Futter für die Bestie
Futter für die Bestie
Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Verwandlung | Oktober 2010
Und neues Leben blüht aus den Ruinen
von Glädja Skriva

“Das Alte stürzt … „

Irgend so ein Grasdackel hatte ihr die Pest an den Hals gewünscht.
HerrgottkruzifixvermaledeitseiendeineGebeine. Sie lachte glockenhell auf. Schmarrn. Abergläubisch war sie noch nie gewesen. Stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Frech und selbstbewusst hatte sie zurückgegrinst. Bis das Lachen an diesem Tag im Halse steckenblieb; wie ein Schleimpfropfen, der nicht mehr auszuspucken war und sie würgte. Benommen rief sie Conni an, ihre beste Freundin.

„Hallo. Hier Cornelia Hoffmann.“

„Hi, Conni, hast du Lust noch - eine Runde mit mir zu laufen?“

„Mensch, Floh, bist du das? Was ist denn mit dir los? Jetzt ist Samstagvormittag. S a m s t a g. Da lässt du doch erst Schlag zwölf deinen Putzwedel aus der Hand fallen – und schmeißt dich japsend daneben. Hast du Fieber?“

„Ne, ich dachte nur … hast du ein bisschen Zeit? Es ist doch so ein schöner Spätsommertag; so richtig sonnig und warm. Und die Blätter so bunt. Hast du schon einmal bemerkt, wie sie leuchten? In Orange und Gelb. Sogar das Braun leuchtet so … warm … wenn die Sonne durchscheint. Hast du sie heute auch schon auf deinem Gesicht gespürt, auf deinen Armen? Die Sonne, die richtig auftankt? Magst du das auch so gerne, wenn die Blätter unter deinen Füßen rascheln? Ich habe das als Kind schon immer gemocht; bin immer einen Umweg gelaufen, damit ich durch die Blätter schlurfen konnte. Wie konnte ich das nur verge … “

„Oh, Mann, hast du heute einen an der Waffel? Lass mich raten. Du hast wieder einen Neuen an der Angel. Dieses Mal sicher so ein Greenpeace-Heini … “

„Du verstehst gar nichts, Conni. Nichts. Die Blätter. Zum ersten Mal bemerke ich von meinem Fenster aus diesen wunderschönen, großen, ausladenden Kastanienbaum, der voll mit kleinen Tupfen ist, in denen all die glatten, runden Kastanien stecken, die wir als Kinder immer in unseren Hosentaschen gesammelt haben. Und ich sehe seine Blätter … wie sie zu Boden tanzen. Im Sterben noch schön. Wie, wie Rilke das geschrieben hat: „Die Blätter … wenn sie fallen … so fallen sie doch … “

„O.k., dieses Mal also keiner von Greenpeace, auch kein Maklerheini oder Marathonläufer mit abgewetzten Nikes. Dieses Mal was Feinsinniges. Ein Schriftsteller? Wetten, ein Dichter! Wow, du, in fünf Minuten bin ich bei dir … “

„Scheiße, Conni, ich habe Krebs.“


“Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit …“


Nur wenige Tage später wieder am Telefon:

„Veronika Haferfloh.“

„Hi, Floh, hier Conni. Du, ich …“

“Ich wollte …”

”Ja, ich weiß schon. Du willst eigentlich am Samstag deine Ruhe. Ich verstehe das total. Aber ich dachte - ich dachte, dass du jetzt, ich meine, nun, wo du … eben … eben sicher keinen Kopf hast für Haushalt und so nen Kram. Ach --- Scheiße, Floh, wir lassen uns doch nicht unterkriegen von so nem Dreck. Wir haben doch schon ganz andere Sachen miteinander gestemmt. Ich meine, du hast doch ne reelle Chance. Ich habe da so eine Adresse ausfindig gemacht. Von so ner Heilerin, die …“

„Ich …“

„Ja? Du, du wirst sehen. Du wirst wieder gesund. Ganz bestimmt! Und dann holen wir alles nach. Alles, was wir einmal Verrücktes geplant haben: Das Stripperlokal. New York. Die rosa Haare. Björn, deine ewig große Liebe ... Alles. Alles! Hörst du.“

