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Chef | Juli 2010
Familiengeheimnisse
von Robert Poleschny



Die Großmutter schaute über den Brillenrand in das Gesicht ihrer Enkeltochter Marie.
„So, meine Kleine. Hör nun gut zu. Diese Geschichte handelt von zwei Liebenden ...“


Tom zog seinen Hut noch tiefer ins Gesicht. Dann hechtete er zum nächsten Hauseingang, um im Schutz der Dunkelheit inne zu halten. Die Nacht war sein einziger Verbündeter, da sie die Stille und Leere versprach, die der Tag nicht gewährleisten konnte. Angespannt lauschte er in das Schwarz, das ihn umgab. Hatte er Schritte gehört? Er zwang sich zur Ruhe, musste einen kühlen Kopf bewahren.
Sein Herz hämmerte in seiner Brust.
Gleich würde er seine Geliebte in den Armen halten.
Als er vor der Tür stand, schaute er ein letztes Mal die Straße hinunter und klopfte dreimal an, so wie er es mit Olivia verabredet hatte. Sofort öffnete sich quietschend die Tür, als hätte Olivia dahinter gewartet. Tom schlüpfte durch den Spalt ins Innere.
Kerzenlicht verlieh dem Raum eine behagliche Atmosphäre.
Tom faszinierte der Einfallsreichtum seiner Geliebten.
Selbst diese Lagerhalle hatte sich unter ihren Händen zu einem gemütlichen, fast bewohnbaren Ort verwandelt. Lediglich der Fischgeruch hing noch in der Luft.
„Hat dich jemand verfolgt?“ Olivias Stimme klang ängstlich. Sie knabberte an ihrer Unterlippe.
Tom versuchte, sie zu beruhigen.
„Mach dir keine Sorgen. Niemand hat etwas bemerkt.“
Olivia schaute Tom sehnsüchtig in die Augen. Dann seufzte sie.
„Wie lange müssen wir dieses Versteckspiel noch spielen? Wie lange kann das noch gut gehen? Sie werden dahinterkommen. Das sagt mir mein Gefühl. Und dann …?“
Sie sprach nicht weiter, da Beide wussten, was geschehen würde.
Tom nahm Olivia in den Arm und küsste ihre Stirn.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß es leider nicht.“



Die Tür flog auf und Giovanni kam in das Büro seines Bosses gestürzt.
Dieser stand vor dem Spiegel und zupfte seine Krawatte zurecht. Ungeduldig wippte Giovanni mit dem Fuß. Dann räusperte er sich. Er konnte es kaum erwarten, seinem Erzrivalen Tom eins auszuwischen. Schließlich hätte er, Giovanni, die rechte Hand des Bosses sein sollen und nicht Tom. Dies war eine einmalige Gelegenheit in der Familia aufzusteigen.
„Was ist?“, grollte die Stimme aus El Pasos Mund. Er stand noch immer zum Spiegel gewandt und betrachtete Giovannis Abbild mit finsterem Blick. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand unangemeldet sein Büro betrat. Er ging aber davon aus, dass es etwas Wichtiges sein musste.
„Es geht um deinen Auftrag. Ich habe erfreuliche“, dann räusperte er sich erneut, „äh, genau genommen eher unerfreuliche Nachrichten für dich.“
El Paso drehte sich um.
„Erzähl schon. Was treibt Tom hinter meinem Rücken?“
Giovanni zögerte, da er den Moment auskosten wollte. Er wollte das Gesicht seines Bosses entgleiten sehen.
„Du hast richtig vermutet.“ Giovanni machte einen Schritt auf El Paso zu.
„Diese Schlampe hat Tom total den Kopf verdreht. Der Kerl ist blind vor Liebe.“
El Paso schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie:
„Ich habe es geahnt!“
Aufgeregt lief er durch den Raum und raufte sich die noch wenig vorhandenen Haare.
„Ich kann nicht zulassen, dass dieser Idiot kurz vor dem entscheidenden Tag unsere Lebensaufgabe zerstört, nur wegen eines dahergelaufenen Weibes. Ich muss die Ehre des Clans aufrecht erhalten.“
Er blieb stehen und schaute Giovanni tief in die Augen.
„Niemand wird den Namen unserer Familie beschmutzen. Ich werde dafür sorgen!“
Damit drehte er sich zum Fenster und starrte hinaus.
Ein Grinsen machte sich auf Giovannis Gesicht breit, da er ahnte, was El Paso tun würde.



