Der Tod aus der Teekiste
Der Tod aus der Teekiste
"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Susanne Ruitenberg IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Düstere Zeiten | November 2010
Freisetzung
von Susanne Ruitenberg

Das Gras starb als erstes.
Anfangs waren es vereinzelte braune Flecken. Wie die Stelle beim Friedhof, an der alle Hunde das Bein hoben.
Innerhalb weniger Tage breiteten sie sich aus, wuchsen zusammen, bis der ganze Grasstreifen zwischen den Feldern so aussah, als hätte jemand ihn mit Unkrautvernichter gegossen.
Die Felder hingegen schienen einem Werbefilm für Urlaub auf dem Bauernhof zu entstammen: Der Weizen wiegte sich golden in der Brise; kein noch so kleines Fleckchen zeigte sich auf den leuchtend grünen Maispflanzen.
Ungläubig starrte Olaf Kling die Zerstörung dazwischen an. Die toten Halme knisterten unter seinen Schuhen. Er kniete nieder, zupfte ein Büschel heraus. Die Wurzel eine schwarz verrottete Masse, die sich in seiner Hand auflöste. Ein toter Regenwurm klebte daran.
War „es“ passiert?
Das, was die Ökos seit Jahren wie ein Menetekel an die Wand malten? Das, was er das ganze Jahr über krampfhaft versucht hatte aus seinen Gedanken zu verbannen? Doch welche Wahl war ihm geblieben? Penny gegenüber zuzugeben, dass er den Hof verpfändet hatte, um seine Spielschulden zu begleichen?
Den Hof ihrer Eltern, wohlgemerkt. Auf dem er sich wie ein Sklave fühlte. Gut genug für die Drecksarbeit, nie hatte er ein Wort der Anerkennung gehört.
Dass die beiden Alten im letzten Jahr innerhalb von zwei Monaten das Zeitliche gesegnet hatten, war nur ein kleiner Lichtblick gewesen.
Als ihm das Wasser bis zum Hals stand, war eines Tages ein Grüppchen von Anzugträgern bei ihm aufgetaucht. An einem Tag, an dem Penny nicht da war. Sie sahen aus wie Agenten in einem Bond-Streifen. Dunkle Mäntel, Sonnenbrillen. Sie boten Olaf eine Summe, die seine gesamten Spielschulden tilgte und ihm einen ordentlichen Batzen Spielgeld übrigließ. Geld, von dem Penny nichts wusste.
Die einzige Bedingung war, zwei Felder zu bestellen. Sie gaben ihm Saatgut in anonymen grauen Säcken und eine gelbe Plastikflasche. Drei Wochen nach dem Auskeimen sollte er das Mittel daraus versprühen. Weder Name noch Inhaltsangabe fanden sich auf der Flasche. Nur die Dosierungsanweisung.
Ãœber alles hatte er Stillschweigen zu bewahren.
„Wenn Sie reden“, hatte Chef-Anzugträger gesagt und Olaf dabei am Kragen gepackt, „wenn Sie reden, wenn irgendwer Wind von unserem Arrangement bekommt, und sie können sich darauf verlassen, dass wir es herausbekommen, dann können Sie Ihr Testament machen. Nicht, dass Sie außer horrenden Schulden etwas zu vererben hätten.“ Er grinste und sah dabei aus wie ein hungriger Wolf.
Woher wusste der Typ so gut Bescheid? Olaf hatte geschluckt, die Gänsehaut im Nacken ignoriert und genickt. Zum Schluss hatte der Typ ihm ein einfaches Handy samt Ladekabel überreicht. „Sehen Sie zu, dass es immer geladen ist und dass niemand es findet. Wenn Sie irgend eine Frage haben, wählen Sie Kurzwahltaste 1.“
Damit ließen sie ihn stehen und fuhren weg.
Als Olaf die Säcke öffnete, fand er Weizen und Mais. Er wählte zwei Felder, weit weg vom Wohnhaus, und brachte den Samen aus.
Die Keimlinge kamen überraschend schnell aus der Erde. Kräftige Pflänzchen, wie die Soldaten aufgereiht. Nach drei Wochen mischte er das Zeug aus der gelben Flasche und belud den Spritzanhänger damit. Fünf Minuten, nachdem er mit dem Sprühen begonnen hatte, bemerkte er einen sauren Geschmack auf dem Mund, sein Hals kratzte. Er trank einen Schluck Wasser. Als es nicht besser wurde, ging er in seine Werkstatt und holte sich den Mundschutz, den er beim Lackieren des Hoftors benutzt hatte.
Penny bemerkte ein paar Tage später, wie wenig Bienen in diesem Jahr unterwegs waren. „Ob wir das irgendwo melden sollten?“
Olaf zuckte die Schultern. „Gibt ja kaum noch Imker.“

