Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Chef | Juli 2010
Suchen Sie sich ihren Chef aus!
von Eva Fischer

Sie nimmt den grauen Hosenanzug aus dem Schrank. Auch klassische Hosenanzüge veralten nach acht Jahren. Grau ist nicht mehr gefragt. Die Hosenbeine sind jetzt enger geschnitten. Die Jacken sind wieder länger geworden.
Aber sie hat keine Wahl. Es ist das beste Kleidungsstück, das sie in ihrem Schrank hat.
Die Pumps, die sie dazu anzieht, sind auch nicht mehr modern. Sie sind schwarz, rund, mit klobigen Blockabsätzen, keine verführerischen high heels.
Mit dreiundfünfzig Jahren ist es zu spät. Wen kann sie noch verführen? Sechzigjährige?
Aber sie hat noch eine Chance. Heute.
Sie nimmt die S-Bahn und fährt zum Fernsehstudio. Obwohl sie sich sorgfältig geschminkt hat, wird sie nachgepudert. „Wir wollen doch nicht, dass Sie wie eine Fettschwarte glänzen“, sagt die Frau launig, und lässt sie zu einer Maske erstarren.
Und dann betritt sie die Bühne, denkt an frühere Zeiten, als der Hosenanzug ihre zweite Haut war, als sie auf den Pumps so sicher wie auf einem Laufsteg ging. Catwalk, nennt man es mittlerweile. Als sie ihren Chef mit einem Lächeln becircen konnte. Damals.
Der Moderator schüttelt ihr jovial die Hand. „Willkommen im Studio, Frau Winter! Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer einmaligen Chance. Aus tausend Nummern wurden Sie ausgelost. Sie können heute nach Hause gehen und sagen: ’Ja, ich habe es geschafft’, und alle werden Sie glühend beneiden. Sie haben unsere Sendung schon gesehen, nehme ich an, und kennen unsere Regeln?“
Eine rhetorische Frage, natürlich kennt sie die Sendung.
„Dann darf ich Sie bitten, sich kurz unserem Publikum vorzustellen.“
„Ich heiße Julia Winter, bin dreiundfünfzig Jahre alt und seit acht Jahren arbeitslos.“
Mehr interessiert euch doch eh nicht, denkt sie, aber der Moderator hakt noch nach.
„In welcher Branche haben Sie früher gearbeitet?“
„ In einem pharmazeutischen Betrieb.“
„Und warum wurden Sie arbeitslos?“
Jetzt soll sie möglichst auf die Tränendrüse drücken, wurde ihr gesagt. Das kommt beim Publikum gut an.
„Unsere Firma wurde von einem schwedischen Unternehmen übernommen. Das bedeutete, dass Stellen gestrichen wurden. Unsere Filiale musste ganz geschlossen werden, obwohl wir hervorragende Arbeit bei der Entwicklung eines Produktes gegen Parkinson leisteten. Das Know-how wurde an die Schweden weitergegeben, und wir gingen leer aus.“
Mein Chef war damals achtundfünfzig und ihm kam die Sache ganz recht, denkt sie. Aber ich war fünfundvierzig, zu früh, um in Rente zu gehen und zu spät, um auf dem Arbeitsmarkt neu anzufangen.
„Frau Winter“ - wäre sie jünger würde er jetzt sicherlich Julia sagen – „ Sie werden nun drei Personen kennen lernen, denen Sie jeweils drei Fragen stellen dürfen, die mit ja oder nein beantwortet werden können. Natürlich ist das Thema Beruf tabu. Einer der drei Personen ist ein Chef und an Ihrer Arbeit interessiert. Wenn Sie erraten, wer hier der Chef ist, haben Sie einen sicheren Job bis zu ihrer Rente. Ich wünsche Ihnen viel Glück und das Publikum bitte ich um einen kräftigen Applaus für unsere Kandidatin und unseren ersten Gast.“
Er betritt die Bühne mit großen Schritten. Seine Füße stecken in Turnschuhen, seine langen Beine in Jeans. Er mag wohl dreißig Jahre alt sein. Sein Lächeln wirkt sympathisch, nicht aufgesetzt wie aus einem Reklamespot. So sieht kein Chef aus, denkt sie.
Erste Frage: „Sind Sie verheiratet?“ - „Nein.“
„Schade, dass ich schon dreiundfünfzig bin.“ (Gelächter)
Zweite Frage: „ Interessieren Sie sich für Fußball?“ – „Ja.“
