Diese Seite jetzt drucken!

Abwärts | Mai 2010

Die hängenden Gärten der Semiramis …
von Helga Rougui

… in ihrer Imagination Inbegriff des Luxus in einem realiter wasserlosen Orient …

… sie waren ihr immer erschienen wie Oasen voll süßer saftiger Früchte, liebliche Versprechungen auf einen Garten Eden, pulsierendes Leben, das einen geheimnisvollen Dunstschleier trug und in dem Schwaden von Zimt und muskatene Düfte die harten Kanten der Wirklichkeit versprühnebelten …

… aber nun …

… mit dem Alter, hatten diese Vorstellungen allen Glanz verloren, die Fee hatte sich erlaubt, nicht alle der Wünsche, die an sie herangetragen worden waren, zu erfüllen, im Gegenteil, jede Bewegung wurde von Tag zu Tag mühseliger, ihre Gliedmaßen erfroren in einem immer geringer werdenden Radius, und der Begriff "hängen" verbunden mit dem Begriff "Körperteil" wurde zum Gedankenanstoß in etliche vollends unangenehme Richtungen – und so war ihr das Bewußtsein ihrer degenerierenden Körperlichkeit von Tag zu Tag mehr und mehr zuwider …

… so sehr zuwider …

… daß sie eines Tages beschloß, dem ein Ende zu setzen - sie fuhr mit dem Aufzug in die 23. Etage des Sky Office, verschaffte sich dort Zutritt zu einem der Büros, schlug die Fensterscheibe ein und stürzte sich in die Tiefe …

… sich im Fallen der Tatsache freudig bewußt …

… daß in diesen Sekunden ihres Weges abwärts keiner ihrer Körperteile die Möglichkeit hatte, sich der Schwerkraft zu verschreiben – alles, was sonst altersbedingt zum Hängen verdammt war, verhielt sich für diese Momente erst schwebend und dann mit ein wenig Korrektur des Kurses hie und da glücksverdächtig aufwärtsstrebend …

… und das war ihr unverzichtbar …

… hatte sie doch so die Möglichkeit, ein paar Augenblicke, bevor ihr Körper zu unkenntlichem Brei zerschlug und ihr Bewußtsein gänzlich ohne Bleibe war bis in alle Ewigkeit, noch einmal nur für sich jung gewesen zu sein …

… auch wenn der Preis für diese aufblitzende Jugend ein sehr hoher war …

… denn keiner außer ihr war Zeuge dieser kurzzeitigen Metamorphose.

Hochschreckend schnappt sie nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen – was für ein Alptraum! Sie hat tatsächlich zu fühlen geglaubt, wie sie pfeifend pfeilschnell die 89 Meter in Richtung Erdboden hinabsaust und dem Aufprall immer näher kommt und gar keine Zeit hat auf irgendetwas anderes zu achten als auf ihre …

… Angst? …

… ihr Glitzermilchstraßenschaumbad ist darüber abgekühlt, und sie beschließt, als sie sich im lauwarmen Wasser aufrichtet, doch vielleicht wieder einmal bei ihrem Schönheitschirurgen vorbeizusehen – der möchte ja wohl in der Lage sein, ein paar Dinge zu ihrer Zufriedenheit zu regeln, ohne daß gleich alles insgesamt und final in Brei verwandelt würde …

… von wegen Brei …

… wie lang sollte diese Gemüsequarkzyankalimaske eigentlich auf ihrem Gesicht verharren?
Die vorgeschriebenen zwanzig Minuten sind durch ihr Nickerchen bedingt sicher längst vorbei …

… hoffentlich ist ihr Gesicht überhaupt noch da, sonst …

… ja, was dann, hä hä, lacht sie sich eins und tappt zum Waschbecken, läßt es voll Wasser laufen und badet ihr Antlitz darin, Schicht um Schicht löst sich ab, bis ihr aus dem Spiegel ihr blankes ultimatives Konterfei entgegenstarrt. "Hier hängt wenigstens mal nichts", denkt sie knochentrocken, entkorkt das Fläschchen mit dem "Gesicht des Tages" – sowie nebenbei ein Fläschchen Sekt - und modelliert den Inhalt des ersteren auf ihr fahles Skelett, sorgfältig alle sich möglicherweise bildenden Falten aufwärts streichend, während der Inhalt des letzteren ihre innere Faltenbildung wohltuend abmildert. In ihren Bademantel gehüllt schlurft sie zur Tür, das Handtuch im Gürtel verhakt unfreiwillig hinter sich herziehend, greift zur Klinke …

… faßt daneben, öffnet die Tür dann doch …

… schon schlagen ihr Flammen rotlodernd heiß entgegen und umtanzen sie, so daß sie nach Luft japst und giert und anfängt zu husten - lästige allergische Reaktion, die ihr die Vorteile ihrer Inkontinenzeinlage plastisch vor Augen führt …

… und sie betritt den Raum, dunkel wie die Nacht, es ist still um sie herum, Schwärze, Ruhe, sie fröstelt, setzt sich in ihrem Bett aufrecht hin, ein kühler Luftzug weht vom Fenster her, das einen Spalt offensteht, und sie weiß, sie wird noch einmal aufstehen müssen, um es zu schließen, und sie zögert, weil sie weiß, daß es mühsam sein wird, sich dorthin zu begeben …

… nie, nie ist sie allein …

… immer sind die Schmerzen bei ihr, und sie hievt sich mit einiger Mühe aus dem Bett, kriecht Schrittchen für Schrittchen zum Fenster und schließt es, murmelt mißmutig, ach was solls, der Sommer läßt auf sich warten, viel zu kalt für die Jahreszeit, aber egal, die Schmerzen gehen so und so nicht weg, also kann dir das Wetter auch egal sein …

… nein, kein Selbstmord …

… sie wird ihren Weg gut gelaunt zu Ende gehen, keine Frage, und wenn nicht auf ihren eigenen zwei Beinen, dann wird sie eine Möglichkeit fnden, sowohl für ihre Physis als auch ihre Psyche.

Aber kein Selbstmord.

Es sei denn, sie hätte eine Seele.

Letzte Aktualisierung: 13.05.2010 - 18.28 Uhr
Dieser Text enthält 5086 Zeichen.


www.schreib-lust.de