„Conni, ich …“

„Du meinst, du schaffst das nicht?“

„Jetzt lass …“

„Du, wir können das alles auch erst einmal lassen. Ich meine, das ist total o.k., wenn wir heute dafür zusammen durch den Wald laufen, durch die Blätter schlurfen. Wir haben doch Zeit. Und du, du kennst mich ja. Du weißt ja, dass ich immer scharf auf neue Sachen bin. Glaub mir, ich steh absolut auf das feeling Kastanien zu sammeln und mit so nem Holzbohrer Streichhölzer in die Kastanien zu stecken. Ich meine … ach scheiße, Floh …“

„Frau Kastanienbohrerin Cornelia Hoffmann! Jetzt lass mich doch endlich mal Luft holen! Du, das ist total irre. Du wirst es nicht glauben. Die, die haben meine Blutwerte verwechselt!“

“Die, was?“

„Die haben meine Blutwerte verwechselt! Du, ich kapiere das alles noch gar nicht so richtig. Ich bin gesund. Gesund. Weißt du, was das heißt? Hey, hole schon mal das schweinchenrosa Haarfärbemittel raus. Und den Schampus und … in fünf Minuten bin ich bei dir.“

War Floh vorher bodenständig gewesen, meinte sie jetzt, fliegen zu können. Das Leben war so irre schön, wie hatte es bisher nur so unbemerkt an ihr vorbeischleichen können. Sie hätte die ganze Welt umarmen können.

Dieses Glücksgefühl hielt knappe vier Minuten und 13 und eine halbe Sekunde an. Der Lkw-Fahrer sprach später von einer Frau, die unkontrolliert über die Straße getanzt wäre, und zwar überraschend hinter den parkenden Autos hervorkommend, sodass er sie nicht mehr rechtzeitig bemerken konnte.

Im großen Himmel gab es keinerlei Aufregung über solch kleines, unbedeutendes Randereignis auf der Erde. Dort droben hatte sich das milde Licht der Abendsonne über die Landschaft gelegt; Ähren wiegten sich anmutig im Wind; Vögel zwitscherten mehrstimmig, und doch ohne Dissonanz, in Harmonie und Fröhlichkeit. Frieden hatte sich behaglich, wie eine kuschelige Schlafdecke, ausgebreitet.

Nur ein kleiner pausbäckiger Aushilfsengel wurde angewiesen die „Himmelszeit“ und „Erdenzeit“ an der großen Wanduhr immer wieder abzugleichen. Er hatte auch die von Floh im Blick gehalten, dass sie stets auf kurz v o r zwölf stand. Der kleine Engel nickte zufrieden lächelnd, legte dann seine Füße auf den goldenen Himmelsschemel und versank in seiner neuesten Himmelsschreiblustlektüre über die „Freude“. Dabei drehte er kichernd seine kleinen Löckchen um seinen Zeigefinger bis sie wie unzählige Korkenzieher über seine Augenbrauen ins schmale Gesicht fielen. Hin und wieder konnte er sich auch nicht zurückhalten; dann schlug er mit seinem Kleidchen, das wie ein großer, weißer, süßlich-klebriger Zuckerwattenball aussah, Zuckerwattenkringelpurzelbäume, immer die goldenen Grashügel hinauf und hinunter, querfeldein und wieder zurück. Bis ihm plötzlich einfiel, dass er seine Aufgabe völlig vergessen hatte. Er hatte vergessen, den Zeiger von Floh auf kurz vor zwölf zu halten. Den Zenit überschritten, waren die Zeiger nun nicht mehr aufzuhalten. Nichts zurückzudrehen. Lebenszeit mit Himmelszeit nicht mehr in Einklang zu bringen. Es verdunkelte sich.

Seine Flügel strampelten und wedelten, als er sich an den großen Zeiger hing. Für Floh. Die war doch im Leben so eine Aushilfskraft gewesen, wie er im Himmel ein Aushilfsengel. Und so hängte er sich an den Zeiger. Mit aller Schwere, die er zu bieten hatte; mit aller Leichtigkeit, die ihm der Himmel geschenkt hatte. Doch die Uhr tickte immer weiter und weiter die Himmelszeit weg. Die Höllenhunde rasselten und jaulten. - Schließlich hing er nur noch an einem Flügel, bis er nicht mehr konnte und losließ und stürzte, ins Bodenlose. Nur sein rundes, klebrig süßes Zuckerwattenkleid riß und verfing sich zwischen den Zeigern. Da war es still. Und ein winziger Blutstropfen fiel auf die Erde.

Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.
(Schiller)

Letzte Aktualisierung: 22.10.2010 - 12.12 Uhr
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