Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Chef | Juli 2010
Wer ist der Größte im ganzen Land?
von Angela Schlenker

Am späten Vormittag näherte sich der Chef seinem Wirkungskreis. Die Frühlingssonne schien milde, doch er sah sie nicht, stattdessen war er vertieft in die Lektüre der Tageszeitung, wobei er speziell dem Wirtschaftsteil besondere Aufmerksamkeit schenkte. Soziales interessierte ihn genauso wenig wie Sport und Kulturelles war nur sporadisch von Belang. Nach dem sorgfältigen Studium der Börse würde er allenfalls der Politik noch seine werte Aufmerksamkeit zuwenden. Aufgrund dieses morgendlichen Rituals war sein Chauffeur gehalten eher langsam dem Ziel entgegen zu steuern. Allerdings hielt das mächtige, cremefarbene Fahrzeug der obersten Oberklasse den Verkehr auch nicht gerade auf. Vor dem hochaufragenden Gebäude aus Stahl und Glas stoppte das Auto sanft, der Chauffeur stieg beflissen aus, eilte um das Auto und öffnete mit einer Verbeugung die Tür. Woraufhin dem Fahrzeug die füllige Gestalt des Chefs entstieg. Gekleidet war dieser wie immer in einen maßgeschneiderten Anzug, der in gewissem Maße seinen dicken Bauch zu kaschieren vermochte. Gemessen schritt er durch das Glasportal, welches ihm der Portier aufhielt.
In der obersten Etage war die Sekretärin schon bei der Arbeit, natürlich unterbrach sie diese auf der Stelle, um Kaffee und Gebäck zu servieren. Sie erhielt dafür eine mechanisches „Danke“, welches kaum so gemeint war, dachte der Chef doch, dass er sie für diese Zwecke ausreichend bezahle, wobei „ausreichend“ so wenig wie möglich bedeutete. Die Zeiten waren schlecht und froh sollte jeder sein, der überhaupt einen Arbeitsplatz hatte.
Am gleichen Tag in der Savanne am Affenfelsen. Dieser bestand zwar nur aus Gestein und keineswegs aus Glas und Stahl, weswegen seine Oberfläche aber auch nicht kalt und abweisend daherkam, sondern einladend aufgelockert das geschätzte Heim eines kleinen Trupps Mantelpaviane darstellte. Hier war der Chef schon erheblich früher auf den Beinen. Und er beäugte den aufgehenden glutroten Ball am Horizont durchaus, auch wenn dieser ihn nicht übermäßig interessierte. Eher von Belang dagegen wäre sich auftürmendes Gewölk gewesen. Heute jedoch gab es kein Zeichen für eine Wetterkatastrophe, auf das man hätte rechtzeitig reagieren müssen. So stand der Chef gelassen auf einem herausragenden Felsen, sein langes, dichtes, silbergraues Fell wehte in einer leichten Brise. Er stand auf allen Vieren, den Schwanz in die Höhe gereckt, den Kopf nach vorn. Auch ohne Worte war klar, was ausgedrückt werden sollte:
„Mein Land! Mein Felsen! Meine Herde!“
Er benötigte weder Angeberauto, noch bedeckten maßgeschneiderte Anzüge seine Gestalt, im Gegenteil alle sollten seine imponierende Figur betrachten, an der außer Muskeln kein Gramm zuviel war. Für seine Hofhaltung erhielt er aller Aufmerksamkeit, wenn auch niemandes Kotau. Zur Demonstration seines Führungsanspruches gehörte auch der ein wenig staksige Gang, mit dem er nun den Felsen hinab stolzierte. Damit war das allmorgendliche Ritual beendet, alles widmete sich fortan dem Nahrungserwerb. Der erste Gang bestand aus Pflanzenteilen, gleich ob Blätter, Früchte oder Knollen. Gegen eine Anreicherung aus Insekten hatte jedoch keiner etwas einzuwenden. Niemand servierte dem Chef, dennoch standen ihm die besten Leckerbissen zu. Mit dem Recht des Stärkeren trieb er jeden von besonderen Funden weg.
Im Menschenreich machte sich die Gattin des Chefs ausgehfertig, sie wollte den Fitnessclub aufsuchen und dies mitnichten der Figur wegen, sondern es hatte sich mit dem Trainer eine ganz besondere Form der körperlichen Ertüchtigung ergeben.
Die Affenfrauen dagegen waren recht zufrieden mit ihrem starken Chef, als Vater für den Nachwuchs kam nur der Stärkste in Frage. Ähnliche Überlegungen trieben zwar immer auch Menschenfrauen an, denn Geld machte eben sexy. Aber nicht auf lange Zeit, dann gingen Macht und körperliche Anziehungskraft nur selten konform. Darum hatte der Trainer auch in diesem Fall ein leichtes Spiel.
