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Chef | Juli 2010
Fehl am Platz
von Susanne Ruitenberg

Sie kam aus dem Büro gestürmt, Gewitter im Blick. „Wo ist der Schrieb von Maier-Reisen mit der Gruppenbestätigung, den Sie mir bringen sollten? Muss ich alles alleine machen?“
Meine Rezeption liegt direkt gegenĂĽber. Logisch, dass es mich immer zuerst trifft
Ich beendete mein Telefongespräch mit Kim von Herz-Travels und hob den Blick. Frau Wulf stand wie ein Racheengel vor meiner Theke, die Hände in die Hüften gestemmt. Ihr umfangreicher Vorbau bebte und drohte, jeden Moment aus seinem dafür vorgesehenen Behältnis zu hüpfen und auf der Glasplatte zu landen.
„Sie haben den Brief in die Buchhaltung mitgenommen. Soweit ich mich erinnere, wollten Sie ihn auf DIN A3 kopieren und dort an die Wand hängen. Damit die Rechnung diesmal korrekt ausgestellt wird.“ Ich lächelte meine Chefin zuckersüß an.
Sie schnaubte und machte auf dem Absatz kehrt. Ihr holzperlenbesetztes Mannschaftszelt – vulgo „Kleid“ aus einem Big-Queens-Laden – veranstaltete ein Klimperkonzert.
Reno, unser Hausdiener, kämpfte gegen einen Lachanfall an und schaffte es gerade noch, sein Tablett abzustellen, ohne die Gäste mit Latte Macchiato und Friesen-Eistee zu duschen. Mit dem abgezeichneten Bon in der Hand kam er zu mir.
„Cora, Cora. Hast du keine Angst, wenn du solche flapsigen Bemerkungen machst? Hier, Zimmer fünf.“
Ich nahm den Bon entgegen. „Ach, ein Ironie-Radar ist bei der nicht vorhanden.“
Ein Kind raste, vom Terrassenpool kommend, mit nassen Füßen durch den Eingangsbereich und die Treppe hoch. Reno quiekte wie ein Mädchen beim Anblick einer Maus und huschte davon, um einen Lappen zu holen.
Ich bückte mich nach meiner Sprayflasche mit Essigwasser und entfernte den Fingerabdruck, den er auf meiner Glastheke hinterlassen hatte. Noch so eine Marotte von Madame. Sie ist der personifizierte Putzfimmel. Jedem Fliegenschiss, jedem Wasserfleck wird erbarmungslos der Garaus gemacht. Dass man ein Ferienhotel mit glänzenden Bodenfliesen und die Rezeption, auf die sich gelegentlich sonnencremetriefende Gäste lehnen, mit einer türkisfarbenen Glasplatte ausstattet, muss wohl unter „dumm gelaufen“ verbucht werden.
Sagte ich schon, dass Madame sich mit dem „Seeblick“ einen Traum erfüllt hat? Sie, die als Innenarchitektin immer die fragwürdigsten Geschmäcker ihrer Auftraggeber hatte bedienen müssen, wollte einmal im Leben freie Hand bei der Gestaltung haben. Das perfekte Ferienhotel, direkt am Strand von – das verschweige ich lieber. Jedenfalls an der malerischen Ostseeküste gelegen. Schön und gut. Leider hat sie sich dabei nicht beraten lassen, nicht einmal von ihrem Mann, der vom Fach ist. Und ihre diversen Fehlplanungen sind erst nach der Eröffnung peu à peu ans Licht gekommen: Kaum Zimmer mit getrennten Betten (die Kukident-Geschwader aus den Reisebussen gucken blöd, wenn sie das sehen). Die Rezeption hat sie nur auf Optik geplant – Ausstattung Fehlanzeige. Bevor wir das Reservierungsprogramm bekamen, mussten wir mit Bleistift und Lineal einen Raumplan auf den Zeichenblock pinseln. Damit die Spätschicht wenigstens wusste, dass die Frühschicht ein Zimmer vermietet hatte. Sonst hätten wir am Ende Badewannenszenen wie bei Loriot live und in Farbe gehabt. Peinlich!
Ach ja, und unsere Kasse war ein DIN A5-Umschlag.
Braun, ohne Fenster.

In den nächsten Minuten nahm mich die Anreise der Familie P. in Beschlag. Zwei Doppelzimmer, zwei Wochen Halbpension. Die Zimmer waren nicht fertig, also brachte ich die P.’s an die Bar, ließ ihnen ein Getränk servieren und ihr Gepäck in den Stauraum bringen.
Kaum war ich wieder an meinem Platz, baute sich eine wohlbekannte Furie vor der Theke auf.
„Cora, warum haben Sie der Großfamilie Getränke aufs Haus serviert? Ist heute Feiertag?“
„Die Herrschaften hatten eine lange Anreise. Die Zimmer sind in Arbeit.“
„Wenn die Gäste so früh eintrudeln, müssen sie damit rechnen. Wir sind kein Wohlfahrtsverein.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, stĂĽrmte sie in ihr BĂĽro zurĂĽck.

