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Chef | Juli 2010

Sekretärinnengipfel
von Gisela Reuter

Unser Chef hat zum alljährlichen Sekretärinnengipfel eingeladen, und mit dieser Einladung habe ich mal wieder das alljährliche Kleiderproblem am Hals. Das kleine Schwarze scheidet, wie immer, wegen Nichtvorhandensein aus. Und selbst im Falle des Vorhandenseins würde ich garantiert nicht mehr hineinpassen, da mir meine Taille in den letzten Monaten auf unerklärliche Art und Weise abhanden gekommen ist.

Das zweite Problem besteht darin, dass ich, wie bereits in den Vorjahren, keine Idee habe, was ich als Anstandsgeschenk mitnehmen soll.
„Schenke ihm doch eins von deinen selbst genähten Brokatkissen“, schlägt meine Freundin Astrid grinsend vor, und ich überlege ernsthaft, ihr für diese Bemerkung die Freundschaft zu kündigen. Kein Brokatkissen für die weiße hochmoderne Ledercouch meines Chefs. Damit würde ich mich selbst ins Aus kicken, denn, und nun kommt Problem Nummer drei, man munkelt, dass die Chefsekretärin noch in diesem Jahr in den Vorruhestand gehen wird.
Chefsekretärin, Vorzimmerdame – diese Worte klingen wie Musik in meinen Ohren. Ebenso wie das Geklimper der Euros, die mit der Gehaltserhöhung für diesen Job verbunden sind.

Man tuschelt hinter vorgehaltener Hand, dass der Chef bei der Auswahl der Nachfolgerin seine Gattin mitentscheiden lassen wird. Also diesmal nicht das lockere unbeschwerte Geplauder beim Grillabend im Garten des Chefs. Und keine Freizeitkleidung. Nein, adrettes Auftreten wird gefragt sein. Keine Patzer und kein Glas Rotwein zu viel. Am besten gar keinen Alkohol.

Astrids Designer-Kostüm, das sie mir freundlicherweise ausgeliehen hat, zwickt ein wenig in der Hüftgegend, und ich darf auf keinen Fall Schritte machen, die länger als zwanzig Zentimeter sind. Ich bete, dass ich es mit dem ungewohnten Kleidungsstück Rock und mit meinen neuen hochhackigen Schuhen einigermaßen unfallfrei durch die Diele bis in den Garten schaffe.
Das Mitbringsel, in Form eines riesigen Blumenkübels, versperrt mir leider die Sicht auf etwaige Stolperfallen, und so trete ich bereits kurz hinter der Türschwelle dem heimischen Dackel auf den Schwanz. Der jault auf und schnappt nach meinen Waden. Panisch halte ich mit meinen Stöckelschuhen dagegen. Mein Chef schmeißt sich dazwischen und seine Gattin wirft mir einen Blick zu, den ich in etwa so deute, dass ich bei einem weiteren Vergehen den Vorzimmersessel noch nicht einmal aus der Ferne betrachten dürfe.
Der Hund wird von Frauchen in den Garten getragen, und ich stelze kleinlaut hinterher. Um weiteres Unglück zu vermeiden, nehme ich eilig neben der Noch-Vorzimmerdame Platz.

Vier weitere potenzielle Kandidatinnen trudeln ein. Sabinchen, unsere Auszubildende, ist gepierct und außerdem zu jung und zu unerfahren. Die Meyer-Gebauer ist zu alt und hat neulich beim Ausparken den Wagen des Chefs gerammt. Bleiben also noch zwei ernst zu nehmende Konkurrentinnen übrig. Und ich.
Eine Gehaltserhöhung käme mir gerade recht. Und die Berufsbezeichnung ‚Vorzimmerdame’ hat was. Ich will den Job. Und zwar schnellstmöglich.
Ich mache meiner Vorgängerin eifrig ein Kompliment über ihre neue Frisur, in der Hoffnung, dass sie mich für ihre Nachfolge empfiehlt. Anschließend lobe ich lautstark den überaus gepflegten Garten, was mich aber nicht wesentlich weiterbringt, da der Chef gerade im Keller ist, um Getränke zu holen und seine Frau dem Geplapper vom gepiercten Sabinchen lauscht.