Nachdenklich ging er zum Haus zurück. Das Grasbüschel warf er in die Mülltonne. Sollte er die Nummer wählen? Nein, er würde sich nur lächerlich machen. Oder?
Seine Frau stand in der Tür. Sie sah noch schlechter gelaunt aus als sonst. „Da bist du ja endlich. Also, ich weiß nicht, was dieses Jahr los ist. Der halbe Küchengarten sieht so aus, als hätte jemand Chlorbleiche verschüttet. Die Kräuter werden gelb, die Tomaten haben Flecken, die Himbeeren sind nicht richtig rot und schmecken furchtbar. Alles andere sieht auch nicht gesünder aus. Hast du etwa irgendwas gespritzt, während der Wind aufs Haus ging? Du weißt, dass ich das hasse. Wenigstens in meinem Garten will ich Bio.“
„Natürlich nicht, ich würde ...“
„Komm mit und sie es dir an.“
Der Garten sah furchtbar aus. Die Blätter der Obstbäume kräuselten sich und hatten eine schmutzigbraune Farbe angenommen. Das Gemüse hing welk in den Beeten, die Kräuter waren gelb und vertrocknet. Vor zwei Tagen hatte es hier ausgesehen wie im Gartenkatalog. Er bückte sich. Auf der Erde lagen tote Käfer. Keine Biene, kein Schmetterling zu sehen.
Was war hier los? Hatte es etwas mit seinen Feldern zu tun? Sollte er das Handy aus seinem Versteck holen und die Männer kontaktieren?
Auf dem Weg zum Arbeitszimmer warf er einen Blick auf den Kalender. Penny hatte morgen früh einen Zahnarzttermin.
Wenn sie aus dem Haus war, würde er anrufen.

Beim Abendessen tischte Penny Tomatensalat auf. Die Scheiben waren merkwürdig geformt.
„Ich habe versucht, wenigstens einen Teil zu retten. Bevor sie alle braun sind. Natürlich musste ich viel wegschneiden.“ Sie schob ihm die Salatschüssel hin.
„Danke, mir ist nicht nach Tomaten.“
Sie runzelte die Stirn.
„Ich habe ... Sodbrennen. Da will ich keinen Essig.“
Sie schnaubte. „Das kommt von deinem ewigen Bier und Schnaps am Samstagabend. Du bist keine zwanzig mehr.“
Sie aß die Tomaten alleine auf.
Am nächsten Morgen klagte sie über stechende Kopfschmerzen. Ihre Wangen waren knallrot.
Olaf beobachtete sie verstohlen über den Rand seiner Zeitung, während sie lustlos auf einer Scheibe Brot kaute.
Sie hatte den Hörer schon in der Hand, um den Zahnarzttermin abzusagen. Olaf hielt die Luft an. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich fahre doch lieber. Vielleicht kriege ich da eine gute Betäubung.“

