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Abwärts | Mai 2010

Die Legende von Karl und wie es ihn hinabzog
von Bernd Kleber

Der Friedhof ist ein selig Wirth, dem mancher Gast die Tafel ziert.
Sprichwort

Lene stand mit der Kelle in der Hand an der TĂĽr, versperrte ihm den Weg.
„Karl, bitte, lass die Groschen hier, sieh dir die Kinder an, sie haben nichts zu essen.“
Ihr Mann, der Schuhmacher, sah sich um, einen Blick in das schmale Gesicht seines Ă„ltesten.
„Vater, wenn ich einschlafe, werd ich nie wieder wach, hat Hans gesagt. Nun trau ich mich nicht, die Augen zu schließen.“
„Seid ihr alle verrückt geworden? Was setzt ihr dem Jungen für Flausen in den Kopf? Geh beiseite, Weib!“
Mit einem Hieb lag seine Frau in der Ecke. Der Schöpflöffel schepperte über die im Boden verlegten Ziegelsteine. Am Fenster sah man Schuhe und Hosenbeine einiger Passanten vorübereilen.
Der Schuhmacher sprang die fünf Stufen hoch. Ein Lichtstrahl schoss in den Keller und verschwand schüchtern wieder, als hätte er sich nur verirrt. Die Tür schlug mit Donnern zu. Lene war sich gewiss, ihr Mann würde das Geld vertrinken. Tränen der Wut wischte sie mit ihrem Handrücken von ihren Wangen.