Spät am Abend kam Tom nach Hause. Als er das Wohnzimmer betrat, sah er jemanden in seinem Sessel sitzen. El Paso. Toms Herz fing an zu rasen. Schweiß drang aus allen Poren.
„Schön, dass du mich nicht so lange hast warten lassen.“
El Pasos Stimme klang ruhig.
„Was machst du hier?“, fragte Tom mit gespielter Heiterkeit. Sein Gefühl sagte ihm jedoch, dass El Paso Bescheid wusste.
„Ich hoffe, das wirst du mir gleich sagen.“ El Paso erhob sich aus dem Sessel und ging näher an Tom heran. Dieser versuchte die Situation abzuwägen und sah ein, dass es an der Zeit war, die Wahrheit auf den Tisch zu legen.
„Bitte verstehe doch. Ich liebe sie über alles. Warum kann sie nicht ein Teil der Familie werden?“
El Paso warf den Kopf nach hinten und lachte laut.
„Sie gehört nicht zu uns. Begreifst du das nicht? Es steht so geschrieben. Was sollen die anderen von uns denken? Wir haben einen Ruf zu wahren.“
Er packte Tom an den Schultern und schüttelte ihn. Seine Stimme klang nun rau und ernst.
„Du musst es beenden. Wenn nicht, bist du verantwortlich, für das, was geschieht.“
Tom wusste, was das bedeutete.
„Unseren Ruf wahren? Ich pfeife auf unseren Ruf.“
Er ging zum Fenster. Er kannte El Paso und seine Vorgehensweisen. Allein schon deshalb musste er Olivia ziehen lassen. Nach mehreren Minuten des Schweigens drehte er sich um und sah El Paso ins Gesicht.
„Gut, du hast gewonnen. Ich werde es Olivia zuliebe tun. Aber glaube nicht, dass ich dir das jemals verzeihen werde. Und jetzt geh!“
Tom schritt zur Tür, öffnete sie und bedeute El Paso, seine Wohnung zu verlassen.
„Verliere keine Zeit. Noch heute wirst du ihr von deinem Entschluss erzählen. Und komme nicht auf die Idee, zu verschwinden. Du weißt, dass wir dich finden.“
El Pasos letzter Satz traf Tom tief in seinem Herzen. Er schmiss die Tür hinter seinem Boss zu.



„Ich habe es befürchtet.“
Tränen liefen über Olivias Wangen.
„Lieber würde ich sterben, als ein Leben ohne dich zu führen.“
Tom streichelte zärtlich ihr Haar und wog sie sanft in seinen Armen.
„Sag das nicht. Das darfst du nicht einmal denken!“
Er schaute Olivia ins Gesicht und musste weinen.
„Es tut mir leid. So unendlich leid.“
Olivia hob den Kopf. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann stand sie auf.
„Ich werde mich ein wenig frisch machen und dann überlegen wir gemeinsam, was wir tun können.“
Sie ging ins Bad und schloss die Tür …



Tom saß auf dem Bett und lauschte dem Rauschen der Dusche. Er dachte über Olivias Worte nach. Gab es doch noch einen Ausweg für sie?
„Vielleicht sollte ich noch mal mit El Paso reden! Er und ich waren vorhin so aufgebracht. Jetzt, wo sich unsere Gemüter beruhigt haben, ...“
Als keine Reaktion aus dem Bad kam, ging Tom zur Tür und klopfte erst leise, dann energischer. Keine Reaktion.
Voller Entsetzen stürmte er hinein und fand das, was er befürchtet hatte. Nichts. Olivia war nicht da. Das Fenster war weit geöffnet und ein Zettel lag vor ihm auf dem Boden.

Mein liebster Tom.
Es tut mir leid, aber ich muss es tun. Für uns.
Ich liebe dich und werde dich bis über den Tod hinaus lieben.

