Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Urlaub | August 2010
Des einen Freud, des anderen Leid
von Angela Schlenker

Es war einmal ein junger Schäferhundmischling, der lebte glücklich bei einer Familie in einem gemütlichen Haus. Leider war das mit dem Glück so eine Sache, es blieb nicht treu! Plötzlich hatte sich etwas verändert. Helge hörte immer wieder ein neues Wort: „Urlaub“. Bedrückt schlich er durch die Räume, denn sein Rudel wies ihn mit einem Mal ab. Wie fröhlich waren sonst die anderen Jungtiere des Rudels mit ihm durchs Haus getobt. Stupste er sie jetzt mit der Nase an, hieß es nur „Geh weg!“. Zu allem Überfluss hatten heute alle den lieben langen Tag in den Räumen gekramt. Merkwürdige, nie gesehene Dinge standen unversehens im Flur.
Mitten in der Nacht schreckte Helge hoch, weil im Haus ungewohnte Betriebsamkeit herrschte. Ehe er sich’s versah, wurde er am Schlafittchen gepackt und ins Auto verfrachtet. Helge hasste lange Autofahrten, speiübel wurde ihm davon. So setzte alsbald ein herzzerreißendes Jaulen ein. Einen Moment lang glaubte er noch, sie würden auf seine Leiden eingehen und eine Pause einlegen. Wie sehr hatte er sich geirrt! Mit quietschenden, Kies aufwirbelnden Reifen preschte das Auto ohne ihn davon.
Helge durchfuhr ein eisiger Schrecken, er heulte vor Unverständnis auf. Nichts wie hinterher! Hart riss die Leine ihn zu dem Baum zurück, an den er gebunden war. Als er wieder aufblickte, war das Auto schon verschwunden. Tiefe Dunkelheit umfing ihn nun zwischen den Bäumen, vor ihm der Asphalt roch nach Teer und Autos, oh, wie er diese verabscheute! Noch weiter vorn, hinter Büschen hörte er manchmal eins vorüberrauschen, begleitet von einem Lichtkegel. Danach verschlang die mit unbekannten Geräuschen angefüllte Finsternis wieder alles. Das Knacken von Zweigen, das Schnaufen und Wühlen fremder Geschöpfe machten ihm Angst. Er war so hilflos! Tobend lehnte Helge sich gegen die Leine auf, strampelnd versuchte er sich zu befreien. Bald war sein Hals wund und als einziger Erfolg seiner Befreiungsaktionen rann Blut an seinem Fell herab. Erschöpft und leise winselnd, ruhte er sich aus, bevor er erneut an der Leine zu reißen begann.

Die gescheckte Ratte Samantha hingegen war niemals von bösen Vorahnungen gepiesackt worden. Als ihr Käfig nach ungewohnter Schaukelei wieder zur Ruhe kam und sie verwirrt die Nase aus dem Heu streckte, fand sie ihr Zuhause überraschenderweise offen vor. Das war neu! Sonst war entweder alles verschlossen oder man holte sie ziemlich rüde aus dem Schlaf. Das mochte Sam zwar nicht, aber die zugreifenden Hände verhießen immerhin ein unterhaltsames, von Leckereien gekröntes Spiel, zumindest wenn sie sich in Kunststückchen versuchte. Das Spiel, welches nunmehr auf dem Programm stand, schätzte Sam allerdings überhaupt nicht, beinhaltete es doch zu viele Unbekannte. Sie verkroch sich tief in das als sicher angenommene Heu.
Endlich aber obsiegte die Neugier. Inzwischen war es Nacht, was jedoch Sams geringstes Problem war. Sie begann den Käfig zu überklettern, prompt griff eine Pfote in Nässe. Sam versuchte es an anderer Stelle. Dasselbe. Da half nun nichts, die von trockenen, weichen Teppichen verwöhnte Ratte gab sich einen Ruck und landete im klitschnassen Gras. Ein verdrießlicher Quietscher entfuhr ihr.
Gleich darauf ließ ein lautes Scheppern sie zusammenfahren. Nie zuvor gehörtes Quieken und Grunzen mischte sich unter die klappernden Geräusche. Nach geraumer Zeit wagte Sam sich aller Furcht zum Trotz aus dem Gebüsch hervor. Große und kleine vierbeinige Gestalten hatten sich um eine Tonne versammelt. Sam wusste nicht, was eine Mülltonne war, das änderte sich nun. Die Fremden fraßen irgendetwas und ein böses Grunzen in ihre Richtung mahnte sie zu äußerster Vorsicht.
Dank ihrer mit Wendigkeit gepaarten kleinen Maße gelang es ihr, einen Teil der Nahrung zu ergattern. Vollgefressen und durchaus zufrieden döste Sam wieder in ihrer Schlafstatt, als ein entsetzliches Jaulen sie aufstörte. Es kündete von grauenvoller Angst und Verlassenheit, dazu kam es aus Richtung der neuen Futterquelle. Sam schlich sich an und sah einen Hund, der einen ungleichen Kampf mit einem Baum ausfocht. Hunde kannte sie aus einem früheren Leben, hin und wieder war ein Gasthund da gewesen und hatte sich höchst freundlich verhalten.