Hin und wieder ereignete sich so ein Fehltritt sogar im kleinen Affentrupp. Ob hier oder da, in jedem Fall war dabei Heimlichkeit angesagt. Denn wehe, die Chose flog auf! Immerhin besaß der Affenmann Würde und Anstand genug, die Dinge in eigener Person wieder auf die Reihe zu bringen. Insbesondere wenn er wusste die betreffende Frau näherte sich gerade ihrer fruchtbaren Phase, flogen die Fetzen und der unterlegene Mann tat gut daran, eine Unterwerfungsgeste nach der anderen zu vollführen. Danach kehrte aber in kurzer Zeit wieder Ruhe ein und über der Affenhorde herrschte erneut eitel Sonnenschein.
Der bis eben ahnungslose Menschenchef hingegen wusste nicht, was zu tun war, als ihm aus einem Umschlag ohne Absender die kompromittierenden Photos entgegen purzelten. Er kam gar nicht auf die Idee, etwa das Fitnessstudio aufzusuchen und den Nebenbuhler zur Rede zu stellen. Dieser Kraftprotz würde ihm glatt ins Gesicht lachen, zumal diesem das besch... Studio auch noch gehörte. Er griff zum Telephon und bestellte einen Privatdetektiv, um mögliche Schwachstellen des Rivalen auszuspähen. Die dunklen Wolken über seinem Haupt würden sich so schnell nicht verziehen.
Damit hatte der Ärger für den Chef aber beileibe noch kein Ende gefunden, war dieser doch gezwungen festzustellen, dass auch seine Firma ausgespäht wurde, eine feindliche Übernahme drohte. Beim Angriff immerhin glich er dem Affenchef, er beorderte seine Manager zu sich.
Allerdings musste der Affenchef im Augenblick der Gefahr derartige Hilfe nicht großartig anfordern, die Zusammenarbeit klappte von allein. Rechtzeitig hatte der Chef den anschleichenden Leoparden erblickt. Mit entblößten Eckhauern, Kampfschreie ausstoßend, rannte Affenboss ihm entgegen und baute sich zwischen dem bedrohten Jungtier und der gefleckten Gefahr auf. Ihm zur Seite standen unverzüglich alle Männchen seines Trupps. Die große Katze wusste, sie hatte schon verloren. Unverletzt würde sie einen Kampf nicht überstehen, wäre sie aber verletzt, wer würde dann für ihre Babys sorgen? Sie zog sich knurrend zurück und die Affenfrauen waren einmal mehr sehr zufrieden mit ihrem siegreichen Chef. Er bekam anschließend die höchste Aufmerksamkeit beim sozialen Lausen, doch auch seine Helfer gingen bei dieser Art der Kontaktpflege nicht leer aus.
Die Menschenfrau wusste von den Schwierigkeiten ihres Gatten nichts, denn er erzählte zu Hause nie etwas. Die Schöne war für ihn nur ein weiteres Aushängeschild und er hielt sie geistig für nicht besonders rege. So gab sie nur das Geld aus und es mangelte an gegenseitiger Achtung.
Abends gab es im Glaspalast noch einen kleinen Empfang, Sekt, Wein, Schnittchen, Smalltalk. Der Chef überspielte den Ärger des Tages, verflogen war dieser deshalb noch lange nicht, sondern die Schwächsten der Schwachen mussten ihn ausbaden. Solange Gäste anwesend waren, gab der Chef sich charmant, kaum aber waren diese enteilt, wurde er garstig. Eine der aufräumenden Angestellten steckte sich ein paar übriggebliebene Schnittchen ein. Leider wurde dies gesehen und am anderen Morgen erhielt sie wegen Diebstahls die Kündigung. Big Boss hatte die Schnittchen bezahlt, sie gehörten ihm und aßen er und seine Gäste sie nicht, gehörten sie in den Müll! War er etwa für den Luxus seiner Angestellten zuständig?
Ganz ohne Niedertracht aber kamen auch die Affen nicht aus. Dem Chef standen, wie erwähnt, die leckersten Bissen zu. Er nahm sie sich und sei es aus dem Mund der Schwächeren. Auch beim Nahrungserwerb also waren Heimlichkeiten durchaus angesagt. Dennoch, die Affen schliefen am Ende des Tages wieder dicht gedrängt in sozialer Eintracht, dem Menschenchef aber war seine Unzufriedenheit kein angenehmes Ruhekissen.

Letzte Aktualisierung: 06.07.2010 - 10.12 Uhr
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