Honigfalter
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Düstere Zeiten | November 2010
DĂĽstere Zeiten
von Sabine Poethke

Zweiundzwanzig Jahre waren Nora und Frank nun schon verheiratet. Zweiundzwanzig. Heute wollte es draußen wieder überhaupt nicht richtig hell werden. Der Garten lag in einem aschfahlen Licht, der Nebel waberte zwischen den Bäumen hindurch und kroch in Schwaden über den Rasen. Es hatte die beiden vergangenen Tage beinahe durchgehend geregnet. Nora stand in der Küche, räumte den Geschirrspüler ein und sah nebenher aus dem Fenster.
„Ich mag den November nicht“, sagte sie. „Trink endlich deinen Kaffee aus.“
Frank hielt ihr die leere Tasse hin. „Irgendwie … ist mir schlecht und mein Magen krampft. Hab wohl was Falsches gegessen. Und, schau mal an meinem Ohr nach, ob ich da einen Pickel oder sowas ähnliches habe?“ Er stand auf und hielt ihr sein rechtes Ohr vor die Nase.
„Soll ich dir heute Mittag vielleicht die Pilze von gestern aufwärmen?“, fragte Nora, und lachte in sich hinein, während ihr Blick flüchtig sein Ohr streifte. „Da ist eine rote Stelle mit einem kleinen Grind drauf. Sonst nichts.“ Sie drückte den Knopf des Geschirrspülers.
„Pilze. Klar. Liegen schwer im Magen. Nö. Kannst du essen“, antwortete Frank. „Sonst nichts am Ohr zu sehen?“
Nora schĂĽttelte den Kopf.
Leicht gebeugt schlurfte Frank aus der KĂĽche.
Idiot, dachte sie und entsorgte die Pilze in den Bioabfall. Der weiĂź genau, dass ich keine vertrage.
„Mach’s gut, Schatz, bis später!“, rief Frank ihr zu, dann hörte sie die Haustür ins Schloss fallen.
Nora grinste und winkte. „Bis später, Schatz!“

„Das sieht aber übel aus“, stellte Nora nach einigen Tagen fest. Ihre Stimme klang besorgt. „Solltest lieber zum Arzt gehen.“
„Wegen des kleinen Dings am Ohr? Nej, und die Arbeit liegen lassen?“ Frank lehnte sich ein Stück zurück und verzog das Gesicht.
„Es ist größer geworden.“
„Also, wenn, dann schon eher wegen der Magenschmerzen. Die nerven mich jetzt seit zwei Wochen.“
„Sind sicher meine Pilze gewesen.“ Nora konnte sich ein Lächeln nur ganz mühsam verkneifen. „Ich würde aber trotzdem auch zum Hautarzt gehen. Sieht irgendwie … ausgefranst aus.“
„Du spinnst ja“, sagte er und sah weiter in den Schlafzimmerschrankspiegel.
„Wenn du meinst.“ Sie atmete tief ein und aus.

„Nora, komm mal rüber ins Büro!“, rief Frank einige Minuten später. „Schau dir das an!“ Er surfte auf einer Homepage über weißen Hautkrebs.
„Hm, sieht fast aus wie bei dir.“
„Wirklich?“, fragte er entsetzt.
„Ja, finde schon.“
„Meinst du?“
„Geh lieber zum Arzt!“
„Nora, ich habe Krebs! Siehst du das nicht?“, schrie der Mann verzweifel. Er saß da wie ein Häufchen Unglück. „Was anderes kann ein Arzt mir auch nicht sagen. Sicher habe ich schon Metastasen im Magen. Jetzt erklärt sich alles! Oh, mein Gott.“
„Du bist doch gar nicht gläubig“, sagte Nora.
„Das ist doch unwichtig. Ich werde sterben!“ Frank sprang auf und fasste sich sofort an den Bauch. „Au. Verdammt!“ Er sackte zurück auf den Stuhl.
„Wenn du meinst.“ Sie drehte ihm den Rücken zu und rollte mit den Augen. „Aber, Schatz, so leicht stirbt es sich nicht!“

„Na, Schatz, wie geht es dir heute?“, fragte sie und brachte ihm eine Tasse Tee ans Bett.
„Gar nicht gut. Gar nicht gut“, jammerte Frank.
„Willst du vielleicht doch lieber zum Arzt gehen?“
„Was soll ich denn da? Es ist eh alles abgegessen.“
„Wenn du meinst. Trink deinen Tee.“ Nora stand am Bett und sah auf ihn herab.
„Riecht es hier komisch?“, fragte er.
„Komisch?“
„Eigentümlich. Hm. Irgendwie.“
„Ich weiß nicht“, antwortete Nora und wartete, bis Frank schlief. „… Aber, wenn du meinst. Ein bisschen vielleicht.“ Sie ging in die untere Etage und kehrte mit einer kleinen Schachtel zurück.

