Wellensang
Wellensang
Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Johanna Sibera IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Urlaub | August 2010
Ein Urlaubsmärchen
von Johanna Sibera

Etliche Jahre ist es schon her, da lebte ein junger Mann in einem Land mit sanften Tälern und sauberen Flüssen, wogenden Feldern und tiefen Wäldern, mit gemütlichen Dörfern und betriebsamen Städten. Deutschland ward dies Land genannt. Er liebte seine Heimat, aber er reiste auch gerne durch die Fremde und mochte es über alle Maßen, andere Länder zu besuchen. Und wenn er so unterwegs war, da stellte er sich vor, wie wunderbar es wäre, eine Gefährtin an seiner Seite zu haben, der er die Schönheiten dieser Welt zeigen könnte. Immer heftiger und drängender wurde dieser Wunsch, bis er schließlich des Alleinseins so überdrüssig war, dass er ein Mädchen freite, welches er noch gar nicht lange kannte. Sie war eine Schönheit, von hohem Wuchs, mit ebenholzschwarzen Haaren und dunklen Augen, einer Haut wie Milch und Blut und dem stolzen Gang einer Königin. Dieses wundervolle Geschöpf hieß Elena und für den jungen Mann – nennen wir ihn Robert – war es Liebe auf den ersten Blick. Da machte es auch gar nichts aus, dass Elena aus einem armen Hause stammte. Ihr Vater war ein einfacher Angestellter bei dieser schrecklichen Behörde, die man Finanzamt bezeichnet, die Mutter eine tüchtige Hausfrau. Sie mussten noch drei andere Kinder ernähren und waren nicht zuletzt aus diesem Grund überaus glücklich, dass Elena so einen wunderbaren Bräutigam gefunden hatte. Denn Roberts Vater war ein ziemlich reicher Mann, der Grundstücke und Häuser sein eigen nannte, ein Mann also, der im landläufigen Sinne sein Glück gemacht hatte. Ganz stimmte das jedoch nicht – nahezu aus jedem Geschäft, welches Roberts Vater getätigt hatte, waren Geld und Gold gediehen, aber in der Liebe hatte ihn dieses Glück schmählich verlassen. Roberts Mutter, seit jeher zart und von angegriffener Gesundheit, war jung gestorben und hatte den kleinen Jungen an der Seite seines verzweifelten Vaters Leo zurück gelassen. Jahrelang hatte Leo alleine gelebt, dann traf er eine Frau, für die er flüchtig entbrannte; eigentlich hatte er keinerlei ernste Absichten gehegt, aber diese Frau verstand es mit geradezu zauberischen Fähigkeiten, sich Leo untertan zu machen. Schließlich heiratete er sie, aber ihr weiteres Zusammenleben gestaltete sich nicht so recht zu Leos Zufriedenheit und vom Glück der anfänglichen Verliebtheit war alsbald nichts mehr vorhanden. Diese Isabella war eine zänkische Frau, der man kaum etwas recht machen konnte. Tag und Nacht lag sie Leo in den Ohren mit ihren schier unerfüllbaren Wünschen, mit ihren Klageliedern und Seufzern, meistens über Nichtigkeiten. Leo schickte sich in sein ziemlich trauriges Leben und arbeitete mehr denn je, um wenigstens auf diese Weise Isabella und dem häuslichen Unfrieden fern bleiben zu können.

Nun begab es sich, dass Elena und Robert, nach wie vor im siebenten Himmel ihrer Liebe, eine Urlaubsreise planten. In die Schweiz sollte sie ihre Fahrt führen, in ein Märchenland mit sauberen, bunten Kühen auf saftigen Weiden, mit schroffen Berggipfeln und tiefen, dunkelblauen Seen. Und das Schicksal wollte es so, dass das junge Paar am Sonntag vor dem Beginn der Reise bei Roberts Vater und der schlecht gelaunten Isabella zu Besuch war.

Die jungen Leute schwärmten von ihrem Urlaub, den sie mit Seilbahn fahren und Käsefondue essen krönen wollten. Und siehe da – in Leos Augen trat ein gar träumerischer Ausdruck und sehnsuchtsvoll sagte er:
„Ach, könnte ich doch mit euch mitfahren!“
„Aber das kannst du doch“, rief Elena spontan, ohne einen Moment nachzudenken, „wir freuen uns, wenn du dabei bist.“
„Ach ja, fahr du nur“, rief Isabella sogleich, „gar nicht so übel, dich eine Woche nicht zu sehen!“

Und dabei blieb es.

Am nächsten Morgen holten Robert und Elena Roberts Vater ab. Er wartete schon vor dem Haus, dieser große, breite Mann, neben ihm stand ein riesiger Koffer. Einen lichten Mantel trug Leo, einen sogenannten Staubmantel, für eine Reise wie geschaffen, und dazu eine eindrucksvolle Baskenmütze. Diese passte ihm vortrefflich und überhaupt war Roberts Vater, wiewohl nicht mehr jung, ein gut aussehender Mann; Elena konnte nicht anders, als sich dies einzugestehen. Aber der Gedanke verflog auch so rasch wieder wie er gekommen war. Sie überließ sich in den nächsten Tagen ganz den Freuden der Reise, genoss das herrliche Wetter, die prickelnde Luft neben einem gewaltigen Wasserfall, den rauen Bergwind an felsigen Abhängen und nicht zuletzt die Freuden der Liebe mit ihrem Robert in dunklen, stillen Nächten. Nach wunderbaren Abendmahlzeiten mit vollen Weinkelchen pflegte sich Leo zurückzuziehen, nicht ohne einen letzten langen Blick auf die schöne Schwiegertochter zu werfen, die mit seinem Sohn im Zimmer verschwand. Aber stets rief er sich energisch zur Ordnung. Am nächsten Tag war er immer früh am Morgen schon bereit, die Reise fortzusetzen.

