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Liebe ist ... | September 2010

Klaus Bremblins Liebe
von Franziska Greiner

Die erste Begegnung mit Klaus Bremblin verdankte Sibylle einem Missgeschick. Auf dem Weg nach unten hatte sie an der Wand über den Regalen des Kaufhauses eine Plakatwerbung für sexy Damenunterwäsche entdeckt und ihren Blick wohl einige Sekunden zu lange darauf gerichtet gehabt, so dass sie den entscheidenden Tritt von der Rolltreppe herab verpasste, nach vorne stolperte und den Inhalt ihres Einkaufkorbes über den Boden verstreute. Noch bevor alle Gegenstände zur Ruhe gekommen waren, eilte Klaus Bremblin quer durch die ganze Halle herbei und half sofort beim Einsammeln der Waren, was ihm anscheinend größtes Vergnügen bereitete, denn er lächelte dabei ununterbrochen.
Sibylle glitten Worte des Dankes wie von selbst über die Lippen, sie war aber leicht verunsichert, als Klaus Bremblin einen Augenblick zu lange freundlich dreinschauend vor ihr verharrte, so dass sie ihn, um überhaupt etwas zu sagen, zu einer Tasse Cappuccino im Stehcafé des Einkaufszentrums einlud. Irgendwie schaffte er es, eine Belohnung wegen der erwiesenen Selbstverständlichkeit abzulehnen, der Einladung aber trotzdem Folge zu leisten. Er verstand es, die Gelegenheit zu nutzen, Sibylle dabei ausgiebig den Hof zu machen, wodurch sie sich sehr geschmeichelt fühlte und einem weiteren Treffen gerne zustimmte.

Wie es sich für einen Kavalier gehört, erschien er zu diesem freudestrahlend mit einem Strauß roter Rosen in der Hand. Sibylle war hingerissen und dankte es mit artigem Benehmen beim Essen und wohlwollender Konversation beim Tischgespräch.

In den darauf folgenden Wochen sahen sie sich fast jeden Tag und kamen sich dabei immer näher. Sibylle war überglücklich, solch einen liebe- und verständnisvollen Mann wie Klaus Bremblin kennengelernt zu haben. Nicht nur ihr gegenüber war er aufmerksam und hilfsbereit, sondern auch anderen Menschen gegenüber, was diese ihm meist mit überschwänglichem Dank quittierten. Einer Mitbewohnerin des Hauses, in dem er wohnte, trug er zum Beispiel jeden Tag einen Kübel Kohlen vom Keller in den dritten Stock und bekam dafür jede Woche einen 5-Euro-Schein zugesteckt, den er, wie er sagte, aus Rücksicht auf die Gemütslage der Frau nicht ablehnen dürfe.
Einmal, als Sibylle und er im Park spazieren gingen, kamen sie an einer Bank vorbei, auf der eine alte Frau mit auf die Hand gestütztem Kopf saß und wehklagend vor sich hin schmachtete. Klaus Bremblin redete ihr sofort tröstende Worte zu, und als er den Grund ihrer Traurigkeit erfuhr, eilte er, Sibylle stehen lassend, rasch zur nächsten Bäckerei und kaufte einen ganzen Laib Brot und dazu noch zwei Butterhörnchen, denn die alte Frau sorgte sich um die Enten und Schwäne im Teich, für die sie infolge Geldknappheit kein Brot zum Füttern hatte mitbringen können und die letzten Krümel davon vor lauter Hunger selbst gegessen hatte. Als Klaus Bremblin ihr nun das Brot für ihre gefiederten Freunde und die Butterhörnchen zum Selbstverzehr mit einem fürsorglichen Lächeln übergab, geschah etwas sehr Außergewöhnliches: der alten Frau stiegen Tränen der Freude in die Augen, sie stand auf, umarmte ihn, küsste ihn auf die Stirn und kramte dann einen Gegenstand aus ihrer Tasche hervor, den sie ihm an das Revers seiner Jacke heftete. Es sei ein Orden, erklärte sie mit zitternder Stimme, den Wilhelm I. auf Anraten Otto von Bismarcks ihrem Ururgroßvater höchstpersönlich für besondere Tapferkeit und aufopfernde Kameradschaft im Krieg von 1870/71 verliehen hatte. Damals hätten die Menschen noch ein Anrecht darauf gehabt, als Menschen bezeichnet zu werden, sagte sie. Und weil ihr in ihrer restlichen Zeit auf Erden wahrscheinlich niemand mehr von solch heldenhaftem Edelmut wie Klaus Bremblin begegnen werde, sei es nur recht und billig, dass niemand anderes als er den Orden behalte.

