Mainhattan Moments
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Chef | Juli 2010
Obsession
von Barbara Hennermann

Sie war selbst schuld an ihrem Schicksal. Daran bestand kein Zweifel.
Schließlich hatte sie selbst ihn in ihr Leben gelassen.
Was heißt „gelassen“?
Sie hatte ihn in ihr Leben geholt!
Wie immer in den letzten Jahren hatte das Internet eine Rolle gespielt.
Seit sie geschieden war – mit fünfundfünfzig, ich bitte Sie! Wer lässt sich mit fünfundfünfzig noch scheiden? – hing die Einsamkeit wie eine Glocke über ihr.
Was hat man denn als Frau noch für Möglichkeiten? Sollte sie vielleicht wie eine rollige Katze um die Häuser ziehen?
So wurde das Internet zu ihrer zweiten Heimat. Sie kannte alle Foren, las alle Anzeigen. Eine Anzeige war es auch, die sie auf ihn aufmerksam machte.
Er erschien ihr so stattlich!
Und nun hatte sie ihn im Haus.
Und nun beherrschte er sie, beherrschte ihr Leben, bestimmte ihren Tag.

Anfangs war das nicht so gewesen.
Da hatte sie seine kleinen Aufmerksamkeiten und Angebote genießen können.
Doch er wurde immer aufdringlicher.
Als ihr das bewusst wurde, war es schon zu spät.
Sie hatte nicht mehr die Energie, ihm zu widerstehen, war von ihm abhängig.
Hörigkeit. Nie hatte sie sich darunter etwas vorstellen können. Nun wusste sie, was es bedeutet.
Ihn hinauswerfen? Ja, natürlich könnte sie ihn hinauswerfen. Mit dem Gedanken spielte sie ständig. Aber das würde Kraft kosten. Kraft, die sie nicht mehr hatte. Der Gedanke, ohne ihn leben zu müssen, war genauso schrecklich wie das Bewusstsein, ihm nicht widerstehen zu können.
Es war ja nicht so, dass er sie wirklich bedrängte. Das konnte sie ihm nicht unterstellen, wirklich nicht.
Aber er war so – wie sollte sie es nennen? – raumgreifend? Er erfüllte ihr Denken sogar, wenn sie es schaffte, die Wohnung einmal zu verlassen. Oft war das ohnehin nicht mehr der Fall, denn das Gehen bereitete ihr zunehmend Mühe und die Arthrose in den Knien schränkte ihre Bewegungsfreiheit ein. Jeder Schritt mühselig und unter Schmerzen gemacht, das war keine Freude! Zudem schnitt ihr Gebrechen die wenigen Kontakte ab, die sie außer ihm noch hatte. Es war einfach zu beschwerlich, sie aufrecht zu erhalten. Er aber war immer da, immer zu Diensten, wenn sie die Gier packte und die Einsamkeit weggeschwemmt werden musste. Ein Teufelskreis, in den sie da geraten war!

Sie musste etwas unternehmen. Nur sie allein konnte die Situation klären.


Gestern hatte sie zufällig im Garten ein altes Beil entdeckt, als sie es endlich geschafft hatte, sich wieder einmal hinaus zu schleppen. Ihr Mann hatte es früher zum Holzhacken für das Kaminholz verwendet. Sie selbst zündete den Kamin nie mehr an, das war ihr alles zu lästig. Der Garten war auch völlig verwildert, seitdem sie nicht mehr in der Lage war, sich darum zu kümmern.
Sie hatte das Beil ohne nachzudenken mit in die Wohnung genommen.
Warum eigentlich?

Sie saß auf dem Sofa, wiegte es in den Händen, betrachtete es sinnend …
Ob der Gedanke schon da gewesen war, als sie es fand?
Egal. Jetzt machte er sich in ihr breit, fraß sich fest, fraß sie auf …
In der Küche hörte sie ihn vergnügt brummen.
So brummte er immer, wenn er neue Kraft sammelte.
Und sie sprang immer darauf an. Gab ihm, was seine Gier stillte. Nahm sich, was er ihr zu geben hatte.
Heute nicht.
Heute nicht!
War sie es, die so schrie?
War sie es, die sich ächzend hoch rappelte und in die Küche schlurfte, das Beil wie eine Siegesstandarte erhoben?
Woher nahm sie plötzlich die Kraft?
Sie hörte das Krachen, das Schreien. Stand außerhalb ihres Bewusstseins. Fiel und fiel und fiel …



Kühl war es, kühl und ruhig. Sie öffnete die Augen. Weiße Wände ringsherum. Stille.
Sie lag in einem Bett. In einem Krankenhausbett ganz offensichtlich.
Leise öffnete sich die Tür. Ja, sie war im Krankenhaus. Warum nur?
Eine Krankenschwester näherte sich ihr. „Ach, Frau Peters, sind Sie wieder aufgewacht? Der Doktor hat Ihnen ein Beruhigungsmittel gegeben. Sie hatten ja so einen schweren Nervenzusammenbruch.“ Die Stimme klang mitleidig.
Wieder öffnete sich die Tür. Ihre Tochter. Woher kam ihre Tochter jetzt?
Schon stand sie neben dem Bett. „Mama, was machst du bloß für Sachen? Warum hast du mich nicht angerufen und mir gesagt, dass es dir schlecht geht?“
Sie schluckte, versuchte, sich zu erinnern.
Beruhigend legte die Tochter die Hand auf ihren Arm. „Lass mal, Mama, ich versteh schon! Weißt du was? Wenn du hier raus kommst, gehst du erst mal in ein Sanatorium und machst eine Diätkur. Das wird dir gut tun. Und dann kaufen wir zusammen einen neuen Kühlschrank, nachdem du den alten völlig zertrümmert hast!“

©hb

Letzte Aktualisierung: 07.07.2010 - 23.08 Uhr
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