„Du siehst schlecht aus, und mittlerweile hast du mehrere von diesen Stellen. Ich hole einen Arzt.“ Nora telefonierte und Frank wehrte sich.
Schicken Sie Ihren Mann in eine Klinik, das sollte genauer untersucht werden. Auch, wenn er sich weigert. Sie sollten wirklich dringend klären lassen, was das für Flecken sind, und, wo diese Bauchschmerzen herkommen, sagte der Notarzt ratlos und verabschiedete sich.
„Nora, ich will zu keinem Arzt. Du wirst mich pflegen. Ja?“ Frank hatte die Leitung seiner Firma vorerst einem Angestellten übertragen.
„Wenn du meinst, Schatz.“
„Das … ist … gut“, sagte er stockend.
„Ja“, antwortete Nora. Wenn du meinst, dachte sie und lächelte in sich hinein.

Nora bereitete Tee. Sie stellte den Wasserkocher an, holte eine Tasse aus dem Schrank und legte den Teebeutel hinein. „Vier, nein, besser fünf“, nuschelte sie vor sich hin und nahm die Tabletten aus der Packung. Sein Körper gewöhnte sich immer schneller an das Medikament, sie musste die Dosis schon wieder erhöhen. Diese Menge könnte einen Elefanten lahmlegen, dachte sie. Hatte der Verkäufer in seiner Mail an sie auch geschrieben.
„Nora“, flüsterte Frank, als sie den Tee an sein Bett brachte. „Nora, ich halte das nicht aus. Ich kann nicht mehr. Es tut so weh.“
Nora nickte schweigend. Dreiundzwanzig Jahre waren sie jetzt verheiratet. Dreiundzwanzig.
Frank sah nicht gut aus. Statt der Ohren gähnten sie zwei Löcher an. Statt der Nase auch. Sein Gesicht war halb zerfressen. Auch sein Körper wies massenweise offene, ausgefranste Wunden auf. Manche reichten bereits bis auf den Knochen.
Das Telefon klingelte.
„Deine Mutter. Sie möchte dich gern besuchen und dir helfen.“
Er schüttelte fast unmerklich den Kopf. „Ich sehe wie ein Monster aus.“
„Nein. Er will nicht. Er ist zu schwach. Ja. Ich sage es ihm. Ja, ich ruf dich an.“ Nora legte auf. „Sie sagt genau wie ich, dass du schon lange zu einem Arzt hättest gehen sollen.“
„Keine Ärzte“, hauchte er und seine Stimme war kaum noch zu hören. „Kei-ne Ärz-te!“ Dann schlief er, tief und fest.
Nora lauschte seinem Schnarchen. Dreiundzwanzig Jahre, dachte sie und atmete hörbar durch. Sie eilte mit großen Schritten zur Zimmertür hinaus. Schnell kehrte sie zurück.
„Tn, tn, tn, tn“, schnalzte sie mit der Zunge.
Dreiundzwanzig verdammte, unwiederbringliche Jahre, dachte sie grimmig. Alles, was Nora anfangs zu Frank hingezogen hatte, war verraucht. Was ihr gefallen hatte, hasste sie nun. Vor allem, seine stupide Art mit dem Alltag umzugehen. Seine Ablehnung Kindern gegenüber. Seine lahme, einseitige Sichtweise auf die Dinge. Seine … ach, einfach alles.
„Lecker, lecker!“, sagte sie und strich Minni und Micky über die kleinen Köpfchen. Dann ließ sie die beiden aus der Schachtel auf Franks Brust springen. „Na, meine Lieben …
Dürfen es heute vielleicht … Rippchen sein?“

Letzte Aktualisierung: 27.11.2010 - 22.12 Uhr
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