Olaf wollte gerade die Taste drücken, als sein eigenes Handy klingelte. Es war Dieter, der im Nachbardorf einen Hof hatte.
„Sag mal, hast du auch Probleme mit Braunrost?“
„Braunrost?“
„Ja, und das breitet sich rasend schnell aus. Vor drei Tagen war hier alles normal. Jetzt sieht mein Westfeld so aus, als hätte jemand Sprühfarbe vom Flugzeug geschossen.“
„Ich komm rüber.“ Er beendete das Gespräch und drückte die Kurzwahltaste auf dem anderen Apparat.
„Herr Kling, was gibt es?
Er räusperte sich. „Ja, also. Ich weiß nicht, ob es was mit Zeug aus der Sprühflasche zu tun hat. Hier hat ein merkwürdiges Pflanzensterben begonnen. Das Gras wird schwarz, der Küchengarten meiner Frau ist halbtot und mein Nachbar klagt über Braunrost.“
„Und was ist mit unseren beiden Feldern?“
„Stehen wie ‚ne Eins. Es ist mir unheimlich. Was haben Sie mir da angedreht? Ich hab nicht übel Lust, das Ganze abzufackeln.“
„Rühren Sie sich nicht von der Stelle! Wir sehen uns das an.
Eine halbe Stunde später näherte sich ein dunkler Wagen. Drei Männer stiegen aus, der Wortführer des ersten Besuchs unter ihnen.
Olaf führte sie in den Garten. „Sehen Sie: Gestern gab es noch vereinzelte grüne Blätter an den Himbeeren. Jetzt ist alles braun.“
Die Männer liefen zwischen den Beeten entlang, rupften hier etwas aus, rieben dort ein Blatt zwischen den Fingern. Sie besprachen sich im Flüsterton, ohne auf Olaf zu achten. Er schlich sich näher und spitzte die Ohren. „Transgen“ verstand er, und „Mutation“, und „Gentransfer“.
„Kann mir endlich mal jemand sagen, was hier gespielt wird?“
Der Wortführer drehte sich um und nickte seinem Kollegen zu. „Aber sicher doch.“ Er legte einen Arm um Olafs Schultern. Olaf spürte einen Piekser.
Als er wieder zu sich kam, saß er gefesselt im Wagen zwischen den Männern. „Sind Sie verrückt geworden? Lassen Sie mich sofort frei. Was soll das?“
Der Chef-Anzugträger drehte sich zu ihm um und nahm seine dunkle Brille ab. Eisblaue Augen taxierten Olaf. Dann grinste er. „Nun, Sie sollen nicht dumm sterben müssen. Sie haben für uns eine Freisetzung durchgeführt. Hier im abgelegensten Landstrich, wo garantiert keine Ökofreaks johlend das Feld abfackeln. Es war ein voller Erfolg.“
„Was ...?“
„Der Weizen und Mais sind – gentechnisch optimiert. Sie tragen ein Gen, das den Samen steril macht. Und resistent gegen den Unkrautvernichter, den Sie versprüht haben. Als eingetragenes Patent, natürlich.“
„Aber dann kann man keine Aussaat herstellen und ...“
„Richtig. Man muss die Saat neu kaufen. Bei uns. Jedes Jahr.“
Olaf dachte nach. Die Firma würde gigantischen Profit machen. Und die Bauern wären in ihren Fängen. In der dritten Welt könnten sie das unmöglich bezahlen.
„Aber warum geht alles andere kaputt?“
Der Anzugträger zuckte die Achseln. „Nun, ich denke ... da müssen ein paar der Gensequenzen von SG Ex 1 und SG Ex 2 zu anderen Spezies gewandert sein. In Verbindung mit ... dem Herbizid. Vielleicht ist es dabei mutiert. Aber das ist nicht weiter tragisch. Wir haben nicht nur Getreide, sondern alle denkbaren Pflanzen vorrätig. Außerdem: Je schneller alles hops geht, umso früher können wir verkaufen.“
„Was ist, wenn es noch mal mutiert. Und alles abstirbt?“ Olaf sah vor seinem inneren Auge tote Felder, ungenießbares Gemüse, verendendes Vieh.
Und hungernde Menschen, die sich für die letzten Konservendosen gegenseitig die Köpfe einschlugen. Bis alles in Chaos und Anarchie und Krieg unterging.
Der Mann tätschelte Olafs Schulter. „Machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden das nicht mehr erleben.“

Letzte Aktualisierung: 25.11.2010 - 16.37 Uhr
Dieser Text enthält 9715 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.