Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Ein Held | April 2010
Der etwas andere Held
von Verena Ruf

Ich verabscheute diese Fliegerei!
'So besiege ich meine Flugangst' oder 'Qi Gong ĂĽber den Wolken', all die klugen Ratgeber, die ich gelesen hatte, halfen mir nicht. Den Schieber am Fenster zog ich herunter. Trotz des klaren Wetters konnte mich ein Blick auf schneebedeckte Gipfel auch nicht beruhigen.
„Mama? Mama, wann sind wir endlich da?“
„Bald mein Herz, es dauert nicht mehr lange!“
Ganz überzeugend klang die Stimme in meinen Ohren nicht. Ich verstand das Kind in der Sitzreihe hinter mir. Es durfte aussprechen, was mich insgeheim quälte.
Mein Herz hämmerte. Wenigstens vom Gurt durfte ich mich befreien. Durch ihn fühlte ich mich immer so eingesperrt. Ich schaute an mir hinunter. Ich hätte keine blaue Bluse anziehen sollen. Die Schweißflecke waren mir peinlich.
Aus der Bordküche hörte ich, wie das Personal die Servicewagen vorbereitete. Vielleicht könnte mich ein Gläschen Cognac beruhigen. Oder zwei.
Ich hätte mich gerne abgelenkt, aber das Bordmagazin enthielt nur Tipps für tolle Flugreisen, die ich nie antreten würde. Der seltsame Mensch neben mir war auch nicht gerade ein Alleinunterhalter. Eher ein stummer Fisch.
Oh Gott! Was war das? Die Klappen der Stauräume über den Sitzen rüttelten. Meine Hände klammerten sich an den Armlehnen fest. Okay, nur keine Panik. Es war nur ein Ruckeln.
Ich sah eine Stewardess schwankend, aber lächelnd durch den Gang eilen. Das konnte also nichts Schlimmes gewesen sein.
Verstohlen schielte ich zu meinem Sitznachbarn. Superschlank, hellblonder Kurzhaarschnitt, blasse Haut, zarte Gesichtszüge. Der wirkte so – wie nannte man sowas noch? 'Androgyner Typus'. War das jetzt ein Hemd oder eine Bluse?
Endlich. Eine hübsche Uniformierte schob den Servicewagen durch den Gang. Nur eine Reihe vor mir fragte sie nach den Getränkewünschen. Ich fieberte dem Cognac entgegen.
Oh nein! Alles schien zu bersten. Das eingefrorene Lächeln der Flugbegleiterin verwandelte sich in ängstliches Augenflackern.
Mir war speiübel. Mein Puls näherte sich der Kammerflimmergrenze. Wir werden abstürzen!
„Mama! Ich hab Angst!“, wimmerte es von hinten.
Es kam keine Antwort.
„Ich auch!“, antwortete ich mir selbst.
„Sehr geehrte Fluggäste, hier spricht der Kapitän“, drang eine Stimme aus dem Lautsprecher. „Wir erleben soeben Clear-Air-Turbulenzen. Ich möchte Sie dringend bitten, sich zu Ihren Sitzen zu begeben, sich anzuschnallen und …“ Seine weiteren Worte gingen in allgemeinem Stöhnen und angstvollem Gekreische unter.
Ich sah meinen Sitznachbarn in aller Seelenruhe den Beckengurt schließen, doch ich wollte mich nicht anschnallen. Zu genau konnte ich mir ausmalen, wie mein Körper im Flugzeugwrack tot im Sitz hängen würde.
Plötzlich wandte sich mir mein Nachbar direkt zu. Zum ersten Mal schaute ich ihm richtig ins Gesicht und war irritiert. Er wirkte überhaupt nicht aufgeregt, doch er blickte mich so durchdringend an, als wolle er mir befehlen, dass ich mich anschnallen sollte. Ich bildete mir ein, seine Worte zu hören, obwohl er die Lippen nicht bewegte. Ein warmes Leuchten schien aus seinem Innersten zu kommen. Willenlos nahm ich den Sicherheitsgurt, zog ihn über meinen Bauch und ließ den Verschluss einrasten.
Wir fielen. Einem Stein gleich stürzte der Flieger Richtung Erdboden. Kräfte rissen mich hoch, doch der Gurt hielt mich fest. Wie in Zeitlupe sah ich Getränke herumspritzen. Die Stewardess fiel hin und schlug sich den Kopf am Getränkewagen auf. Weiter vorne hob es einen Mann aus dem Sitz. Er stieß sich den Kopf an der Decke und blutete. Das Flugzeug begann zu schlingern. Gellende Schreie erfüllten den Raum. Vage hörte ich von hinten ein gesprochenes Gebet. Wir würden sterben. Ich war mir sicher. Hier gab es keinen Superman, der uns rettet. Ich sehnte mich danach, ohnmächtig zu werden.
Eine scheinbare Ewigkeit später kehrte Ruhe ein. Das Ruckeln hatte aufgehört. Eine unheimliche Stille senkte sich über die Kabine.
Sollten wir das alle lebend ĂĽberstanden haben?
Aufatmend drehte ich mich zur Seite. Der Sitz war leer. Wo war er?
„Wo ist denn der Typ, der neben mir saß?“, fragte ich die Stewardess, die sich aufgerappelt hatte und eine Serviette an ihre blutende Schläfe presste.
Sie sah mich erstaunt an. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“, fragte sie forschend. „Auf diesem Platz hat seit dem Abflug niemand gesessen.“
„Mama? Ist wieder alles gut?“, kam es zaghaft von hinten.
„Ja, ich glaub schon, mein Schatz“, erwiderte die Mutter. „Da hatten wir wohl einen ganz tüchtigen Schutzengel mit an Bord“, fügte sie hinzu.
Wahrhaftig! Jetzt verstand ich.

Letzte Aktualisierung: 25.04.2010 - 18.29 Uhr
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