Er atmete auf. An der Tür wandte sie sich um und deutete mit dem Kopf auf das unselige Wort. „Meinen allerbesten Glückwunsch Herr Schuhmann. Verdient hatten sie das schon lange.“
Er starrte auf die geschlossene Tür! Sie hatte das Wort gesehen und kannte seine Bedeutung. Er sprang aus dem Sessel, drauf und dran die Tür aufzureißen und… seine Hand verharrte auf der Klinke. Wie würde das aussehen? So als ob er sich selbst beweihräucherte, für… was auch immer für eine Ehrung ihm zuteil geworden war.
Der Duden! Er schnappte sich das Rechtschreibwörterbuch. Blätterte. Das verdammte Alphabet. Er hasste diese altmodischen Wörterbücher. Immer musste er das Alphabet in Gedanken vor sich hinmurmeln, um sich zurechtzufinden. Das Telefon läutete. Einen Finger zwischen den Seiten steckend, angelte er mit der Linken nach dem Hörer. „Schuhmann!“
„Meinen Glückwunsch!“ tönte der angenehme Bass seines alten Kollegen Frei aus der Muschel. Hermann Frei – sicher genauso alt wie die Firma und ohne Ambitionen. „Hab es eben gehört und gleich bei mir gedacht, da hat es den richtigen getroffen.“
Rainer entspannte sich. Sogar dieser alten Penner hatte seinen Wert erkannt. Geschmeichelt lehnte er sich zurück. Sein Finger rutschte aus dem Duden und das Ding klappte sofort zu. Egal! Vielleicht konnte er Frei unauffällig aushorchen?
„Will nicht länger stören.“ Es knackte in der Leitung und er war wieder allein mit dem zugefallenen Duden. Fluchend begann er von vorn mit der Suche. Ag = Argentum und das gleich am Anfang, er spürte die vertraute Verwirrung. Mit dem Finger strich er über die einzelnen Zeilen. Agnus Dei und das war dann mit dem u nach dem n. Wütend warf er den Band zurück und griff nach dem Bedeutungswörterbuch, auch ohne Erfolg. Was jetzt? Google, Wikipedia und der Duden ließen ihn im Stich! Sein Blick fiel auf die Uhr. Schon fast zehn und noch nichts geschafft. Düster starrte er das Wort an. In der Firma konnte er niemanden fragen, das wäre ein Offenbarungseid. Undenkbar sich vor einem Untergebenen eine Blöße zu geben, oder sich bei einem Konkurrenten danach zu erkundigen. Und einen Vorgesetzten fragen… Am Ende hielt man ihn für inkompetent. Er ertappte sich dabei, dass er das Wort vor sich hinmurmelte. Agnumamad! Klang das indianisch? Oder indisch? Konnte man von ihm erwarten so etwas zu wissen? Natürlich! Sonst würde es nicht an seiner Tür stehen! Agnumamad! Der Klang gefiel ihm. Agnumamad Schuhmann – das klang doch nach was. Wer von seinen Freunden und Golfpartnern kannte diesen Titel wohl? Die Vorstellung fragend hochgezogener Augenbrauen entlockte ihm ein Lächeln, das aber sofort erstarb. Erst einmal musste er selbst herausfinden, was das Wort bedeutete. Zu was man ihn befördert hatte. Entschlossen verließ er sein Büro. Seine Sekretärin war allein. „Ela, wer hat die…“ Er stockte. Fast hätte er „die Buchstaben“ gesagt. „Wer hat den Schriftzug an meiner Tür angebracht?“
„Der Hausmeister!“, sie zuckte mit den Schultern, „Denke ich, das ist doch seine Aufgabe.“ Ihre Stirn legte sich in Falten. „Stimmt etwas nicht?“
„Doch doch!“ Er winkte ab. „Es ist alles in Ordnung. Ich habe mich nur gefragt, wann er das gemacht hat. Immerhin bin ich seit acht Uhr hier und gestern habe ich bis Mitternacht gearbeitet.“ Das stimmte zwar nicht ganz, aber das konnte sie nicht nachprüfen. Sie ging ja immer schon um fünf.
„Er fängt um sechs Uhr an.“
„Oh!“ Er zog sich zurück. Den Hausmeister konnte er kaum darauf ansprechen. Er wusste ja nicht einmal dessen Namen.