Das angebotene Glas Weißherbst lehne ich dankend ab und begnüge mich mit Mineralwasser. Das wird Eindruck schinden. Wir prosten uns fröhlich zu und der Chef heizt den Grill an. Die Frau Gemahlin wird gerade intensiv von meinen Kolleginnen in Beschlag genommen, also bleibt mir nichts anderes übrig, als mich an den Dackel ranzumachen. Der starrt mich zwar böse an, aber ich schaue tapfer zurück und beobachte aus dem Augenwinkel meine Mitstreiterinnen. Alle wissen um die frei werdende Stelle, und jede versucht, sich ins rechte Licht zu rücken. Die Frau Gemahlin wird mit Lobhudeleien überschüttet und sonnt sich in der ungewohnten Aufmerksamkeit.
Meine Vorgängerin belächelt das auffällige Getue und zwinkert mir zu. Ich zwinkere zurück und beschließe, mich nicht weiter am Lobgehudel zu beteiligen. Mittlerweile finde ich den Weg über den Dackel wesentlich wirkungsvoller. Immerhin hat der Chef ein Foto von ihm auf dem Schreibtisch stehen.

Unbeobachtet lasse ich einen Brocken Fleisch unter den Tisch fallen. Der Dackel nimmt sogleich die Witterung auf. Während alle wie aus einem Munde überschwänglich die leckeren Grillwürste loben, fällt das nächste Stück. Der dritte Happen rutscht mir versehentlich auf den Rock. Er hinterlässt einen schäbigen Fettfleck, aber das wird Astrid mir verzeihen. Immerhin habe ich diese Aktion für einen guten Zweck gestartet.
An meinen Schienbeinen spüre ich den heißen, gierigen Hunde-Atem, und ein leises Schmatzen sagt mir, dass ich erfolgreich bin.
Ein halbes Kotelett sowie drei Viertel einer Grillwurst wandern häppchenweise in unbeobachteten Augenblicken zu Boden und ich bin mir sicher, dass ich einen neuen Freund gefunden habe. Er sitzt dicht bei meinen Füßen und stupst mich mit der feuchten Schnauze an, wenn er Nachschub möchte. Und ich lasse mich nicht lumpen.
„Sie haben aber einen gesegneten Appetit“, freut sich der Chef, strahlt mich an und legt mir ahnungslos das zweite Kotelett auf den Teller. Ich bedanke mich artig und strahle zurück.
Sollte ich den Vorzimmerjob bekommen, könnte ich mir vorstellen, ebenfalls ein Foto des verzehrfreudigen Teckels aufzustellen. Als Dankeschön, sozusagen.

Mittlerweile sitzt der Hund auf meinem Schoß und lässt sich von mir zwischen den Ohren kraulen. Mein Chef strahlt noch mehr als vorhin bei dem Kotelett und bemerkt nebenbei, dass er bislang noch gar nicht gewusst habe, wie tierfreundlich ich sei.
Meine Konkurrentinnen verstummen neidisch. Ich lehne mich siegessicher zurück. Der Dackel bleibt tapfer auf meinem Schoß liegen, und ich kraule mir die Finger wund.
„Was ich noch sagen wollte“, meldet sich der Herr des Hauses zu Wort, „bitte verfüttern Sie keine Grill-Reste an den Hund. Er verträgt die Gewürze nicht.“
Scheiße. Hätte ich mir eigentlich denken können. Welcher Hund verträgt schon Grillgewürze? Ich erstarre in der Kraulbewegung und fühle, wie mir mein gesamtes Blut in den Kopf steigt. Im Hundebauch beginnt es verdächtig zu grummeln. Ich reiche den Hund vorsichtshalber an die Kollegin Meyer-Gebauer weiter, die bereits neidisch zu mir herüberschielt. Sie strahlt mich dankbar an, und ich bete, dass der Dackel sich nicht auf ihrem Schoß erbricht. Der scheint aber keine Lust auf weitere Streicheleinheiten zu haben. Er macht einen Satz auf die Terrassenfliesen und schleicht ins Haus. Und ich hoffe, dass er dort unbemerkt seine Magen-Darm-Geschichte auskuriert.

