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Verwandlung | Oktober 2010

Ta panta rei
von Birgit Papas

Dass Elenas Zyklus bereits mit vierundvierzig Jahren ins Stocken kam, passte ausgezeichnet zu der Tatsache, dass ihre Kinder gerade eigene Wege gingen. Ich kenne Elena seit vielen Jahren und bin immer wieder überrascht von ihren psychosomatischen Kapritzen. Doch spürte ich, dass ihr diesmal wenig daran lag, als Drama Queen aufzutreten. Sie hatte die Rolle der liebenden Mutter genossen und eine erfolgreiche Vorstellung gegeben. Nun war sie bereit, loszulassen.
Anstatt sich alt und verlassen zu fühlen suchte sie nach einer neuen Rolle, die das Thema Mutterschaft höchstens noch am Rande berührte. Die Bühne ihres Lebens war frei für das nächste Theaterstück und Elena hatte definitiv keine Lust die alternde Königin zu spielen, die hinter dicken Burgmauern auf ihre Enkel wartet, Berge von Wäschestücken bestickt und diese anschließend in kalten Nächten alleine im Schlaf zerwühlt.
Die Rolle der Hexe interessierte sie da schon eher. Besonders der Part, in dem die Zauberin im windigen Turm Zweifel und Angst trotzt, auf die Brüstung steigt und die Fürsten Utgards im Vorbeiflug übermütig bei den Hörnern packt, zum wilden Ritt durch Nacht und Nebel.
Trotz gelegentlicher Sehnsucht nach vergangenen Tagen, trotz Selbstzweifel, Hitzewellen, Hormon- und Gefühlsschwankungen hatte Elena sich für eine neue Inszenierung entschieden. Sie hatte mit den Jahren gelernt, ihre Depressionen zu akzeptieren und durch sie ihre Stärken und Schwächen erkannt. Nun war sie entschlossen, die Not zur Tugend zu machen.
Als ihr Körper durch das Klimakterium anfing, nach besonders viel Zuwendung zu verlangen, hatte ich ihr geraten, ihre Kenntnisse der Sexualmagie zu vervollkommnen. Dies war die einzige Form von schwarzer Magie, auf die Elena bereit war, in Krisensituationen zurückzugreifen und wann immer sie sich so mit ihren Dämonen auseinandersetzte, tat sie dies mit Klasse. Ihr Niko hatte im Ehebett schon manch interessante Überraschung erlebt. Er teilte Elenas Glauben nicht, duldete ihn aber doch.
Leider lässt sich die ernorme Kraft der Hel nicht immer durch Sex unter Kontrolle halten und die beiden hatten außer wildem Sex genauso wilden Streit. Eines Tages dann hatte Elena die Nase voll. Sie informierte Niko, dass sie ein wenig Abstand brauche. Ihr Mann wusste, dass es keinen Sinn hatte, sie umstimmen zu wollen. Beide gingen davon aus, dass sie bald zurückkommen würde.
So lebte sie vorläufig wieder bei ihren Eltern, erinnerte sich an das Kind, das sie vor langer Zeit gewesen war und an die junge Frau, die einst diesen Ort verließ, um in fremden Ländern aufregende Abenteuer zu bestehen. Sie war eine reife Frau geworden, doch ihr Körper war der, einer abenteuerlustige Junghexe. Sie wartete nur auf eine Gelegenheit, ihre Dämonen bei den Hörnern zu packen. Doch hatte selbst ich nicht damit gerechnet, dass sie ausgerechnet während des Aufenthalts bei ihrer Tochter von ihnen zum Spiel herausgefordert würde.
„Rein zufällig“ standen auf der Fensterbank im Wohnzimmer zwei roten Kerzen, außer der grellen Deckenbeleuchtung die einzige Lichtquelle im nächtlichen Raum. Als Elena sie anzündete und unsere Blicke dem Kerzenschein auf die nächtliche Straße folgten, sahen wir die dunkle Gestalt im hellen Licht der Laterne.
Ich hoffte, sie würde kurz lächeln und sich dann einem anderen Thema widmen. So, wie sie es oft tut, wenn der Wind ihr in die Haare greift, die Sonne ihren verspannten Körper liebkost oder Vögel und Insekten sie auf der Terrasse besuchen. Doch hatte sie nicht erst vor zwei Tagen aus vollem Herzen und tiefer Überzeugung ihre Bereitschaft erklärt, mit diesem Fürsten der Unterwelt einen Flirt einzugehen? Nichts Ernstes, hatte sie beteuert. An jenem Abend hatte ich sie vor Schlimmerem bewahren können, indem ich Elena in einen tiefen Schlaf versetzte. Doch heute Abend war sie hellwach und extrem risikofreudig.