„Hm, dann müsste ich das auch. Das wäre eine neue Herausforderung für mich.“
Dritte Frage: „Geben Sie gern Geld aus?“ - „Nein.“
„Dann fürchte ich, dass mein Gehalt auch nicht sehr hoch sein wird.“
Warum hat sie nicht eher daran gedacht? Das hier ist eine Mogelpackung. Job, ja, aber von der Höhe des Lohns war keine Rede. Der Chef sucht sie genauso wie sie ihn, wurde ihr gesagt, aber vielleicht als Putze. Eine Hartz IV-Empfängerin hat sich mit allem abzufinden, denkt sie bitter.
Da kommt unter Applaus bereits die zweite Person auf die Bühne.
Es ist eine Frau. Sie dürfte ihr Alter haben. Ihr Outfit ist natürlich modern, und sie strahlt das Selbstbewusstsein aus, das Julia in acht Jahren Arbeitslosigkeit abhanden gekommen ist. An ihrem Ringfinger funkelt ein goldener Ring.
Erste Frage. „Haben Sie Kinder?“ – „Nein.“
Klar, Karriere und Kinder sind schwer unter einen Hut zu bringen, wenn man nicht gerade Frau von der Leyen heißt.
Zweite Frage: „Treffen Sie sich in Ihrer Freizeit mit Freunden?“ – „Nein.“
Keine Freizeit oder keine Freunde?
„Keine weiteren Fragen.“
Die Fragerei erscheint ihr plötzlich so irrsinnig wie die Gäste. Will sie wirklich diese Schnepfe als Chefin? Wären wir zwei Hündinnen, würden sich unsere Nackenhaare sträuben und wahrscheinlich gingen wir uns über kurz oder lang an die Gurgel, denkt sie.
„Begrüßen Sie unseren letzten Gast!“, fordert der Moderator das Publikum auf.
Ein älterer Herr betritt die Bühne. Er trägt einen Anzug und eine Krawatte. Seine Haare sind weiß und glatt, länger als jetzt üblich. Vermutlich war er früher blond. Er zwinkert ihr freundlich zu.
Das könnte mein ehemaliger Chef sein, denkt sie.
Erste Frage: „Wie alt sind Sie?“
„Das verstößt gegen unsere Spielregeln, Frau Winter. Ihre Frage muss mit ja oder nein beantwortet werden können.“
Zweite Frage: „Sind Sie sechzig?“ – „Nein.“
Dritte Frage: „Sind Sie über sechzig?“ – „Nein.“
„Nun, Frau Winter, schauen Sie sich unsere Gäste noch einmal genau an. Einer von ihnen kann ihr Chef werden und Sie aus Ihrer deprimierenden Langzeitarbeitslosigkeit befreien. Also, überlegen Sie gut! Die Zeit läuft.“
Es herrscht gespannte Stille im Saal, die durch ein Ticken durchbrochen wird.
Julias Blicke wandern von einem zum anderen der möglichen Chefanwärter.
Mit wem würde sie gern zusammenarbeiten? Der junge Mann könnte ihr Sohn sein. Die Frau in ihrem Alter ist ihr spontan unsympathisch. Der ältere Herr öffnet alte Wunden, die sie geheilt glaubte. Blind hatte sie ihm einst vertraut. Er nahm die Abfindung und zog sich in sein nobles Eigenheim zurück. Ihre Dienste waren nicht mehr gefragt. Für sie blieb der Abstieg in eine Einzimmerwohnung.
Das Ticken verstummt.
„Nun, Frau Winter, haben Sie sich entschieden?“ –„Ja.“
„ Ich kann mir die Zusammenarbeit mit keinem der hier vorgestellten Gäste vorstellen.“
Ungläubiges Raunen wogt durch das Publikum. Der Moderator schaut sie an, als wolle er sagen, „die Unterstützung ist noch viel zu hoch, wenn sie den Hochmut der Arbeitslosen nicht brechen kann“.
Hocherhobenen Hauptes tritt sie von der Bühne ab.
Zu Hause angekommen, zieht sie Hosenanzug und Pumps aus und stopft beides in einen blauen Sack, den sie in dem nah gelegenen Container entsorgt.

„Was nun, Julia?“, fragt sie sich.
„Soll ich David, dem künftigen Medizinstudenten aus der Nachbarschaft Nachhilfe in Chemie geben?
Oder lege ich meinem ehemaligen Chef eine Bombe vor seine Nobelvilla?“
Eines weiß sie gewiss.
Sie braucht keinen Chef mehr.

Letzte Aktualisierung: 02.07.2010 - 23.06 Uhr
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