Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Ein Held | April 2010
Auf ein Neues: David gegen Goliath
von Angela Schlenker

Musir Maus war ein glücklicher und wohlgenährter Mäuserich. Er residierte in der Uferbefestigung des Anlegers einer Flussfähre direkt hinter einer Frittenbude. Hier wähnte er sich im Paradies. Wohl erbebte dieses Paradies so manches Mal von horrendem Lärm, besonders dann, wenn Horden von Motorradfahrern sich übersetzen lassen wollten, dafür aber bot es, neben einem steinernen, uneinnehmbaren Unterschlupf, alles an Nahrung, was er sich nur wünschen konnte. Es gab jede Menge Pommes, Wurstzipfel, Brot, ja, sogar Kuchenkrümel und Obstreste. Sage da niemand, seine Kost wiese etwa Mängel auf!
Musirs selige Zufriedenheit währte solange, bis Rita Wanderratte auftauchte. Er begrüßte sie höflich und bot ihr Speis und Trank. Da geschah es. Sie hob die Zähne. Die Pommes und die Wurstzipfel waren zu salzig, das Brot entweder pappig und aufgequollen oder steinhart, das Obst nicht frisch und das Wasser ölig! Lediglich die Kekskrümel fanden ihre Zustimmung, dafür waren sie nur in geringer Menge vorhanden. Doch selbst die Luft war von Abgasschwaden geschwängert und laute Motoren brüllten allerorten.
Musir war entsetzt. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass es schönere Paradiese als dieses geben könnte, Rita aber behauptete genau das. Konsequenterweise ergab sich daraus eine entscheidende Frage:
„Warum hast du es dann verlassen?“
„Je nun, ein Paradies bleibt keines, wenn zu viele darin hausen! Und da uns Wanderratten das Wandern im Blut liegt, möchte ich mir woanders einen Ratterich suchen!“
Musir setzte sich auf die Hinterläufe, sah an sich herab und plusterte sich nach Möglichkeit auf.
„Na, geb’ dir keine Mühe, Kleiner, ich benötige etwas Handfesteres!“, grinste Rita anzüglich.
Sie verfolgte mit den Augen seinen zur Öffnung eines Kanalrohres gewanderten Blick. Daraus miefte es gewaltig hervor.
„Da drin?!“
Rita war einfach besseres gewöhnt, sie betrat gar nicht erst diese großzügige Appartementanlage mit dem täglichen All-Inclusive-Service. Am nächsten Morgen war Rita Wanderratte verschwunden. Musir blieb nur ein Schluss übrig, es hatte ihr hier nicht gefallen! Er kam ins Grübeln. Mit einem hatte Rita jedenfalls Recht! Mit dem Wandern! Er selbst hatte seinen biologischen Auftrag reichlich erfüllt, und es war nur eine Frage der Zeit, wann es zu Auseinandersetzungen mit der jüngeren Generation kommen würde. Warum also sollte er sich nicht lieber die Welt ansehen und vielleicht Ritas Paradies finden? Vielleicht gab es dort zwar viele Ratten aber nur wenig Mäuse?
Entschlossen lief er beim nächsten Morgengrauen in die Richtung, aus der Rita gekommen war. Bald erreichte Musir einen Park mit wuchtigen, alten Bäumen. Allerdings entsprach der eigentlich erhabene Anblick der Baumveteranen mitnichten dem Gesamteindruck, denn die Luft war erfüllt von infernalischem Getöse, unterbrochen von entsetzlichem Bersten und Krachen.
„Du meine Güte“, entfuhr es Musir, „dies kann nicht Ritas Paradies sein.“
„Es hat sich ausgeparadiest!“, schimpfte ein Eichkater, der neben Musir aufgetaucht war, „die Menschen brauchen Feuerholz! Pellets nennen sie es neuerdings, ich habe sie reden hören!“
„Hören sie jetzt auf?“, fragte Musir hoffnungsvoll, da eben Stille eingetreten war.
„Pah!“
Auch Musir sah ein, die Menschen pausierten lediglich. Seine Kleinheit ausnützend, huschte er hinzu, untersuchte die Mordinstrumente und nagte am Anreißseil. Es leistete erheblichen Widerstand und vor Vollendung der Aufgabe kamen die Menschen zurück. Jemand griff nach der Säge, zog heftig am Seil, der Motor sprang an und das Sägeblatt nahm heulend seine Tätigkeit auf. Im gleichen Moment riss das Seil. Der Mensch fiel samt Säge in einen Busch. Dem tat dieser Überfall gar nicht wohl, dem Menschen allerdings auch nicht.
„Hat Mut, der Kleine“, krächzte oben im Wipfel eines noch stehenden Baumes ein Rabe zu seiner Gefährtin, „nur es bringt nichts. Wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel!“
Immerhin, für heute war die Fällaktion unterbrochen und Musir fühlte sich als Held. Derart beschwingt, folgte er weiter seiner Suche nach Ritas Paradies. Er gelangte auf einen Uferweg. Der war gepflastert mit kleinen Leichen. Käfer, Würmer, Schnecken, sogar Schmetterlinge waren breit verschmiert. Musir brauchte nicht lange darüber zu brüten, wie es wohl zu diesem Massensterben kam. Ein Reifen zischte heran. Nur ein beherzter Riesensprung rettete sein Leben. Der Radler aber hatte Musir sitzen sehen, ihn extra angesteuert und wollte ihn nicht entkommen zu lassen. Für solch heftige Lenkbewegung war jedoch seine Geschwindigkeit viel zu hoch, er prallte gegen die Steine der Uferböschung und flog im hohem Bogen aus dem Sattel. Wütend begriff Musir, was sich da abgespielt hatte. Sein Zorn kochte über. Einmal Held, immer Held! Flink sauste er zu dem Stöhnenden und fetzte ihm die Lippen auf.