Sam piepste und Helge vernahm es als „Ich helfe dir!“. Er hielt in seinem Toben inne und sah die Ratte tieftraurig an. Zwar schrak er zusammen, als Sam auf seinen Rücken sprang, doch da begann sie schon mit der Nagearbeit am Lederhalsband. Sam spürte währenddessen den Schrecken und Verwirrtheit des Hundes wie ein Echo der eigenen Gefühle, beide waren sie verstoßen.
Darum ergab es sich wie von selbst, dass sie nach der Befreiungsaktion gemeinsam auf Wanderschaft gingen. Später ruhten beide eng aneinander geschmiegt in einer offenen Scheune, aus der heraus sie das Tagesgestirn aufgehen sahen. Helge zog es sodann gewohnheitsmäßig in die nahe menschliche Ansiedlung. Nach kurzer Wanderung trafen die zwei Urlaubsgeschädigten auf die Urlaubsprofiteure. Großäugig sah Emily zu ihnen herab. Die Zirkusleute hatten das verletzte Küken einer ausgebüxten Emufamilie im Straßengraben gefunden, inzwischen herangewachsen, stand es mit Eseln, Ponys und Lamas auf der Weide. Zum großen Kummer der gesamten Truppe widerstand Emily bislang allerdings beharrlich jedweden Dressurversuchen. Das änderte sich schlagartig, als nun die in Kunstfertigkeiten geübte Sam die Sache in die Pfoten nahm. Sie kroch an Emily hoch und platzierte sich als Mütze auf ihrem Kopf, den Schwanz steil in die Höhe gereckt. Die zufällig anwesenden Zuschauer, und in den Sommermonaten sind immer fröhliche und freigiebige Urlauber in Reichweite, johlten und klatschten Beifall. Sam lief zu großer Form auf, alsbald schlug sie Kapriolen auf Emilys Rücken, wobei diese automatisch mit den Flügeln zu schlagen begann und einige Steppschritte vollführte. In Emily erwachte jetzt das Verständnis für Spaß und Spiel.
Auch woanders wurde man aufmerksam. Lisi, das kleine Zirkusmädchen, schnappte sich ihre Mundharmonika und lief herbei, Emilys Tanzschritte mit einer Melodie unterstützend. Da mochte auch Helge nicht mehr unbeachtet bleiben und drehte sich im Kreise um Emily herum. Die beiden Verstoßenen wurden vom Fleck weg engagiert und, für alle vier völlig unverhofft, begann eine steile Zirkuskarriere. Ihre Nummer, die jedes Mal anders ausfiel, wurde der Renner, da das Publikum die Spontaneität beklatschte, das Gegenteil einer starren Dressur. Gar nichts machte es aus, dass Sam immer wieder am Handstand scheiterte. Dafür lernte sie auf einem Ball zu balancieren, den Emily vor sich her rollte. Helge bildete sich in Basketball aus, nach nur wenig Training wuchtete er den Ball in einen hoch angebrachten Korb. Gemeinsam fügten sie sich zur Pyramide oder zum Tanz zusammen.
Sam und Helge schliefen abends glücklich neben Emily im Stroh und fuhren in ihrem Wagen mit, wenn der Zirkus weiterwanderte.