Die blondierte Resi haut sich derweil ihr drittes Würstchen rein und brabbelt mit vollem Mund, daff der Hund ein fönes Fell hat. Und daff daff heuke eine föne Paati ifft. Au backe. Dämlicher geht’s nicht. Der Chef runzelt die Stirn. Die Kolleginnen grinsen. Aus für Resi. Vorzimmerdamen sprechen nicht mit vollem Mund. Meine Chancen werden größer.

Man ist wieder ins Gespräch über das nette hiesige Anwesen vertieft, und ich habe die geniale Idee, mal eben die leeren Teller in die Küche zu bringen, was mir ein anerkennendes Lächeln der Hausherrin einbringt und mich obendrein in der Diele die unverdaute Bratwurst des heimischen Dackels entdecken lässt. Glück muss der Mensch haben. Ich unterdrücke mein aufsteigendes Ekelgefühl und wische mit den gebrauchten Servietten das Unglück weg. Als ich gerade fertig bin, erscheint mein Chef und bittet mich, Sektgläser nach draußen zu bringen. Aha. Meine Stunde scheint gekommen. Sekt verheißt eine Ankündigung, die gefeiert werden will. Ich jubiliere innerlich. Ich werde zur Nachfolgerin ernannt, da bin ich mir sicher.

„Liebe Kolleginnen“, hebt unser Chef an. Augenblicklich verstummt jegliches Geplapper. Nur der Rasenmäher vom übernächsten Garten übertönt mit dezentem Knattern die Stille. „Ich freue mich, Ihnen heute eine Mitteilung machen zu können, die Sie sicherlich sehr überraschen wird.“ Überraschen? Ich vergesse vor lauter Aufregung zu atmen. Er wird doch nicht am Ende das gepiercte Sabinchen auf den heiß begehrten Vorzimmerbürostuhl hieven wollen? Oder die erblondete Resi? ‚Forfimmer Doktor Fröter, waff kann iff für Fie fun?’, höre ich sie im Geiste mit einem Sesam-Knäckebrot im Mund nuscheln.
Alle Augen starren auf den Chef, der eine künstlerische Pause einlegt, bevor er Luft holt, um endlich die Katze aus dem Sack zu lassen. Ich will diese Katze sein. Ich muss diese Katze sein. Ich habe mir vom Chefdackel Astrids Kostüm vollhaaren lassen und das Geschirr weggeräumt. Ich habe Hundekotze weggewischt. Und keinen Alkohol getrunken. Ich war immer pünktlich im Büro. Und überhaupt. Ich habe die besten Voraussetzungen. Jawohl!
Doch dieser Ignorant scheint das nicht zu würdigen.

Die Gläser klirren. Mein Selbstbewusstsein macht sich auf und davon.
Sabinchen ist hochrot angelaufen, friemelt aufgeregt an einem ihrer zahlreichen Ohrstecker herum und stottert eine dilettantische Dankesrede herunter.
Wir anderen gratulieren höflich.
Meine Welt ist im Begriff, zusammenzubrechen.
Aus.
Vorbei.
Piercing im Vorzimmer.
Wie peinlich.
Aber klar, Auszubildende sind die billigsten Arbeitskräfte.
Mein Selbstbewusstsein liegt irgendwo unter der Grasnarbe, und ich überlege ernsthaft, bei der nächsten Gelegenheit meinen Chef mit einem Brokatkissen zu ersticken.

Noch während der Dackel mit seinen rumorenden Innereien auf die Terrasse geschlichen kommt, höre ich meinen Chef etwas von einer zusätzlich zu besetzenden Stelle reden.
Und plötzlich bin ich wieder ganz Ohr.
Mein Selbstbewusstsein auch.
Das Wort Assistentin fällt.
Und gleich hintendrein mein Name.
Die Kolleginnen staunen.
Und der Hund würgt.
Mein Selbstbewusstsein kommt zu mir zurück.
Welch Glück.
Denn dorthin, wo es gerade noch lag, erbricht der Hund die letzte Wurst.



© 2010, Gisela Reuter

Letzte Aktualisierung: 22.07.2010 - 21.14 Uhr
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