Ich tauschte mit Anja, unserer Hausdame, ein verschwörerisches Grinsen. Ein weiteres Kapitel der Endlosgeschichte ‚Frau W. und das Hotelwesen, zwei nicht kompatible Welten begegnen sich.’
Ich habe in Hotels der verschiedensten Kategorien gearbeitet, lasche und strenge, fähige und chaotische Direktionen erlebt. Aber eine solche Inkompetenz, gepaart mit mangelnder Menschenkenntnis, ist mir noch nie untergekommen. Wir sind in der zweiten Saison und müssen uns am Markt etablieren.
Eine Familie, die für drei Wochen teuer bezahlten Urlaub anreist, lasse ich nicht auf den Koffern warten, auch wenn laut Prospekt die Zimmer ab vierzehn Uhr beziehbar sind. Meine Gäste sollen sich bei mir wohlfühlen. Der geringe Wareneinsatz am Anfang rechnet sich schnell.
Sie ist geizig, ungerecht gegenüber ihrem Personal, unhöflich zu den Gästen. Die sie auch schon mal anpflaumt, wenn sie mit sandigen Schuhen über ihre kostbaren Glanzfliesen laufen.
Als Innenarchitektin mag sie gut gewesen sein, aber fĂĽr die Gastronomie ist sie so geeignet wie eine Kuh zum Eiskunstlauf. Sie will nicht begreifen, dass man erst investieren muss, um nachher mehr einzunehmen.
Als ich letztes Jahr hier anfing, wunderte es mich, dass Jörn, ihr Mann, sich aus allem heraushielt. Und das, obwohl ihm das Haus de facto gehört, seine Eltern hatten hier eine Pension.
Er hat auf fünf Kontinenten die nobelsten Häuser geführt; gesehen haben sich die Eheleute nur sporadisch. (Nebenbei bemerkt, er wird gewusst haben, warum.)
Jetzt, mit Anfang Fünfzig, wollten sie mit diesem gemeinsamen Projekt dem Vagabundendasein ein Ende bereiten. Aber er hat nie etwas gesagt gegen ihre Spleens. Wenn sie ausrastete, stand er still lächelnd im Hintergrund. Keiner von uns verstand, was in seinem Kopf vorging. Erst dieses Jahr Ostern, als wir zur zweiten Saison ... bevor ich den Gedanken weiter spinnen konnte, erschienen die Eheleute A. und M. zum Bezahlen.

Hat es Ihnen gefallen?
...so leckeres Essen, tolle Weinkarte ...
... Servicepersonal sehr kompetent und ...
... danke fĂĽr Ihre Empfehlungen fĂĽr die AusflĂĽge, die wir ...
... nehmen ein paar Prospekte mit, unseren Freunden K. wĂĽrde es hier sicher gefallen...
... Vielen Dank, gebe ich gerne weiter. Ich wĂĽnsche Ihnen eine gute Heimfahrt.


Zum Schluss reichte mir Herr A. einen Umschlag. „Für die Kaffeekasse.“
Ich bedankte mich artig und wartete, bis sie abgefahren waren, dann erst schaute ich hinein. Der Umschlag enthielt fünfzig Euro und einen zweiten Umschlag. Der war beschriftet mit „Nur für die Rezeptionisten“. Nanu? Mit dem Fingernagel schlitzte ich ihn auf. Einhundert Euro kamen zum Vorschein, mit einem Brieflein daran: „Weil Sie es ständig abbekommen und unter dieser Verrückten am meisten zu leiden haben. Können Sie das Hotel nicht übernehmen? Frau W. wird es ruinieren!
Familien A. und M.“
Innerlich grinsend, versteckte ich den Umschlag in unserer Kruschelschublade. Uns wird schon einfallen, wie wir das Geld nützlich anlegen können!
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, Ostern. Der Gedanke zog meine Mundwinkel zu den Ohren. In dem Augenblick kam Madame aus dem Büro. „Was grinsen Sie so dämlich? Haben Sie wieder von meinem sauer verdienten Geld Gäste umsonst durchgefüttert?“
Dumm nur, dass Herr P. gerade aus der Bar spazierte und das WC ansteuerte. Seine Kinnlade klappte fast bis zum Boden hinunter. Entgeistert starrte er den breiten RĂĽcken von Frau Wulf an.
„Wie sieht es denn hier aus?“, schrie sie unvermittelt, und machte sich an den Prospekten zu schaffen. Ups, ich hatte vergessen, sie nach der Abreise wieder vorschriftsmäßig mit einem millimetergenauen Abstand aufzufächern.
Ich zwinkerte Herrn P. zu, der sich endlich traute, seinen Weg fortzusetzen. In dem Moment betrat Jörn mit einem dicken Umschlag in der Hand das Hotel.
Ich sah ihn fragend an.
Er nickte.
Zog seine Gattin mit den Worten „Komm mit, ich hab dir was Wichtiges zu sagen“ ins Büro.
Schloss die TĂĽr ab.
Es dauerte nicht lang, und man hörte Kreischen und Toben.
Zum Glück trudelten wenig später die G.’s aus Stuttgart ein; drei quicklebendige Kinder, sie waren letztes Jahr schon bei uns, und übertönten die Geräusche aus dem Büro.
Ich ließ das Gepäck hinaufbringen und geleitete die Familie zur Bar. „Tony, bewach mal bitte meine Rezeption.“
Der Barmann nickte und ging nach vorne.
„Noch einmal, herzlich Willkommen, liebe Familie G. Ich hoffe, dass Sie sich wieder genau so wohlfühlen werden wie im letzten Jahr. Was darf es sein?“
Während ich mit den Getränken hantierte, trat Jörn zu mir und strich mir kurz über die Schulter. Ich nickte, nahm das Tablett auf und trug es zum Tisch der Familie. „Hier bitteschön. Geht aufs Haus. Ach ja, und ich muss Ihnen eine Neuerung mitteilen.
Die Chefin bin ab heute ich.“
Alle anwesenden Gäste brachen in spontanen Applaus aus.

Letzte Aktualisierung: 27.07.2010 - 12.11 Uhr
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