| | Verwandlung | Oktober 2010 | | Der groĂe Zantini von Martina Bracke
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Mit einem Knacken bricht das erste Streichholz auseinander. Das zweite flammt auf, doch er kann es nicht halten. Es brennt ein weiteres Loch in den Schminktisch. Erst mit dem dritten gelingt es ihm, die selbst gedrehte Zigarette zu entzĂŒnden. Erloschen lĂ€sst er es zu den ĂŒbrigen auf die Platte fallen.
Seine HĂ€nde legt er auf die Knie, spĂŒrt die WĂ€rme durch den Stoff hindurch. FĂŒhlt aber auch ihre Unruhe, ihr Zittern. Sein Blick geht zum Spiegel. Zeitungsausschnitte erzĂ€hlen von den Erfolgen der Vergangenheit. Im âWintergartenâ trat er auf. Und exklusiv beim PrĂ€sidentengeburtstag. Vize-Weltmeister der Zauberer, der Mann mit den magischen HĂ€nden. HĂ€nde, die er nicht mehr ansehen mag, die ihn immer öfter im Stich lassen. Es hilft nichts, er muss nun eine Hand heben, um die Asche seiner Zigarette abzustreifen. Sie fĂ€llt ungezielt herunter, weil er immer noch zittert.
Sie gehören nicht zu ihm. Die Einheit, die sie einmal waren, ist lĂ€ngst aufgehoben. Sie haben gekĂŒndigt, wollen nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten. Er kann die KĂŒndigung nicht akzeptieren, nicht verstehen, dass sie ihn im Stich lassen. Kartentricks, seine SpezialitĂ€t, funktionieren fast nie mehr. Das Publikum hat es lĂ€ngst bemerkt. Sein Name zog. Der groĂe Zantini â Zauberer der Extraklasse. Vorbei. Mit seinen alten FĂ€higkeiten könnte er heute noch in den groĂen VarietĂ©s auftreten. Aber sie lassen ihn nicht mehr. Neue sind nachgerĂŒckt. Wunderkinder mit den ganz groĂen Illusionen, aber nicht mit seiner Fingerfertigkeit. Abgeschoben ist er, tingelt durch drittklassige Etablissements, erhascht nur manchmal noch den Glanz der alten Zeit.
Er tritt auf die BĂŒhne. Das Licht kaschiert die abgewetzten Ărmel und die Schrammen an seinem ehrwĂŒrdigen Zylinder. Der groĂe Zantini steht im Scheinwerferkegel, blickt nicht hinter die Lichter, aber fĂŒhlt ganz einfach, dass das Haus nicht voll ist. Wie auch â in dieser Absteige. Aber die Lichter wĂ€rmen ihn, das ist sein Zuhause. Er kann nicht ohne. Sein RĂŒcken streckt sich, fĂŒr einen Moment vergisst er seine Sorgen, sogar die HĂ€nde spielen mit. Sehen Sie hier â ein Kartenspiel. Ein ganz normales Kartenspiel. Mit enormer Geschwindigkeit mischt er, fĂ€chert es auf, lĂ€sst Karten verschwinden, zaubert sie wieder hervor â und schafft es, auch dieses Publikum zu beeindrucken. Ja, er ist noch immer der groĂe Zantini. Sein Inneres strahlt nach auĂen, die Zuschauer raunen. Wie im Rausch zeigt er seine BĂŒhnenshow, lacht, scherzt.
Erst beim vorletzten Trick kann er sie nicht halten, fallen die Karten zu Boden, liegt sein Leben verstreut zu seinen FĂŒĂen. Der groĂe Zanitini fĂ€llt in sich zusammen, schrumpft, wirkt zerbrechlich. Er ist nicht mehr in der Lage, die Karten aufzusammeln. Nichts ist zu retten. Seines Publikums bewusst zieht er den Zylinder, tritt nach vorn, auf den Herzbuben. Es ist egal. Seine Verbeugung ist formvollendet, eine Reminiszenz an sein Leben, seine Welt. Mit festen Schritten verlĂ€sst er die BĂŒhne, ein ratloses Publikum zollt ihm zögernd verhaltenen Applaus.
In seinem Kopf rauscht es, seine HĂ€nde zittern so stark wie nie zuvor. In der Garderobe, die er nun seit zwei Monaten bewohnt, schlieĂt er sich ein. Vorbei, es ist vorbei. In der Schublade findet er die Waffe, die er sich erst vor drei Wochen besorgt hat. Er stellt sich vor den von GlĂŒhbirnen umrahmten Spiegel mit den Zeitungsausschnitten und seinem seitenverkehrten Bild in der Mitte. Ein Film. Ein Film lĂ€uft ab. Der Mann im Spiegel hebt die Hand, fĂŒhrt den Revolver an die SchlĂ€fe und drĂŒckt ab. |
Letzte Aktualisierung: 27.10.2010 - 19.54 Uhr Dieser Text enthält 3575 Zeichen. Druckversion | | | | |