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Liebe ist ... | September 2010
Und dennoch: Liebe
von Johanna Sibera

Sie hatte ihn nicht einmal suchen müssen, durch eine Partnerschaftsanzeige in der Zeitung etwa, mit leicht verschämtem Text, oder im Internet mit Hilfe eines sogenannten Profils, das sie vielleicht als unternehmungslustige Junggebliebene mit vielseitigen Interessen beschrieb. Sie fühlte sich weder unternehmungslustig noch war sie eigentlich vielseitig interessiert. Eine gewisse Trägheit, die sie keineswegs als schlechte Eigenschaft verstand, hatte sie immer schon begleitet, und diese schien sich mit dem Älterwerden zu verstärken. So war auch ihr erster Gedanke gewesen, als dieser bestimmte Mann mit seinem Wagen neben ihr hielt, dass die Angelegenheit mühsam werden könnte. Und sie hatte Recht behalten. Neben allen Freuden der Liebe, die mit einem Mal konkreter Bestandteil ihres Lebens geworden waren und sich tatsächlich als erstaunlich stabil und reproduzierbar erwiesen, blieb der Anflug einer gewissen Last, die dieses Zusammensein mit Jan an sich hatte. Schon die erste Annäherung auf offener Straße hatte etwas Irritierendes an sich gehabt. Greta fühlte sich schlecht frisiert an diesem Tag und falsch angezogen, immer noch in ihrer Winterjacke trotz der plötzlich über die Mittagsstunden hergefallenen lauen Frühlingsluft. Und zu alt sowieso, nicht nur im Vergleich zu ihm, sondern auch für sich allein. Sie war dennoch in sein Auto eingestiegen, sie hatte nichts anderes vor als ihre volle Einkaufstasche heim zu bringen, die ihm als unmittelbarer Anlass für seine Einladung zum Mitfahren gedient hatte. Er war ihr dann in ihre Wohnung gefolgt, wo er ihr eine Stunde lang von einer Frau erzählte, die ihn angeblich nicht sehr gut verstand, die aber nicht einmal seine Frau war, sondern nur irgendwer. Tatsächlich war sie erleichtert als er ging, trotzdem war die Erinnerung an ihn eine gute und etwas, woran sie gerne dachte, ohne das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.

Heimtückisch geschah es dann, dass er Teil ihres Daseins wurde, in ihren schwächsten Momenten ein unverzichtbarer, wie sie vor sich selbst zugeben musste. Dann und wann kam er bei ihr vorbei, manchmal zwei Mal in der Woche, dann verschwand er wieder, fast monatelang. Er erschien bei ihr und nahm sie in die Arme, was ihr jedes Mal erneut das Leben rettete, aber das brauchte er nicht zu wissen. Trotz ihrer geradezu besessenen Verliebtheit war sie auf der Hut. Sie war es gewohnt, sich selbst nicht besonders wichtig zu nehmen, ihr ganzes Leben lang hatte sich auch niemand anderer so besonders wichtig genommen; doch, einen hatte es da gegeben, aber er war gestorben, so war es eben gewesen und es gab nichts daran zu ändern.

Manchmal, wenn ihr die Zeit zwischen Jans Besuchen bedrohlich lang vorkam, konnte sie es nicht verhindern, ihn anzurufen. Dann klang er kühl oder gar enttäuscht und Greta hätte sich die Finger oder die Zunge abhacken mögen und schwor sich, es nie mehr zu tun, um diese unpersönliche Stimme nicht mehr hören zu müssen. Sie sprach ihn dann darauf an, als er mit der gewohnten Geschmeidigkeit bei ihr auftauchte und alle ihre Zweifel weg liebte, und er entschuldigte sich, sogar mit ziemlich einfallsreichen Worten, und meinte, er würde auf eine telefonische Jobzusage warten oder etwas Ähnliches in der Art.

