Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Zielgerade | Juni 2010
... sagt Opa
von Karl-Otto Kaminski

„Verdammt noch mal!“ Marcel schoss aus seinem Nachmittagsnickerchen hoch. „Wieso bekomme ich denn auf einmal nasse Füße?“ Seine Stimme hallte durch das riesige Gewölbe.
Hoch über ihm, außer Sichtweite, begann Jens zu lachen.
„Nasse Füße?“, spottete er. „Du spinnst! Diese Höhle kenne ich schon so lange. Hier hat es noch nie Wasser gegeben. Das sagt übrigens auch mein Opa, und der war noch viel öfter hier drin als ich. Herrlich feuchte, kühle Luft gab’s hier schon immer. Wasser niemals!“
Marcel konnte sich den überheblich heruntergezogenen Mundwinkel seines Kameraden gut vorstellen.
„Und warum habe ich auf einmal nasse Füße“, wollte er wissen.
„Wahrscheinlich hast du Schweißmauken“, mischte sich Kai, in den Diskurs. „Mir scheint, du wirst alt.“
„Oder du hast dir aus Versehen auf die Pfoten gepinkelt“, krähte Jens. Und dann lachten beide, bis es Marcel zuviel wurde.
„Jetzt haltet endlich die Schnauze! Ihr beide sitzt da oben hoch und trocken, aber hier unten dringt von irgendwoher Wasser herein. Ich komm jetzt lieber rauf zu euch.“
„Das war nicht abgemacht!“, versuchte Jens ihn zu stoppen. „Dein Bereich ist jetzt da unten. Schließlich hast du gestern den Krach angefangen. Und als du einsehen musstest, dass du im Unrecht warst, bist du freiwillig da runter gegangen. Also hast du hier oben nichts mehr zu suchen.“
Marcel schwieg. Das stimmte leider. Kai hatte unbedingt in die Echohöhle gewollt, Jens in die lebensgefährliche „Verbotene Halle“, ganz tief im Erdinneren. Er selbst interessierte sich mehr für die schmalen Spalten, die sich wie ein Spinnennetz durch die feuchten Felsen zogen. Im Streit um den weiteren Ablauf ihrer Forschungstour hatte er irgendwann den falschen Ton erwischt und dann, obwohl im Unrecht, beleidigt das Basislager verlassen. War von der oberen Plattform der Höhle nach unten gezogen.
Jetzt fühlte er, wie das Wasser allmählich an seinen Waden empor spülte.
„Lasst mich rauf zu euch, bitte!“, bat er. „Mir wird’s langsam unheimlich hier unten. Das Wasser geht mir schon bis an den Arsch.“
„Wasser, Wasser …“, spottete Jens wieder. „Du hast ja ’nen Vogel! Da ist doch nirgendwo Wasser. Du willst uns nur weich machen, damit wir dich wieder rauf lassen auf die noble obere Etage.“
„Wenn es da unten plötzlich so viel Wasser gibt, dann kannst du doch endlich schnell dein Seepferdchen machen“, stänkerte Kai.
„Quatsch!“ Marcels Stimme überschlug sich vor Ärger und beginnender Angst. „Lasst mich rauf! Vergessen wir doch den albernen Streit. Ich bin auch bereit mich zu entschuldigen.“
„Und warum tust du’s dann nicht schon mal?“, forderte Kai. „Wenn du erst eine Wasserleiche bist, kannst du es nämlich nicht mehr.“ Darauf lachten die beiden oben so laut, dass es durch die ganze Grotte hallte.
Marcel schwieg verärgert. Auch wenn seine Freunde auf dem hochgelegenen Podest es nicht sehen konnten, hier unten drang tatsächlich unaufhaltsam Wasser herein, und zwar immer schneller. Er schrie entsetzt auf, als eine plötzlich einsetzende Strömung an ihm zu zerren begann, versuchte mühsam sich an den Felsvorsprüngen festzuhalten, strampelte hektisch. Mit letzter Mühe schwang er sich schließlich auf die nächst höher gelegene trockene Klippe.