Schließlich war der letzte Urlaubstag gekommen. Die drei hatten an einer Serpentinenstraße Halt gemacht und waren ausgestiegen. Die Luft über dieser prächtigen Landschaft fühlte sich an wie Campari Soda mit einem Schuss Eis. Sie blickten in den Himmel, der von dunkler Bläue war, und mit einem Mal, überwältigt von der Schönheit dieser Welt, konnte Leo nicht anders und legte den Arm um Elenas Schultern. Wie von einem elektrischen Schlag getroffen durchfuhr es hierauf die beiden, wortlos standen sie aneinander gelehnt und wussten nicht, wie ihnen geschah.

Robert, der von all dem nichts bemerkt hatte, war überglücklich. Die Reise war ein Erfolg gewesen, sein Vater schien auch vollkommen zufrieden zu sein. Das war für Robert sehr wichtig, immer hatte er ein kleines schlechtes Gewissen, weil er seiner Meinung nach nie genug Zeit gehabt hatte, sich sehr um seinen Vater zu kümmern.

Der letzte Abend wurde gehörig gefeiert und begossen. Das berühmte Fondue wurde serviert, und dem herrlichen weißen Wein sprachen die drei gar eifrig zu. Dennoch wirkte Leo nicht ganz so heiter wie sonst. Ein ums andere Mal verfing sich sein sehnsüchtiger Blick in den Augen der schönen Schwiegertochter, die daraufhin gar sittsam die Lider senkte, um den verräterisch begehrlichen Glanz ihrer weit geöffneten Pupillen zu verbergen.

„Vater, du hast ja immer noch deine Kappe auf“, sagte sie und beugte sich im selben Moment zu ihm hinüber, um ihm die Kopfbedeckung vom Haupt zu ziehen.

„Das hab ich gar nicht gemerkt“, stammelte Leo verwirrt, „aber jetzt weiß ich, wieso mir so heiß ist! Das wird wohl der Grund sein“. Indessen hatte Elenas kurze Berührung genügt, um in dem armen Manne vollends die Glut des Begehrens zum Wallen zu bringen. Auch Elenas milchweiße Wangen hatten Farbe bekommen; schließlich erhob sie sich, um kurz hinaus zu gehen und vor dem Haus in der frischen Abendluft ein wenig Kühlung zu finden.

Als sie so da stand, wurde sie plötzlich der Saaltochter – so werden in der Schweiz die Kellnerinnen genannt - gewahr, die ihnen das Fondue und den Wein serviert hatte, um sich sodann diskret zurück zu ziehen. Sie war ein hübsches Mädchen von Anfang zwanzig, bekleidet mit adretter schwarzer Serviertracht. Dennoch schien sie Elena plötzlich verändert, größer als zuvor, strahlender, wie umgeben von einem geheimnisvollen Licht. Elena blickte sie lange wortlos an, das Mädchen erwiderte dieses Schauen mit einem milden, Vertrauen erweckenden Blick.

„Komm her, Elena“, sagte das Mädchen mit einem Mal und da war es Elena, als wäre auch ihre Stimme verändert. Sie erhob sich, wie einem Zwange folgend.

„Sieh her“, sprach die Saaltochter, „ich kann in deinen Gedanken lesen, du brauchst mir gar nichts zu sagen. Fürchte dich nicht, ich bin eine gute Fee im Gewande einer Saaltochter, und ich habe ein Geschenk für dich!“ Dabei drückte sie Elena ein winziges Fläschchen in die Hand.

„Öffne diese kleine Flasche“, fuhr die Fee fort, „und schütte in das Glas deines Mannes einige Tropfen der Flüssigkeit aus dem Fläschlein. Er wird in einen tiefen, erquickenden Schlaf fallen und wenn er des Morgens erwacht, wird er sich an wunderbare Träume erinnern können, jedoch sonst an nichts. Tu, wie ich dir geheißen und folge deinem Herzen! Du wirst dich und den guten alten Mann damit sehr glücklich machen.“ Und während Elena noch staunend das kleine gläserne Geschenk in ihrer Hand betrachtete, war die Fee verschwunden.

Elena wusste nicht, wie ihr geschah. Schließlich kehrte sie an den Tisch zurück, um alles so zu tun, wie ihr die Fee geraten hatte. Alsbald erhob sich Robert, von tiefer, wenngleich wundervoller Müdigkeit übermannt, um schlafen zu gehen. Rasend schlug indessen Elenas erwartungsvolles Herz. Sie hob die Arme und schlang sie um Leos Hals. Plötzlich vermeinte sie, die Welt ihrer Kindheit endgültig zu verlassen und eine andere zu betreten, die Welt einer neuen, unbekannten Lust, die kein Spiel mehr sein würde.

Und alles bewahrheitete sich, so wie die gute Fee es gesagt hatte. Am nächsten Morgen erwachte Robert, erquickt und erholt, mit der Erinnerung an nie gekannte wunderbare Träume. Und Elena, deren Augen glänzten wie die herrlichsten Edelsteine, stand schon bereit zur Abreise, ebenso wie der glückliche alte Mann in seinem Staubmantel. Sie fuhren heim und bewahrten in ihren Herzen die Erinnerung an einen vortrefflichen Urlaub.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so scheint für sie heute noch die Sonne, und die samtschwarze Nacht hüllt ihre Geheimnisse in tiefes Schweigen.

Letzte Aktualisierung: 01.08.2010 - 14.43 Uhr
Dieser Text enthält 9488 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.