So begab es sich, dass der ganze Tross am Ende der Ferienzeit in einem Seebad Station machte, wo sich, wie üblich in der Sommerzeit, des Abends das Zirkusrund mit fröhlichen, erwartungsvollen Zuschauern bis auf den letzten Platz füllte. Lisi hüpfte, angetan mit einem kunterbunten Rüschenkleidchen, in die Manege. Ihre gewohnte, muntere Melodie spielend, forderte sie die Gefährten zum wiegenden Tanz. Mit Sam auf dem Kopf drehte sich Emily elegant im Kreis, Helge als Tanzpartner vis-à-vis. Hopsend versuchte Helge im Takt zu bleiben. Da hallte plötzlich eine Kinderstimme durch das Rund.
„Da ist Helge!“
Der fuhr zusammen, damit unbewusst seine Identität preisgebend. Das Ende der Heiterkeit! Helge drehte sich um, während sich seine Lefzen zu einem grimmigen Ausdruck hochzogen. Ein tiefes Knurren grollte aus seiner Kehle. Und da, unter all den fremden Aromen, erkannte er den vertrauten Geruch, der ihm früher so teuer gewesen war. Helge stürzte in einen Gewissenskonflikt!
Unerträglich! Er schoss förmlich aus der Manege, während nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Gefährten verblüfft dem Fliehenden nachblickten. Lisis Melodie erstarb, sie ließ ihre Arme sinken. Nach längerer Schrecksekunde fasste Emily einen Entschluss, mit raumgreifenden Schritten stürmte sie ihrem Tanzpartner hinterher. Draußen versuchte sie sich hakenschlagend in einer wenig systematischen Suche, Sams Reitkünste waren dabei überaus gefragt. Zurück in der Manege verblieb eine brüllende, kleine Lisi.
Schnell rettete ein Clown Situation und Vorstellung.
Im Freien schlossen sich andere Zirkusleute Emilys hektischer Suchaktion an, sie taten dies weniger chaotisch, dennoch, niemand fand Helge. Er lag tief verkrochen unter dem Ponywagen, der mit einer Seite dicht an einer Hecke stand.
Die Vorstellung nahm ihren Verlauf, nach ihrem Ende aber hatte Helges früheres Herrchen tatsächlich die Stirn, den Hund vom Zirkusdirektor zurückzufordern. Wie abgepasst stand morgen früh ohnehin die Rückreise an. Der Zirkusdirektor jedoch ahnte Böses, ein Hund ohne Halsband war mit Sicherheit ausgesetzt, eventuell sogar misshandelt worden. Für solche Leute würde er sich seine neue Zugnummer nicht zerreißen lassen! Er spuckte verächtlich vor der fordernd vor ihm stehenden Familie aus.
Das allerdings konnte Lama Mona besser. Sie wurde gerade zur Tränke geführt, Spannung lag sowieso in der Luft und nun fühlte sie sich vom Vorbild animiert. Ihren gesamten übelriechenden Mageninhalt spie sie der für ihre Zwecke günstiger stehenden Frau zielsicher ins Gesicht. Unterdrücktes Gelächter gluckste aus allen Winkeln der Wagenstadt hervor.
„Tiere kommen mir nicht mehr ins Haus!“, schrie die Gedemütigte außer sich und die Familie floh.
Als die Zirkusleute später Sam mit einem Kotelettknochen unter dem Ponywagen verschwinden sahen, konnte die Geschichte endlich ihr glückliches Ende finden. Helge wurde hervorgeholt und zu seinem Freunden in den Wagen gesetzt, die Aussicht auf ein glückliches Zirkusleben war wieder hergestellt.

Letzte Aktualisierung: 23.08.2010 - 16.48 Uhr
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