Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Elsa Rieger IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Düstere Zeiten | November 2010
Café zur unerfüllten Erwartung
von Elsa Rieger

Beim Äußerln mit meinem Rauhaardackel Hiasl kehre ich nachts gern im Café Sport ein. Neben dem Eingang steht die Jukebox. Die Piaf, der Brel oder griechische Musik im steten Wechsel, man meint, vor der Tür ist der Pigalle oder das Meer, dabei ist es nur die Schönlaterngasse.

Die Frau Sport, wie wir die Koberin nennen, keiner weiß, wie sie in echt heißt, thront gegenüber mit ihrem mächtigen Allerwertesten auf einem Podest hinter der Kassa und wirft düstere Blicke durch ihre Lokalität, damit sich keiner aufführt. Steffi, die Kellnerin, die höchstens ein Viertel vom Volumen ihrer Chefin hat, lehnt neben ihr und süffelt ihr Achterl Weißwein, ohne das sie das Beisl kaum ertragen kann, vermute ich.
Ich bestelle wie immer einen kleinen Braunen und winke Xenos zu, der schon zum Inventar gehört, seit er vor vielen Jahren von Kreta nach Wien ausgewandert ist. Den Hiasl binde ich an ein Bein des Billardtisches, den seit Jahren keiner mehr nutzt. Naja, ganz stimmt das nicht. Der Hermann Schürrer speibt ab und zu drauf, wenn er zu viel gesoffen hat. Manchmal auch, wenn er stocknüchtern ist und todunglücklich, weil keiner seine Literatur versteht.
„Ihr Banausen“, schreit er dann verzweifelt und fährt sich durchs wild abstehende Haar, „ich erbreche mich auf euch, ihr ahnungslosen Pervertierten der Gesellschaft!“ Und dann speibt er eben auf den Billardtisch.
Der Joe Berger, seines Zeichens ebenfalls Literat, spielt gern mit Freunden Free-Schach auf dem zerschlissenen grünen Filz. Das geht so: Einer sagt, er ziehe mit dem Bauern zur Königin, um sie zu vögeln. Der Gegner sagt, er würde dann mit dem Ross den Bauern niedertreten, und so weiter. Sie spielen ohne Schachfiguren, deswegen heißt es ja Free-Schach.
Steffi bringt mir den kleinen Braunen – der ist nur hier so gut.
Schon wieder „Milord“.
Die Malerrunde der Wiener Surrealisten trudelt gerade ein, sie hat einen Tisch dauerreserviert. Steffi löst sich von ihrem Veltliner, zählt die Künstlerköpfe und öffnet Bierflaschen für sie.
„Eines Tags wern’s scho zoin“, sagt sie, weil die Frau Sport einen schiefen Mund macht.

Normal verkehren hier keine Fremden. Der eine scheint sich aber wohlzufühlen, er hat den Arm auf die Jukebox drapiert und schlägt mit der Spitze seines Westernstiefels den Takt. Dazu grinst er jeden an, der ihn mustert. Wieder wirft er Geld in den Schlitz.
Zum dritten Mal „Milord“.
Jetzt reißt Xenos die Geduld. Er wirft das lange Grauhaar in den Nacken, stürzt sich auf den Eindringling und schlägt ihm die Schillinge aus der Hand. Frau Sport schickt Steffi los, aber der alte Grieche fegt sie beiseite, ehe er den Unbekannten eigenhändig aus dem Café wirft.
Dann drückt er B 2, den Sirtaki vom Theodorakis. Die Platte kratzt und krächzt, weil sie so oft abgespielt wird.
Schürrer hat sich auf dem Billardtisch zusammengerollt, er schläft. Nicht einmal der Prissnitz kann ihn wecken, dabei will der Poet ihm doch nur sagen, eher ins Ohr brüllen, dass ein Text von ihm abgedruckt wird.
Der Joe Berger versucht, seinen beginnenden Lungenkrebs wegzurauchen, heute hat er keinen Spielpartner gefunden. Er hustet und deklamiert aus Hänsel und Gretel, weil er dabei ist, Grimms Märchen neu zu schreiben.
Am Tisch der Surrealisten hat eine der Malerfrauen ihren Pulli ausgezogen. Ihre Brüste sind gebräunt vom letzten Urlaub in Positano.
Xenos lacht, ihm fehlen die Schneidezähne oben, aber „Hopa“ kann er gut sagen.
Ich küsse ihn.

Mehr als vierzig Jahre später wummert Techno hinter der Tür zum einstigen Café Sport.
Der Hiasl ist schon lange tot, ebenso die Frau Sport und viele der damaligen Stammgäste. Manche sind einfach verschwunden, andere hat Sucht oder Krankheit hinweggerafft. Ich war zu der Zeit erst vierzehn, bei meinen ersten Schritten in die Wiener Szene der Künstler voller Erwartungen.
Langsam spaziere ich weiter durch die Schönlaterngasse, weine und lache, weil es eh egal ist.

Letzte Aktualisierung: 13.11.2010 - 17.25 Uhr
Dieser Text enthält 3951 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.