Der himmelblaue Schmengeling
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Chef | Juli 2010
Gianni und Oreste
von Farida e Gianpaolo

Oreste knallte die schwere gusseiserne Pfanne auf das flackernde Herdfeuer. Er kochte vor Wut.

Der neue Polizist aus dem Nebenort hatte ihm den Wagen doch tatsächlich beschlagnahmt, nur weil er seinen Führerschein nicht dahei hatte. Dabei hätte es genügt, sich per Funk zu erkundigen und jeder hätte ihm bezeugen können, dass er, Oreste, bekanntester Chefkoch der Provinz, einen Führerschein besaß.

Als die Pfanne bereits zu rauchen begann, goss Oreste das grüngoldene Olivenöl hinein und warf die zerkleinerte Chilischote hinterher.

Gerade heute musste das passieren, wo es keinen Taxifahrer aufzutreiben gab. Er hatte versucht, einen verfügbaren Fahrer telefonisch zu erreichen. Auf zwei Anschlüssen ertönte das Freizeichen, aber niemand hob ab. Beim dritten Versuch antwortete eine gehetzte Stimme. Der Besitzer, der sich als Antonio meldete, erklärte ihm klipp und klar, dass er sich bis zum Ende der Fussball-Partie nicht mehr vom Bildschirm fortbewegen würde. „ Ist schließlich die Weltmeisterschaft!“, schickte er entschuldigend hinterher.

...Mist! – Oreste verlangte lautstark nach Gianni, dem Küchenjungen, der beflissen das Holzbrett voller frischer, gehackter Petersilie und Knoblauch auf Orestes Arbeitsplatz deponierte und sogleich wieder verschwand.

Er, Oreste, hatte vier Kilometer auf der staubigen Landstraße zurücklegen müssen, um zu seinem Restaurant zu gelangen. Die Gefahr, angefahren zu werden, derer sich Fußgänger auf solchen Straßen aussetzen, war heut´ kein Thema. Es kam schlicht und einfach niemand vorbei, den er hätte um eine Mitfahrgelegenheit bitten können. Die Straße war und blieb ausgestorben. Alle klebten vor dem Fernseher, um dieses verdammte Spiel zu sehen!

Gianni eilte durch die große Küche, in der emsiges Treiben herrschte. Er schätzte seinen Chef, den renommierten Küchenchef Oreste, und bewunderte ihn aufrichtig. Oreste hatte ihm Vieles beigebracht, wovon auf der Schule nie gesprochen wurde. Er lehrte ihn die Geheimnisse der hervorragenden Küche. Er hatte ihm beigebracht, dass er nur die frischesten und ursprünglichsten Zutaten verwenden durfte. Er hatte ihn gelehrt, dass die Tomaten und das Basilikum aus seiner Tantes Garten, die ihr Gemüse nur mit biologischem Dünger behandelte, ein umermessliches Potential in sich trugen, um einen unvergleichlichen „Sugo“ herzustellen. Und er war es, der ihn in das Geheimnis einweihte, dass die Hauptzutaten eines meisterhaften Gerichtes die Leidenschaft, die Aufmerksamkeit und die Liebe waren, mit der es bereitet wurde.

Gianni hatte seinem Lehrmeister zugesehen und aus seinen gekonnten Handgriffen herausgelesen, was Oreste ihm da zu vermitteln versuchte: Das, was seinen Schöpfungen das gewisse Etwas einhauchte. Oreste hatte von subtilen Energien gesprochen, die der Koch seinem Essen einflößt. Er hatte ihm geraten, nie schlechtgelaunt zu kochen, weil es sich auf Geschmack und Bekömmlichkeit der Speisen nachteilig auswirkt.

Gianni holte die Muscheln aus dem großen Spülbecken. Er hatte sie zur Reinigung einige Stunden in Salzwasser gelegt. Nach Anweisungen Orestes hatte er jede einzeln geprüft und jede geringfügig geöffnete Muschel penibel aussortiert. Jede hatte er einzeln gebürstet und sie leicht über den Beckenrand geschabt, um mit Hilfe des Klanges festzustellen, ob die darin verborgene Meeresfrucht wirklich vollkommen tadellos war. Oreste hatte ihm eingeschärft, sie mit größter Sorgfalt zu behandeln. „Vergiss nie, dass es lebende Wesen sind“, hatte Oreste ihm bewusst gemacht. „Wenn du sie lieblos behandelst und sie mit Angst und Schrecken erfüllst, darfst du nicht erwarten, ein ausgezeichnetes Gericht daraus zu kochen“.

Gianni kehrte mit der Schüssel Muscheln zum Herd seines Chefs zurück. Oreste nahm sie wortlos, aber mit einer energischen Geste, an. Er warf die Mollusken mit den Schalen, von denen jede ihre vollkommen einzigartige Maserung aufwies, wütend in die Pfanne. Dann gab er einen guten Schuss weißen Weines dazu und knallte den gläsernen Deckel darauf. Einige Minuten später hatten sich alle Muscheln geöffnet. Er entfernte den Deckel und begann das Gericht mit seinen famosen Würfen zu vermengen. Dazu nahm er den Schwung aus dem Handgelenk und die Muscheln flogen in die Höhe, wobei sie ihren Duft verströmten.

Gianni beobachtete ihn dabei und kämpfte mit sich, ob er Oreste darauf aufmerksam machen sollte, dass die Zorneswoge, die dort über die Muschelpfanne rollte, die falsche Zutat sei. Ob die Kräuter und Muscheln, die er selbst zuvor so sorgfältig vorbereitet hatte, den Mangel ausgleichen würden, fragte er sich. Andernfalls musste das Gericht mittlerweile geradezu vergiftet sein, denn Oreste wetterte noch immer ungebärdig.

Nun müsse er sich am folgenden Tag darum kümmern, den Wagen wieder zurückzubekommen. „Reine Schikane war das!“, grollte er.“Nur weil der diensthabende Polizist die „Partita“ nicht sehen konnte, während seine Kollegen sich alle vor dem Fernseher lümmelten“.

Wem würde Oreste diese „Spaghetti alle vongole“ heute vorsetzen? Nur einem Feind! Aber Oreste war, wie Gianni wusste, kein böser Mensch. Der stolze Oreste würde ein solches Gericht nicht einmal dem Polizisten auftischen, den er noch immer mit Beschimpfungen bedachte, vermutete Gianni.

Ganz plötzlich trafen sich ihre Blicke. Gianni hatte das unbestimmte Gefühl, dass Oreste in seinen Gedanken las.

Als Oreste die Muscheln wutschnaubend durch die Luft wirbeln ließ, begegnete ihm der erwartungsvoll-fragende Blick seines Lehrlings, der gelehrigste und jüngste Schüler, den er je gehabt hatte. Als ihn der Blick traf, spürte er einen heftig stechenden Schmerz im Handgelenk.

Es dröhnte, als die Pfanne auf den Küchenfußboden donnerte, die Muscheln heraussprangen und die Sauce spritzte.

Einen Augenblick standen beide fassungslos vor Orestes Herd. Dann wandte sich Oreste zum Gehen, drehte sich nochmals nach Gianni um und befahl in beherrschtem Ton:“Lass den Schlamassel wegbringen,...bitte! Gib mir zehn Minuten Zeit. Ich trinke erst einmal ein Glas Wasser, dann beginnen wir von vorne... und dann zeigst d u mir, was du kannst!“

Letzte Aktualisierung: 30.06.2010 - 21.51 Uhr
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