„Wenn Mut nur etwas bewirken würde“, krächzte die Rabenfrau, „leider wird der Mann alsbald nur um so schlimmer wüten.“
Musir aber rannte schon weiter, auch dies war nicht Ritas Paradies.
Am nächsten Tag der Wanderung kam Musir in eine grauenvolle Öde. Auf einer Seite strömte am Fuße einer Kaimauer der Fluss, auf der anderen Seite dehnte sich eine riesige Wüste.
„Du lieber Himmel!“, stöhnte Musir, sah aber glücklicherweise einen Schwan auf dem Wasser.
„Hallo Herr Schwan! Sieht es so aus, wenn die Menschen Bäume zu Pellets verarbeiten?“
Der Blick des Schwans suchte nach dem verschwindend kleinen Sprecher auf dem Kai.
„Das auch, aber vor allem holen sie hier Sand!“
„Was die alles brauchen! Können sie nicht einfach nur leben?“
„Sie sind unergründlich! Aber lauf nur weiter, da hinten wird es wieder grün!“
Diesem Rat folgte Musir dann auch, denn angesichts der schweren Maschinen, die zwischen Sandbergen dröhnten, wurde er sich seiner Machtlosigkeit nur allzu bewusst.
„Hier bedürfte auch unser Held der Superkräfte!“, kommentierten die Raben spöttisch.
Schon fürchtete Musir, dieser Wüstenei nie mehr entkommen zu können, da ging diese ziemlich unvermittelt in eine liebliche Auenlandschaft über. Sich dort unter einer hohen Dornenhecke ausruhend, naschte er von den köstlichsten Brombeeren seines Lebens. Hier beschloss er zu bleiben und nur die nähere Umgebung noch zu erkunden. Musir kletterte einen steilen sandigen Hügel hinauf, oben angekommen überraschte ihn eine bunte Streuobstwiese, wo er von den süßesten Pflaumen kostete. Neben dem Idyll jedoch dehnte sich erneut eine Ödnis. Allein, bei näherer Betrachtung war das Gegenteil der Fall. Weizenkörner, wohin das Auge blickte!
Während Musir sich über den letzten Gang seines heutigen Festschmauses hermachte, fiel die Dämmerung herab und die erste Ratte kroch unter der Hecke hervor. Da wusste Musir, er hatte Ritas Paradies gefunden. Ja, hier war die Luft rein, das Wasser sauber, das Obst taufrisch und, nun ja, der Weizen war hart, genauso wie das beanstandete Brot, immerhin aber geschmackvoller. Anstelle von Wurstzipfeln gab es eben frische Maden im Pflaumenmantel.
Das Hallo war groß, weil Musir Rita kannte. Die Rattenfamilie bot ihm Unterkunft in ihrem Sandhügel unter dem Wurzelwerk eines umgestürzten Baumes. Mit den Geschichten dieses Gastes würden die kommenden Wintertage nicht lang werden!
Vorerst war das Leben allerdings ausgefüllt mit Erntearbeit. So saß auch Musir noch bei Sonnenaufgang verschnaufend in der Hecke, als das Gedröhn einer Maschine die Erde erbeben ließ. Musir wähnte sich im Schutze des Gesträuchs jedoch sicher. Ein Fehlschluss, da die Maschine die direkte Konfrontation mied, der Angriff war viel gemeiner! Schlagartig fand er sich triefend vor Gülle wieder. So schlimm, wie er nun roch, hatte noch nicht einmal das Kanalrohr seiner Heimat gestunken. Ritas Paradies hatte offenbar auch so seine Kratzer!
Musir hatte seine Erstarrung noch nicht überwunden, da hielt dicht neben ihm ein Auto, dem ein hübsch zurechtgemachtes Menschenweibchen entstieg. Es schrie etwas, woraufhin die arglistige, dröhnende Maschine stoppte und auch aus ihr ein Mensch kletterte. Zwischen beiden entspann sich ein Gespräch. Musir nutzte die günstige Gelegenheit, den Gestank seinen Verursachern zurückzugeben. Er schlüpfte ins Auto und rieb sich an den teuren Polstern sauber. Für diese Prozedur benötigte er sowohl die Vordersitze als auch die hintere Bank. Noch nicht völlig gereinigt, schaffte es Musir knapp zurück ins Gras, bevor die Frau wieder einstieg und losfuhr. Sie bemerkte die Bescherung erst, als der anhaftende Gestank selbst beim Friseur nicht enden wollte.
In den Obstbäumen aber lachten krächzend die Raben.

Letzte Aktualisierung: 12.04.2010 - 22.14 Uhr
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