Fast hätte er die Knöpfe seines Blazers abgesprengt, so stolz blähte Klaus Bramblin seinen Brustkorb auf aus lauter Freude über die Auszeichnung und das Lob der alten Frau. Auf dem Nachhauseweg überbot er sich dann selbst. Er half einem Seh- und einem Gehbehinderten und auch einem weinenden kleinen Mädchen über die Straße, wobei er sogar händefuchtelnd den Verkehr aufhielt, und bot in der Trambahn einem alten Mann seinen Platz neben Sibylle an, damit der nicht so weit nach hinten hätte gehen müssen. Als die Leute sich jeweils herzlich bedankten, beteuerte er ihnen, dass er nichts lieber täte als zu helfen, wo Hilfe gebraucht werde, und dass allein schon ihre Lobesworte sein Herz erwärme.

Am Abend dieses ereignisreichen Tages fühlte sich Sibylle etwas deprimiert. Den Ausdruck vernachlässigt vermied sie noch, denn Klaus Bremblin war ja auch ihr gegenüber stets nett und zuvorkommend gewesen. Trotzdem grübelte sie darüber nach, ob sie die Beziehung zu ihm noch weiter so intensiv aufrechterhalten oder sogar noch ausbauen wollte, denn er hatte bereits andeutungsweise von Heirat gesprochen. Sie war sich absolut im Unklaren ihrer Gefühle ihm gegenüber und der Einschätzung seiner ihr gegenüber. Schließlich kannte sie keine andere Gemütslage von ihm, als immer nur freundlich, zuvorkommend und freudestrahlend zu sein, was ihr jetzt auf einmal als seltsam vorkam.
Sollte das wirklich Liebe sein?
Noch nicht das geringste Anzeichen schlechter Laune, Unzufriedenheit oder gar Eifersucht hatte sie bei ihm entdeckt. Selbst wenn sie selbst einmal zickig war, kam nur ein verständnisvolles Lächeln von ihm und eine väterliche Umsorgung als wäre sie ein Kind.

Um sich Hilfe für die Entscheidung zu holen, wie es weitergehen solle, begab sie sich mit allen dazu notwendigen Angaben zu einer Wahrsagerin, genauer gesagt zu einer Astrologin, die es verstand, auch die Charaktereigenschaften eines Menschen aus den Sternen zu lesen. Aus antiquiert wirkenden Tabellarien schrieb sie sich eine ganze Reihe geheimnisvoller Daten heraus, die Konstellationen des Himmels zum auf die Minute genauen Geburtszeitpunkt Klaus Bremblins in Abhängigkeit zu seinem Geburtsort wiedergaben. Dazu gehörten die Stellungen der Planeten, des Mondes und der Sonne zueinander, die Position der Tierkreiszeichen, der Winkel der Erdachse zur Ekliptik und vieles mehr, das in seiner Gesamtheit für jeden Menschen so einmalig ist wie sein Fingerabdruck.
Eine gute Stunde brauchte die Wahrsagerin, um die zusammengetragenen Informationen auszuwerten und in einer Art tranceähnlicher Beschwörungshaltung zu einem Ergebnis zu kommen. Dann, als sie sich wieder gesammelt hatte, sah sie Sibylle tief in die Augen und begann mit melodischer Stimme zu sprechen. „Die letzte Entscheidung liegt bei dir, mein Kind“, sagte sie, „wenn du aber meinen Rat hören willst, dann lass die Finger von ihm; du wirst nicht glücklich werden mit ihm. In seinem Blut liegt der Fluch vieler Generationen, die Leib und Seele verkauft haben, nur um Anerkennung zu gewinnen. Er liebt nicht dich, und auch sonst niemanden. Er ist gar nicht fähig dazu, denn er liebt nur sich selbst. Und alles was er tut ist nur darauf gerichtet, Bestätigung für sein Ego zu erlangen.“

Sibylle war schockiert, aber auch erleichtert, die Wahrheit über Klaus Bremblin gehört zu haben, die sie nun im Unterbewusstsein bereits vorausgeahnt zu haben glaubte. Sie bat einen Arbeitskollegen – einen verheirateten Mann – um ein zufälliges Treffen, bei dem sie ihn Klaus Bremblin als ihren Verlobten vorstellte, der einige Wochen beruflich im Ausland war, jetzt aber gemeinsam mit ihr die lange geplanten Hochzeitsvorbereitungen angehen wolle.

Klaus Bremblin zögerte keinen Augenblick, die beiden in die Arme zu schließen und ihnen freudestrahlend alles Glück der Erde zu wünschen, woraufhin Sibylles Arbeitskollege ihn unvorsichtigerweise zur Hochzeitsfeier einlud.

Letzte Aktualisierung: 21.09.2010 - 16.09 Uhr
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