Zuweilen dachte sie, dass er vielleicht etwas von ihr wollte, Geld oder mehr oder weniger kostspielige Geschenke, aber es war auch offensichtlich, dass bei ihr nicht viel zu holen war. Sie hatte eine kleine Rente, mit der sie mehr schlecht als recht über die Runden kam. Aber sie brauchte jetzt viel weniger als früher. Vieles, was zuvor wichtig gewesen war, hatte seine Bedeutung für sie verloren, schöne Sachen kaufen, zum Beispiel, oder auch, ziemlich erstaunlich, das Wetter. Regen oder Hitze, Sommer oder Winter, es machte keinen Unterschied. Auch die verschiedenen kleinen Ärgernisse mit ihren Nachbarn und die Unternehmungen mit ihrem kleinen, aber gut ausgesuchten Freundeskreis; das alles berührte sie nicht mehr, ging ihr nicht mehr sehr nahe.

Dann passierte es wirklich und sie hörte nichts mehr von ihm. Nicht nur Tage und Wochen vergingen, es waren Monate, mehr als ein halbes Jahr. Greta vermeinte, man hätte ihr die Haut abgezogen bei lebendigem Leib, aber sie ging ihrer Wege, mit dieser fehlenden Haut und dem Gefühl des Blutens, außen und innen. Irgendwann wurde es besser. Und eines Tages schlug sie die Zeitung auf, ein eher unbedeutendes Blatt, und sah sein Foto, in einer schmalen Spalte mit Gerichtsreportagen. Heiratsschwindel in größerem Stil wurde ihm vorgeworfen, und gleichzeitig über das Ende seiner Haftstrafe berichtet, der Rest war zur Bewährung ausgesetzt worden, und sie wunderte sich über zwei Dinge, nämlich dass der altmodische Begriff Heiratsschwindler überhaupt noch verwendet wurde und darüber, dass das Foto keinen schwarzen Balken über den Augen hatte, aber sie hätte ihn auch mit dem Balken sofort erkannt.

Der Rest des Tages verschwamm ihr im wilden Glück. Sie erledigte Sachen, die sie monatelang vernachlässigt hatte, sie räumte auf, sie aß und trank, sie hatte nicht mehr gewusst, wie schön Essen und Trinken sein konnte. Keinen Cent hatte er jemals von ihr wollen, sie hätte ihm sogar gerne etwas gegeben. Und das Wort heiraten war ihm in ihrer Gegenwart nie über die Lippen gekommen.

Sie durchsuchte ihren Kleiderschrank, musterte aus, warf weg, probierte das und jenes. Sie stellte sich vor den Spiegel. Die Schatten verwichener Schönheit riefen ihr ein Bild in Erinnerung, so, wie einem ein Gerücht aus längst vergangenen Tagen in den Sinn kommen mag. Aber ihre großzügig gebauten und gut gepflegten Grundzüge schienen ein ziemlich zeitloses Fundament geschaffen zu haben, dessen sie sich immer noch bedienen konnte und aus dem zu schöpfen noch viel länger möglich sein würde. Als ihr Telefon läutete und sie dann Jans Stimme hörte, empfand sie zum ersten Mal wirklich reine ungetrübte Freude, ohne den bizarren lebensrettenden Effekt, den seine Anrufe früher für sie gehabt hatten.

Seine Stimme klang vielleicht etwas bedrückt, aber nur sehr wenig, kaum verlegen.

„Das hättest du jetzt nicht geglaubt“, sagte er, und Greta dachte, dass sie es sehr wohl geglaubt hatte, aber sie schwieg und wartete, was ihm einfallen mochte.

„Ich habe dir viel zu erzählen“, fuhr er fort, „wir müssen uns sehen. Ich meine – wir sind doch alte Freunde!“

„Ja“, erwiderte sie, „wir sind alte Freunde. Wir werden uns bald einmal sehen“.

Als sie auflegte, wusste sie, dass sie Recht gehabt hatte, damals, ganz zu Beginn: Die Sache war tatsächlich ziemlich mühsam geworden.

Letzte Aktualisierung: 06.09.2010 - 20.49 Uhr
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