***


„Als er aber ins Gras biss, wussten alle, das wird nichts mit dem Begräbnis in geweihter Erde. Seine Sünden würde er für immer büßen müssen!“
Fisch-Paul senkte seine Stimme, auch den Kopf, der dadurch fast die Tischplatte berührte. Die anderen Männer hatten ebenfalls ihre Köpfe geduckt und lauschten. Dem Schuhmacher perlten dicke kalte Schweißtropfen über Stirn und Schläfen. Sein Atem ging schwer.
„So jung kommen wir nie wieder zusammen“, rief plötzlich Paul und hob das geschwitzte Schnapsglas. Sie knallten die Gläser aneinander und kippten mit schnellem Ruck den Kurzen in ihre Rüben.
„Da lag er nun“, die Stimme war wieder sanft geworden, „wälzte sich mit seinen Schmerzen in der frischen Erde des Grabhügels, den er aufgeschippt hatte. Seine schwarzen Fingernägel gruben sich in seine Brust, der Schlag unerträglich, bis sein letzter Atemzug verflog. Der Blick war starr gegen das Kreuz des Schmiedes gerichtet. Kein gehobener Schatz!“
Der Fischer sah nickend in die Runde der Kameraden.
„Später begrub man ihn. Den Sünder! Er fand keine Ruhe. Er sollte abwärts in den Schlund der Hölle fahren, aber wandelte zwischen den Welten. Und immer wieder wuchs aus dem Grab seine Hand, die der Gärtner mit der Sichel wie Unkraut abschlug. Aber sie trieb über Nacht nach, wuchs erneut und niemand wagte sich mehr in die Nähe seines Grabes, mit der Hand, die sich ähnlich einer Kralle himmelwärts reckte.“
„Ach du spinnst doch, du Sauhund!“, polterte der Maurergeselle los.
„Ja, ich sage es euch. Der war voller Sünde, hat sich an der Ziege vergangen, seine Frau geschlagen und hinterm Anger gehurt.“
„Die Pottsau ... dreckige, die Zicke? Bäh, so ein Mistschwein!“, säuselte der Schneider.
Karl wurde es mulmig, ´Frau geschlagen´ hallte es in ihm nach. Eine neue Runde Klaren brachte der Wirt. Die Gläschen schepperten kurz darauf. Man hörte ein grunzendes Schlucken, gefolgt von einem zischenden Ausatmen.
„Ja und dann ..., was wurde aus der Hand, die da aus dem Grab wuchs?“
„Seine Frau ging und hielt sie manchmal, wie zum Gruß." Der Bäckerbursche lachte.
„Tja, da gibt es nichts zu lachen!“
„Sie saß manche Stunde an seinem Grab und betete für ihn, möge seine gepeinigte Seele endlich Ruhe finden, hoffte sie. Das muss geholfen haben. Denn später erzählte die treue Witwe, dass die Hand nicht mehr aus dem Grab gewachsen war. Jedoch die Leute wussten, dass der Leibhaftige ihn geholt hatte, hinab in das ewige Fegefeuer. Schmoren muss er da, der sich an Frau und Vieh verging, der Sodomit.“
„Sodomit? Was das denn?“
„Na, einer der sein Vieh besteigt, du Depp!“
„Äh, pfui Deibel, diese Pottsau!“, murmelte erneut der Schneider.
Karl erschienen schreckliche Bilder von seiner blutenden Frau, wie sie da lag in der Zimmerecke und sich nicht bewegen konnte, wie sein GroĂźer am Bettdeckenzipfel kaute. Alle Groschen waren bis auf den einen in seiner braunen Hand verbraucht. Schnapsrunden waren daraus geworden.
„Und, meint ihr, der liegt nicht mehr in dem Grab?“, fragte der Bäckerbursche.
„Karl, du bist dran, deine Runde“, murmelte der Schneider.
„Nein, der liegt da nicht mehr, ist abgefahren in die tiefen Schlünde der Unterwelt!“, behauptete der Apotheker.
„So ein Quatsch!“, lachte Franz, der Eckensteher.
„Doch, doch, glaubt nur. Geh einer nachsehen, der Mut genug hat.“
„Sicher, ich geh da auf den Kirchhof und buddel´ den Sausack wieder aus. Dann stecken die mich ja gleich in den Turm“, sagte noch einer am Tisch.
„Na, muss ja nicht am helllichten Tag sein. Mach es jetzt.“
Alle hielten den Atem an, sahen wie auf Kommando durch das verschwommene Glas der Schenke in die Nacht. Der Mond leuchtete ĂĽber den Korbmacher-Weiden.
Eine Nacht, in der man gut sehen konnte. Auch die Schatten, die hinter Büsche und Bäume huschten.
„Ich zahle dem, der den Schädel vom alten Schmied bringt, den Inhalt dieses Geldbeutels. Das ist mir der Spaß wert!“ Der Apotheker warf ein klimperndes Säckchen auf den Tisch.
Karl bestellte die nächste Schnapsrunde mit seinem letzten Groschen und räusperte sich. „Ich mach´s!“, und legte seine schwielige Hand auf den Beutel.
Der Apotheker griff schnell zu, „Nun ... das Geld gibt es natürlich hinterher, aber pass auf, dass er dich nicht mit hinab zieht ...“, zischte er dicht an des Schuhmachers Ohr.
Fahrig wischte Karl sich den Schweiß von der Stirn. „Ich mach´s!“, echote er.
Die Schnapsgläser knallten klickend zusammen. Die Männer johlten durcheinander.
Karl stand auf, griff seinen Hut und stapfte mit schweren Schritten zur Tür. Dort drehte er sich um. Aus blassen Lippen flüsterte er, „Haltet mir das Geld bereit, ihr könnt die Prämie bezeugen.“