Einen Moment gönnte er sich Ruhe, um wieder zu Atem zu kommen. Aber ein Blick in die dämmerige Tiefe zeigte ihm, dass die Flut ständig weiter stieg. Sie würde ihn bald wieder erreichen. Darum kletterte er unter den höhnischen Sprüchen von Jens und Kai entschlossen die steilen Felsen zu ihnen hoch. Was kümmerte ihn der blöde Streit von gestern, was die Sticheleien der beiden? Schließlich ging es jetzt um sein Leben.
Die beiden Kameraden schauten dem Kletterer über den Rand ihres Felsplateaus zu. Ihre hämischen Sprüche versiegten allmählich. Denn nun hörten auch sie das bedrohliche Gurgeln und Schmatzen. Und jetzt sahen sie selbst, was in der riesigen Höhle geschah, in der sie sich so sicher geglaubt hatten. Da strömte tatsächlich Wasser herein, sehr viel Wasser. Und es stieg mit beängstigender Geschwindigkeit.
Marcel erklomm die von Kai und Jens vorhin noch als ihr eigenes Territorium proklamierte Plattform. Die beiden hatten nun keine Einwände mehr gegen sein Kommen, verlangten keine Entschuldigung. Sie schauten zunehmend beunruhigt hinunter auf den fürchterlichen Strom, der durch die finstere Unterwelt schoss. Die wirbelnden Fluten strudelten immer höher zu ihnen herauf.
„Rasch!“, rief Marcel ihnen zu. „Wir müssen hier raus, so schnell es geht, irgendwie nach oben.“
Die beiden Kameraden schüttelten nur mühsam ihre Angstlähmung ab.
„Da lang!“, schrie Jens heiser. „Dort müssen wir rauf, durch diesen Felskamin. Da geht es raus aus der Grotte, sagt Opa.“
„Na, dann beeilt euch!“ Marcel kroch eiligst voran in den schmalen Spalt. Die beiden Kameraden folgten ihm mit zitternden Beinen. An eine solche Gefahr hatten sie nicht im Traum gedacht, als sie hier ihr Forschungsabenteuer begannen, besonders Jens nicht, der sich angeblich hier auskannte.
Angstvoll hasteten sie den steilen, steinigen Schacht empor. Unter ihnen gluckerte und rauschte es bedrohlich. Allmählich wurde es vor ihnen heller. Jetzt sprühten von oben Tropfen auf sie herab. Draußen regnete es kräftig. Das also war der Grund für die Überflutung.
Mühsam wanden sich die drei Kletterer durch einen engen Spalt ins Freie, rannten eiligst über glatte Felsen auf eine riesige rote Bergwand zu, die senkrecht vor ihnen emporwuchs. Nur weg von der nassen Grotte und raus aus dem Wolkenbruch!
Am Fuß des gewaltigen Massivs fanden sie eine Stelle, die der Regen nicht erreichte. Sie atmeten erleichtert auf, schauten schaudernd zurück zur Öffnung des engen Kamins, durch den sie sich eben gerettet hatten.
Dort blubberte es höhnisch. Ein kleiner Wasserberg wölbte sich plötzlich auf, wurde rasch flacher und überschwemmte jetzt lautlos die Ebene, auf der die Drei sich ausruhten. Schon benetzte das Wasser ihre Füße.
„Wir müssen weiter!“, röchelte Kai. Seine Stimme versagte fast vor Grauen. „Das muss die Sintflut sein. Haben die Alten also doch nicht gesponnen. Es gibt sie! Jetzt kommt sie!“
„Quatsch!“, widersprach Jens. „So was wie eine Sintflut gibt es nicht, sagt Opa.“ Aber es klang nicht sehr überzeugend.