Mit seinen langen roten Locken und der schwarzen Leder-Kluft sah der Fürst der Dunkelheit aus, wie der Gitarrist einer Keltic-Rock-Gruppe. Elena zündete sich eine Zigarette an und während sie rauchte starrte sie ihn neugierig an. Ich schauderte und muss zugeben, dass dies nicht aus Angst geschah. Der Kerl war wirklich eine Sünde wert.
„Da bin ich“, schien er zu sagen. „Komm“.
„Das soll doch wohl ein Scherz sein“, antwortete ich an ihrer statt und stellte fest, dass selbst Gedanken laut und schrill klingen können.
„Was soll ich denn meiner Tochter und ihrem Freund sagen, wenn ich mich nachts aus der Wohnung stehle?“, fragte Elena hingegen, erheblich verhandlungsfreudiger als ich.
„Die schlafen“, antwortete der Draufgänger leichthin und ich erkannte, dass mir die Situation aus der Hand zu gleiten drohte.
„In einer Altbauwohnung. Die Böden knacken und die Türen quietschen“, warf ich deshalb schnell ein. Elena sah mich genervt an.
„Ich verleih dir Flügel, komm“. Dieser Schurke! Elena kicherte über diesen verlockenden Vorschlag und war im Grunde genommen schon überzeugt.
„Du hast keine Schlüssel“, startete ich einen letzten Versuch.
„Auf dem Esstisch“, tönte es von unten.
Elena sah sich um und entdeckte das Schlüsselbund auf dem Wohnzimmertisch. Grinsend steckte sie es in ihre Hosentasche, blies die Kerzen aus, schlüpfte in Stiefel und Jacke und schlich die zwei Etagen hinunter, so leise es ging. Die alte Holztreppe stöhnte und knarrte unter ihrem Gewicht und ich schimpfte ihr mit gedämpfter Stimme hinterher. Hoffentlich schliefen alle fest in diesem Haus und hoffentlich war das mit den Flügeln doch kein Märchen und er verlieh sie ihr im weiteren Verlauf des Abends. Ich gönnte es ihr, trotz meiner Einwände.
Ich sah ihr nach, wie sie mit hochgeschlagenem Mantelkragen, die Hände tief in den Taschen, entschlossen durch die kalte klare Nacht zur Kreuzung ging. Dort standen mittlerweile zwei Dämonen. Ein blonder Hüne, in ähnlichem Outfit, war dazugetreten und wartete mit seinem Kumpel auf die unternehmungslustige Hexe.
„Zwei Kerzen wurden angezündet“, war seine knappe, jedoch einleuchtende Erklärung an mich, als Elena sich unter die pelzgefütterten Ledermäntel an die nackten Brüste der Kerle schmiss. Mir war, als röche ich den tröstenden Geruch von Leder und Haut, den sie dort einatmete und als die Drei verschwanden, um an einem stilleren Ort der großen Mutter zu huldigen, wünschte ich ihnen Glück.
Wie für Elena, so wurde es nun auch für mich Zeit, loszulassen, dankbar zu sein für die wundervollen Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit und für den innigen Kontakt, den wir sicher auch in Zukunft miteinander haben würden. Als ich Elena das letzte Mal sah, grinste sie mich schelmisch an. Wer sich mit so viel Schneid auf einen Handel mit zwei Dämonen einlässt, sollte beim Umgang mit dem Ehemann keine größeren Probleme haben. Meine Aufgabe war vorläufig erfüllt, ich ließ sie los und zog übermütig pfeifend meiner Wege.
Sollten sich eines Tages eure Wege kreuzen, so geht nicht gedankenlos an ihr vorüber, sondern grüßt sie von mir. Zum Dank wird sie ihr Wissen mit euch teilen und wer weiß, vielleicht kann sie euch helfen, eure Dämonen zu besänftigen. Ich wünsche euch jedenfalls viel Glück und Spaß dabei.

Letzte Aktualisierung: 22.10.2010 - 16.23 Uhr
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