***


Auf dem Friedhof war nichts mehr vom Wirtshaus zu hören. Die Bäume bildeten einen unheimlichen Scherenschnitt am Horizont. Manchmal hörte Karl einen Uhu oder ein Käuzchen, die sendeten abwechselnd Warnrufe in die Nacht. Bei jedem Käuzchenschrei stirbt jemand in der Nachbarschaft, wusste Karl und dachte an Lene. Er sah sie, ihren Mund wie zum Schrei verkrampft.
Er verdrängte den bohrenden Gedanken; es würde schon nichts passiert sein. Mit dem Wettgewinn könnte er morgen zum Krämer gehen, weißes Mehl und Milch holen. Einen Spaten hatte er am Schuppen des Friedhofgärtners gefunden. Etwas krabbelte raschelnd hinter die Tongefäße, als er dort kramte. Das hatte ihm den Atem stocken lassen. Angst und Schrecken umklammerten seinen Brustkorb. Karl hörte seinen rasselnden Atem und schippte ein tiefes Loch an der Grabstelle des Verfluchten.
Nach Minuten harter Arbeit trat er auf morsches Holz, das brach ein. Sein Fuß steckte fest. Es knackte. Das Käuzchen schrie erneut.
Karl dachte an Abbrechen, fĂĽhlte sich beobachtet: Dort hinter dem Busch stand ein Schatten. Ein groĂźer hagerer Mann, der sich nicht rĂĽhrte, nur herĂĽber starrte.
„Komm raus, du Aas, wer bist du? Was soll der Scheiß?“
Der Mann bewegte sich nicht; doch nur ein junges Bäumchen hinter dem Busch?
Karl zog die erste Latte hoch, sie brach. Eine weitere und noch eine, dann stand er ganz im vermodernden Sarg, auf Knochen. Das fühlte er, wenn sie knackten. Er bückte sich. Etwas flog über die Grube. Ein Windhauch berührte seine nassen Haare. Karl bekam kaum Luft, musste sich strecken und tief einatmen. Sein Rücken war tropfnass geschwitzt, als wäre ein kaltfeuchtes Laken um ihn gewickelt.
Dann beugte er sich wieder, griff mit der Hand ins Dunkle, wo das Mondlicht sich nicht hinwagte, tastete durch loses Material. Eine fette Spinne huschte ihm ĂĽber die Hand. Karl wischte angewidert nach.
Er ertastete etwas kĂĽhles Festes und hob es gegen den Nachthimmel.
Die Hand!
Ein ausgestreckter Zeigefinger wies in die Nacht. Vor den Erdtrabanten schob sich in diesem Augenblick eine Wolke, als wolle der Mond das Grauen nicht sehen. Karl legte die Kralle auf den Rand der Grube. Die Luft fĂĽllte laut schnaufend seine LungenflĂĽgel.
Er tastete weiter. Etwas Rundes befingerte er und war erleichtert.
Der Kopf!
Den legte er behutsam wie einen Schatz neben der Hand ab. Ein Tauwurm wand sich aus der linken Augenhöhle. Karl schüttelte sich und wischte die Hände an seiner Schürze ab.
Mit einem lauten Ächzen, die Ellenbogen aufstemmend, rollte er aus der Grube. Nun musste er nur noch zuschaufeln und dann konnte er mit dem Gewinn nach Hause gehen. Die Männer würden ihn als Held feiern.
Das Zuscharren war fast geschafft. Er fiel auf die Knie, den Rest der Erde zusammenschiebend. Mit der RĂĽckseite des Spatenblattes klopfte er die Erde fest.
Den Blick auf Schädel und Hand fixiert, richtete er sich auf. Eigenartig, der knochige Zeigefinger wies direkt auf ihn.
Doch! Jemand hielt ihn. Er konnte sich nicht weiter aufrichten. An seiner Schusterschürze hielt ihn was mit festem Griff. Sein Herz krampfte. Er ließ die Hand nicht aus den Augen. Das Käuzchen schrie. Da kippte Karl um. Hinab!

***


Lene hatte die ganze Nacht auf Karl gewartet. War auf und ab gegangen. Hatte dem Husten ihres Ă„ltesten gelauscht.
Am Morgen klopfte es. Sie rannte zur TĂĽr, riss sie stĂĽrmisch auf. Der Wachtmeister! Er brummte.
„Lene, ich habe ´ne unerfreuliche Nachricht für euch. Was soll ich machen? Dein Karl hat auf dem Friedhof heute Nacht irgendwas ausgebuddelt. Vielleicht den Schatz gesucht, der da versteckt sein soll. Nun ist er nicht mehr, liegt bei uns in der Halle. Musst noch gucken kommen, wegen der Paragraphen. Vielleicht lag es daran, dass er seine Schürze eingegraben hat, ist an Herzschlag gestorben, hat der Amtsarzt gemeint. Und hier, sein Geld lag neben ihm. Also komm bis zum Mittag aufs Revier. Kopf hoch, Lene!“
Lene stopfte den Geldbeutel hinter den Vorstecker und stand noch eine Weile an der offenen TĂĽr.

©Bernd Kleber

Letzte Aktualisierung: 25.05.2010 - 10.27 Uhr
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