Deine Olivia


Tom ließ den Zettel fallen und rannte so schnell er konnte zu dem Ort, an dem er Olivia vermutete. Zu El Paso.
Olivias Worte klangen in seinem Ohr:
Lieber würde ich sterben, als ein Leben ohne dich zu führen.
Er hoffte, dass es noch nicht zu spät war.



Als Tom am Hause El Pasos ankam, hörte er einen Schuss. Er hastete die Treppe hinauf und stürmte in dessen Büro.
Vor ihm, in einer Blutlache, lag Olivia. Tom stand im Türrahmen und starrte auf das entsetzliche Bild.
„Ich konnte nicht anders. Sie kam wie eine Besessene hier herein und hatte eine Waffe auf El Paso gerichtet!“
Tom hob den Kopf. Giovanni stand abseits und hielt noch immer die rauchende Waffe in der Hand. Tom verließ mit gesenktem Kopf den Raum. Er hatte nichts weiter zu sagen. Nur noch ein Gedanke beherrschte ihn. Er wollte nicht mehr Teil dieser Familie sein.



Die gesamte Familie stand aufgeregt vor dem Anwesen.
Niemanden schien zu interessieren, was drei Tage vorher geschehen war. Nur Tom trauerte um seine geliebte Olivia.
Er schaute aus dem Fenster und beobachtete das bunte Treiben unter sich.
Er hasste sie alle. Und ihre Verlogenheit.
Mit angewidertem Gesicht drehte er sich um und ging zu seinem Schreibtisch.
Für das, was sie ihm angetan hatten, gab es keine Entschuldigung, keine Erklärung, keine Wiedergutmachung. Sie alle würden bezahlen. Tom öffnete eine Schublade und nahm ein kleines Fläschchen heraus. Dann entfernte er den Korken und leerte den Inhalt mit einem Schluck. Er würde ihnen das Wichtigste nehmen, genau so, wie sie es bei ihm getan hatten.
Anschließend ging er hinunter und gesellte sich zu den Anderen.
„Da bist du ja. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.“
El Paso legte die Hand um Toms Schulter.
„Nun lass den Kopf nicht hängen. Heute ist unser großer Tag.“
Tom nickte nur und stieg in den Wagen.



„Und was ist dann passiert? Was war denn in dem Fläschchen?“
Marie saß mit weit aufgerissenen Augen da.
„Tja. Tom war so unglücklich, dass er sich entschied, Olivia in den Tod zu folgen. Jedoch nicht, ohne den Anderen seiner ‚Familie’ eins auszuwischen.
Marie schaute ihre Großmutter verwundert an.
„Wie meinst du das? Was genau hat Tom getan?“
Die Großmutter lächelte.
„Alle sind in die Küche des Hotels Buffalo in New York gebracht worden. Das Gift, das Tom zu sich nahm, wirkte nicht sofort. Also hatte er genug Zeit, den Ort seiner Bestimmung zu erreichen.
Ein gewisser Victor Seydoux servierte dort seinen selbst kreierten Chefsalat. Mit Tomaten, Käse, Gurken, Eiern und Schinken. Als der Salat gereicht wurde, gab es einen Salatteller, auf dem eine faulige, runzelige Tomate lag ... Tom.
Dieser wurde reklamiert, was an sich nicht so schlimm gewesen wäre, wenn es sich bei dem Gast nicht um einen angesehenen Restaurantkritiker gehandelt hätte.“
Marie nickte. Sie verstand. Tom hatte es also geschafft, allen Anderen in der Familie den großen Auftritt zu vermiesen. Sein letzter Racheakt, für die verbotene Liebe zwischen ihm und Olivia. Dann lächelte sie.
„Die Geschichte war gut. Die solltest du aufschreiben. Ich habe richtig Appetit bekommen.“
Damit sprang sie auf und rannte in die Küche. Aus der Ferne rief sie ihrer Großmutter zu:
„Wir können doch trotzdem Oliven in unseren Chefsalat machen, oder? In Gedenken an Olivia!“
Die Großmutter lächelte. Maries Mutter hatte die Wette verloren. Von wegen, Marie würde nie und nimmer ‚dieses Grünzeug’ essen.

Letzte Aktualisierung: 25.07.2010 - 21.29 Uhr
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