„Herr Schuhmann!“
Seine Sekretärin lugte hinter ihm her. „Sie denken doch an den Empfang!“ Empfang? Was für ein Empfang? Zu seiner Erleichterung plapperte sie bereits weiter. „In knapp zwei Stunden Zeit für…“ Sie lächelte freundlich. „…die Beförderung.“ Ihr Lächeln vertiefte sich. „Steht alles in der Benachrichtigung die ich ihnen gestern morgen mit der Post auf den Tisch gelegt habe.“
Sein „Natürlich!“ raunte er dem leeren Flur zu. Die Benachrichtigung! Natürlich! Das war doch der normale Weg. Eine formlose Mitteilung, die einen auf das Ereignis vorbereitete. Die Beförderung, sowie Zeit und Ort an dem es offiziell der Belegschaft mitgeteilt wurde. Was war er für ein Narr! Erleichtert lachend eilte er in sein Büro zurück. Irgendwo musste die Nachricht sein. Wahrscheinlich hatte er sie einfach nur untergekramt. Er warf die Tür hinter sich ins Schloss. Seine Hände waren feucht als er den Posteingangskorb an sich zog. Ganz unten lag der kleine Stapel Briefe, den er gestern nicht mehr geschafft hatte. Achtlos warf er die neu eingegangen Schreiben zur Seite. Wühlte sich hektisch durch die Umschläge. Ohne Erfolg! Er fuhr sich durchs Haar. Wie war das möglich! Hatte jemand den Brief gestohlen? Nein! Wahrscheinlich war er nur zwischen die heutige Post gerutscht. Er nahm sich den Stapel vor, ohne Erfolg. Keine Benachrichtigung! Und damit keine Hoffnung seinen neuen Titel aufzuklären. Er spürte seinen Mund trocken werden. Was blieb ihm jetzt zu tun? Er wusste nicht was er war und nicht wo man ihn offiziell dazu ernennen würde. Nur wann! Der Zeiger der Uhr näherte sich der elf. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er musste den Brief finden und dann…, um den Anzug kümmerte Ela sich, aber er musste zumindest eine kleine Ansprache einüben. Und dazu brauchte er die Benachrichtigung. Sein Blick fiel auf den Papierkorb. Vielleicht… Der Gedanke gefiel ihm nicht. Eine Nachricht von solcher Wichtigkeit vielleicht versehentlich weggeworfen zu haben. Die Adern an seinen Schläfen pochten, trotzdem machte er sich daran die zerknüllten Papierbälle durchzusehen. Nur gut, dass er gestern noch am Platz war, als die Putzfrau kam. Sonst wäre jetzt alles verloren. Wild entschlossen arbeitete er sich vor. Die Umschläge beachtete er nicht. Ihn interessierten nur die zerknitterten Briefbögen. Das Telefon läutete. Sollte es! Er keuchte. Wer konnte das schon sein! Anrufe von außen nahm Ela entgegen und der fiel immer was ein, um ihn zu entschuldigen und die Kollegen… Nun, gratulieren konnte sie ihm auf der offiziellen Feier. Er ignorierte das Läuten auch beim zweiten und dritten Mal.
„Herr Schuhmann!“
Die Arme bis zu den Ellbogen im Müll vergraben, wirbelte er herum. Ela stand unter der Tür. Glotze ihn mit ihren großen Augen geschockt an. Konnte die Kuh nicht klopfen. Er pflaumte sie an.
„Natürlich habe ich angeklopft!“ Ihre Augen funkelten empört. „Dreimal! Vorher habe ich ebenso oft versucht sie anzurufen. Es ist Zeit!“
„Zeit?“ In seinem Kopf drehte sich alles. War das möglich, dass er ihr Klopfen nicht gehört hatte? Und den Brief hatte er immer noch nicht gefunden. Er riss den nächsten Papierball auseinander.
„Der Empfang!“ Ela wurde ungeduldig. „Die Kollegen sind versammelt. Der Vorstand wartet und sie…“ Ihre Augen drückten Abscheu aus. „Sie wühlen hier im Abfall wie ein…“ Ihr Gesicht verzog sich vor Abscheu. „Sehen Sie zu, wie sie das den Herren und vor allem der Chefin selbst erklären.“ Weg war sie. Entsetzt starrte er ihr hinterher. Alle versammelt und er wusste nicht wo! Er richtete sich auf. Zum zweiten Mal an diesem Tag betrachtete er sein Spiegelbild in der Milchglasscheibe der Tür. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn und seine Augen waren unnatürlich weit aufgerissen. Er fühlte seine alte Ruhe und Überlegenheit zurückkehren. Jetzt gab es nur noch eins, das er tun konnte.
*
„Na also!“ Ela trat ans Fenster und blickte hinunter. Rainer war noch unterwegs! Zwanzig Stockwerke brauchten ihre Zeit. Aber das ging entschieden schneller als eine Kündigung. Madame, wie die Stammbelegschaft die Eigentümerin nannte, würde zufrieden sein.
Letzte Aktualisierung: 06.03.2010 - 22.35 Uhr Dieser Text enthält 10172 Zeichen.