„Nichts wie weg hier! Weiter nach oben!“, befahl Marcel. „Wo geht’s denn hier rauf?“
„Hier rechts“, zeigte Jens auf die steile Felswand. „Da bin ich mal hoch, als ich noch ein kleiner Junge war. Oben gibt es eine trockene Höhle. Der Aufstieg ist zwar sehr beschwerlich, aber bis dahin ist noch nie das Wasser einer Flut gekommen, sagt Opa.“
„Sagt Opa, sagt Opa … Quatsch jetzt keine Opern!“ Marcel stürmte auf den Kletterpfad zu, gefolgt von den beiden Kameraden. Er begann entschlossen, sich hoch zu hangeln. Doch schon bald war der Weg an einem der überhängenden roten Felsen zuende.
„Jetzt nach links!“, rief ihm Jens zu. „Über das schmale graue Band bis zur nächsten Biegung. Dann sofort wieder rechts hoch.“
Marcel bog links ab, seine Freunde ihm nach. Ein kurzer Pfad brachte sie zu der Stelle, wo es wieder steil nach oben ging. Mühsam quälten die drei sich nach oben.
„Verdammt noch mal, ist das steil!“, fluchte Marcel.
„Nun wieder rechts!“, kam die Anweisung von Jens, der kurz hinter ihm kroch. „Bis zum nächsten Aufstieg. Dort drüben links hoch.“


Es tat gut, ein paar Schritte waagerecht zu tun, nicht zu klettern. Aber die Freude war nur kurz. Schon kam die besagte Biegung, und wieder ging es senkrecht bergauf.
So hasteten die Kameraden im Zickzack den anstrengenden Weg nach oben, bis ihnen fast die Glieder versagten. Kurze steile Aufstiege zwischen senkrechten roten Felsen wechselten rasch mit waagerechten grauen Pfaden. Wären diese schmalen Bänder zwischen den mörderischen Steilstücken nicht gewesen, hätten sie es sicher nicht geschafft. Diese Passagen erlaubten es ihnen immer wieder, sich ein paar Sekunden auszuruhen. Sie bemühten sich, dabei nicht auf die drohende Wasserfläche unter ihnen zu schauen.
Plötzlich rief Jens dem vorauskletternden Marcel zu: „So! Jetzt nur noch rechts, über den schmalen Grat da vorn, und dann nichts wie rein in den sichern Unterschlupf!“
Eine Höhle öffnete sich im Gestein, kaum zwölf Körperlängen vor ihnen. Kai begann vor Erleichterung, allerdings reichlich kurzatmig, zu singen: „Jetzt hamwers, jetzt hamwers, jetzt hamwers gleich geschafft …“
Da unterbrach ein grässliches, überlautes Geräusch seinen Gesang.
„Kjack, kjack!“, schallte es dröhnend durch den Regen, lähmte für Sekunden sein Hörvermögen. Ein riesiger flatternder Schatten schluckte vorübergehend das Licht.
„Kjack!“
Panik erfasste Marcel und Kai. Fast hätten sie sich fallen lassen, ungeachtet der tödlichen Fluten unter ihnen. Doch Jens rief ihnen zu: „Festhalten, Kameraden! Keine Angst! Klettert unbeirrt weiter! Das ist nur Kjack. Der wohnt hier irgendwo auf den roten Felsen, aber viel weiter oben. Sicher ist er nur gekommen, um sich vorzustellen. Dazu singt er nämlich immer seinen Namen, sagt Opa.“
„Keine Angst! Das sagst du so“, japste Kai, der so rasch zu den beiden aufschloss, wie seine vierzehn zitternden Beine es vermochten. „Dieses Geräusch soll Gesang sein? Und wenn der uns nun angreift? So ein riesiges Biest.“
„Du olle Bangbüx! Kjack ist eine Dohle“, beruhigte Jens seinen Freund und schubste ihn eiligst hinter Marcel in die rettende Höhle. „Und Dohlen essen keine Kellerasseln. Sagt Opa.“

Letzte Aktualisierung: 14.06.2010 - 21.18 Uhr
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